05.07.2012 um 19:09 Uhr
Mit dem Nachtzug nach Kiew (2)
Mittags um zwölf war die Fan-Zone bereits sehr gut gefüllt. Trommler wirbelten auf der Bühne und unterhielten die verschiedenen Fangruppen. Mädchen mit Stutzen und kurzen Hosen verteilten Werbeartikel und animierten zu guter Laune. Eine Sängerin, ein Abklatsch von Shakira, grölte auf der großen Bühne, wo sich im Vorfeld noch ein Deutscher und ein Engländer auf der PlayStation bekämpften. Von überall erklang der Horror-Ohrwurm „Endless Summer" von Oceana und Frauen schminkten Kinder in den Landesfarben der jeweiligen Teams.
An einigen Ecken versammelten sich Fans jeglicher Couleur zu gemeinsamen Trinkaktionen. Spanier zogen durch die Straßen und sangen in lauter Vorfreude einem erneuten Sieg entgegen. Ukrainer und Polen gingen Hand in Hand. Deutsche Fans mit Schweinsteiger, Müller oder Gomez auf dem Rücken stimmten im Minutentakt neue Gassenhauer an: Ob „Deutschland, Deutschland!", „Ohne Deutschland wär‘ hier gar nichts los!" oder „Super Deutschland, olé!" – jeder Fangesangfeinschmecker wäre hier auf seine Kosten gekommen.
Auch das mittlerweile etablierte „Humba, Humba tätterrää!" (oder doch lieber „Ufta"?) machte immer wieder die Runde. Nur von den italienischen Anhängern hörte man beinahe nichts. Ein Fan aus Greifswald sagte mir, dass „bis zu 25 000 Deutsche" in der Stadt seien. „Von den Spaghetti-Essern (sic!) seien jedoch gerade einmal 3000 da." Neben den angesprochenen Fußballtouristen erkannte man einige Nacktdemonstrantinnen, die schleunigst – und vor allem rabiat – von der Polizei entfernt wurden. Im Gegensatz zu der ca. 50 Meter langen Ansammlung an Infoständen, welche stumm für eine Befreiung Julia Timoschenkos protestierten.
Nach einer kurzen Mittagspause mit feinster Rindszunge, fettigem Saumagen, Zwiebelringen, Unmengen an Bier und vielen Gesprächen mit polnischen Fans („Our team sucks, but your team was very good, but: Deutschland, Deutschland alles ist vorbei!") und deutschen Kollegen, die zu viert auf der Hinfahrt einen Großteil ihrer 95 Dosen Bier verbrauchten, ging es in Richtung Kiewer Olympiastadion.
Hier feierten Fans in deutschem Gewand mit rot-gelber Wangenbemalung mit Anhänger in rotem Jersey mit schwarz-rot-goldener Farbe im Gesicht. Wer hätte das noch 2010 gedacht, als Spanien uns in Südafrika aus dem Turnier schoss? Ein Algerier sprach mich an. Er zeigte auf mein weiß-schwarzes Shirt, hob den Daumen und fügte in gebrochenem Deutsch hinzu: „Ich liebe die deutsche Mannschaft. Ich bin ein großer Fan seit ich diesen Schneider das erste Mal gesehen habe." „Bernd Schneider?", fragte ich ungläubig und bekam die leidenschaftliche Antwort: „Bernd Schneider. Ein wahrer Fußballgott!"
Aus meinen Überlegungen, Bernd Schneider vielleicht doch in den Fußball-Olymp zu hieven, holten mich Musiker, die uns noch einmal mit „Smoke on the Water" einheizten, bevor es dann endlich ins Stadion ging. Leider waren unsere Karten mit einer Sichtbehinderung versehen. Ein riesiger Betonblock sorgte für eine schlechte Sicht. Doch war das Stadion, anders als angekündigt, nicht ausverkauft. So konnte sich unsere Reisetruppe einige Reihen weiter unten niederlassen. Hier trafen wir auf viele Fans der deutschen Mannschaft. Wir feierten Jogis Elf, warfen gemeinsam mit Bierdeckeln und stimmten immer wieder „Deutschland, Deutschland"-Rufe an. Ich behaupte, wir versprengten Deutschlandfans haben mehr Stimmung gemacht, als die Anhänger der Squadra Azzurra. Auch auf dem Platz war bei den Italienern tote Hose. Friedrich aus Berlin, der sechs Stunden vor Abfahrt seines Zuges noch gar nichts von seinem Stadionbesuch in Kiew wusste, bescheinigte dem Italo-Star Balotelli eine „ziemlich blasse Vorstellung". Auch Pirlo, Cassano und Buffon erwischten einen rabenschwarzen Tag. Gegen glänzend aufspielende Spanier setzte es eine 4:0-Niederlage. Xavi, Casillas & Co feierten sich auf dem Rasen, die Organisatoren erhellten den Nachthimmel mit einem imposanten Feuerwerk und die Anhänger der Furia Roja jubelten auf den Rängen ihren Helden zu.
Anders sah es außerhalb des weiten Rundes aus. Hier feierten die Spanier alles andere als ausgelassen. Es herrschte beinahe Feierroutine. Wie selbstverständlich marschierten sie durch das Turnier und sicherten sich den dritten Titel nach 2008 und 2010. Nur „Cheftrommler" Manolo, der Mann mit der Trommel, welcher angeblich noch kein Spiel der spanischen Mannschaft verpasst hat, war derjenige, der für Stimmung im spanischen Fanlager sorgte. Den Rest an Festivität besorgten – natürlich – die Deutschen. Was für eine grandiose Party wäre wohl gestiegen, wenn Jogis Jungs den Pokal geholt hätten?
Nach einem weiteren Tag Sightseeing in Kiew ging es wieder für geschlagene 26 Stunden in den Zug. Diesmal war jeder Waggon da. Nach lustigen Begegnungen mit ukrainischen Gastarbeitern und einer devoten Schaffnerin waren wir gegen Vormittag mit nur einer halben Stunde Verspätung in Berlin angekommen. Hier hatten wir sogar Gelegenheit unsere Verzehrgutscheine für ein feines Frühstück einzulösen. Welch‘ schöner Abschluss einer tollen Reise!
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An einigen Ecken versammelten sich Fans jeglicher Couleur zu gemeinsamen Trinkaktionen. Spanier zogen durch die Straßen und sangen in lauter Vorfreude einem erneuten Sieg entgegen. Ukrainer und Polen gingen Hand in Hand. Deutsche Fans mit Schweinsteiger, Müller oder Gomez auf dem Rücken stimmten im Minutentakt neue Gassenhauer an: Ob „Deutschland, Deutschland!", „Ohne Deutschland wär‘ hier gar nichts los!" oder „Super Deutschland, olé!" – jeder Fangesangfeinschmecker wäre hier auf seine Kosten gekommen.
Auch das mittlerweile etablierte „Humba, Humba tätterrää!" (oder doch lieber „Ufta"?) machte immer wieder die Runde. Nur von den italienischen Anhängern hörte man beinahe nichts. Ein Fan aus Greifswald sagte mir, dass „bis zu 25 000 Deutsche" in der Stadt seien. „Von den Spaghetti-Essern (sic!) seien jedoch gerade einmal 3000 da." Neben den angesprochenen Fußballtouristen erkannte man einige Nacktdemonstrantinnen, die schleunigst – und vor allem rabiat – von der Polizei entfernt wurden. Im Gegensatz zu der ca. 50 Meter langen Ansammlung an Infoständen, welche stumm für eine Befreiung Julia Timoschenkos protestierten.
Nach einer kurzen Mittagspause mit feinster Rindszunge, fettigem Saumagen, Zwiebelringen, Unmengen an Bier und vielen Gesprächen mit polnischen Fans („Our team sucks, but your team was very good, but: Deutschland, Deutschland alles ist vorbei!") und deutschen Kollegen, die zu viert auf der Hinfahrt einen Großteil ihrer 95 Dosen Bier verbrauchten, ging es in Richtung Kiewer Olympiastadion.
Hier feierten Fans in deutschem Gewand mit rot-gelber Wangenbemalung mit Anhänger in rotem Jersey mit schwarz-rot-goldener Farbe im Gesicht. Wer hätte das noch 2010 gedacht, als Spanien uns in Südafrika aus dem Turnier schoss? Ein Algerier sprach mich an. Er zeigte auf mein weiß-schwarzes Shirt, hob den Daumen und fügte in gebrochenem Deutsch hinzu: „Ich liebe die deutsche Mannschaft. Ich bin ein großer Fan seit ich diesen Schneider das erste Mal gesehen habe." „Bernd Schneider?", fragte ich ungläubig und bekam die leidenschaftliche Antwort: „Bernd Schneider. Ein wahrer Fußballgott!"
Aus meinen Überlegungen, Bernd Schneider vielleicht doch in den Fußball-Olymp zu hieven, holten mich Musiker, die uns noch einmal mit „Smoke on the Water" einheizten, bevor es dann endlich ins Stadion ging. Leider waren unsere Karten mit einer Sichtbehinderung versehen. Ein riesiger Betonblock sorgte für eine schlechte Sicht. Doch war das Stadion, anders als angekündigt, nicht ausverkauft. So konnte sich unsere Reisetruppe einige Reihen weiter unten niederlassen. Hier trafen wir auf viele Fans der deutschen Mannschaft. Wir feierten Jogis Elf, warfen gemeinsam mit Bierdeckeln und stimmten immer wieder „Deutschland, Deutschland"-Rufe an. Ich behaupte, wir versprengten Deutschlandfans haben mehr Stimmung gemacht, als die Anhänger der Squadra Azzurra. Auch auf dem Platz war bei den Italienern tote Hose. Friedrich aus Berlin, der sechs Stunden vor Abfahrt seines Zuges noch gar nichts von seinem Stadionbesuch in Kiew wusste, bescheinigte dem Italo-Star Balotelli eine „ziemlich blasse Vorstellung". Auch Pirlo, Cassano und Buffon erwischten einen rabenschwarzen Tag. Gegen glänzend aufspielende Spanier setzte es eine 4:0-Niederlage. Xavi, Casillas & Co feierten sich auf dem Rasen, die Organisatoren erhellten den Nachthimmel mit einem imposanten Feuerwerk und die Anhänger der Furia Roja jubelten auf den Rängen ihren Helden zu.
Anders sah es außerhalb des weiten Rundes aus. Hier feierten die Spanier alles andere als ausgelassen. Es herrschte beinahe Feierroutine. Wie selbstverständlich marschierten sie durch das Turnier und sicherten sich den dritten Titel nach 2008 und 2010. Nur „Cheftrommler" Manolo, der Mann mit der Trommel, welcher angeblich noch kein Spiel der spanischen Mannschaft verpasst hat, war derjenige, der für Stimmung im spanischen Fanlager sorgte. Den Rest an Festivität besorgten – natürlich – die Deutschen. Was für eine grandiose Party wäre wohl gestiegen, wenn Jogis Jungs den Pokal geholt hätten?
Nach einem weiteren Tag Sightseeing in Kiew ging es wieder für geschlagene 26 Stunden in den Zug. Diesmal war jeder Waggon da. Nach lustigen Begegnungen mit ukrainischen Gastarbeitern und einer devoten Schaffnerin waren wir gegen Vormittag mit nur einer halben Stunde Verspätung in Berlin angekommen. Hier hatten wir sogar Gelegenheit unsere Verzehrgutscheine für ein feines Frühstück einzulösen. Welch‘ schöner Abschluss einer tollen Reise!
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Aufrufe: 1796 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 0 | Erstellt:05.07.2012
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