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24.08.2012 um 12:13 Uhr
It's Not About Doping
Es ist sehr leicht, mit dem heutigen Wissen über Lance Armstrong so abfällig zu urteilen, wie das (u.a. hier bei SPOX in den Kommentaren zum Artikel "Armstrong wird alle Toursiege verlieren") aktuell getan wird. Zu lachen. Zu spotten. Mit dem Finger zu zeigen.

ICH tue das nicht. Ich lache nicht über Lance Armstrong. Ich spotte nicht über Lance Armstrong - und ich zeige schon gar nicht mit dem Finger auf Lance Armstrong.
Klarstellung: Ich verherrliche kein Doping - und ich verherrliche und leugne schon gar nicht den Dopingsumpf im Radsport.

Lance Armstrong ist mir das erste Mal aufgefallen, als er Profi-Straßenweltmeister wurde. Dass das 1993 war, musste ich nachlesen. Das ist für jemanden, der wie ich Radsport seit Jahrzehnten im Fernsehen verfolgt, sicherlich weder sonderlich früh noch sonderlich spät.
Die erste Armstrong-Szene, die sich bei mir eingebrannt hat, stammt aus dem Jahr 1995. Der Goldmedaillen-Gewinner der Olympischen Spiele von Barcelona 1992, Fabio Casartelli und Teamkollege von Lance Armstrong, war am 18.07.1995 bei einem Massensturz während der Tour de France in einer dieser rasanten Abfahrten bei Tempo 90 tödlich verunglückt. Wenige Tage später gewann Armstrong eine Etappe bei dieser Rundfahrt. Der beidhändige Fingerzeig gen Himmel in Erinnerung an Casartelli ist das, woran ich den Menschen im "Sportler Lance Armstrong" manifestiere.

Einem Zeitungsbericht entnahm ich im Oktober 1996, dass bei Lance Armstrong Hodenkrebs diagnostiziert wurde ... fortgeschrittenes Stadium ... Überlebenschance kleiner als 40 Prozent ... Fragmente der Erinnerungen ... Fragmente, die ausreichen für die Überzeugung, dass eine Sportlerkarriere beendet ist und dass der wichtigste Kampf im Leben gerade begonnen hat - der Kampf ums Überleben!

Mit Fassungslosigkeit habe ich reagiert, als ich wahr nahm, dass Lance Armstrong (1998) in den Profi-Radsport zurückkehren sollte. Bei mir hat das einen wirklichen Wow-Effekt ausgelöst! Die Massenmedien wurden erst so richtig im Folgejahr auf ihn aufmerksam, obgleich sich Deutschland zu der Zeit im absoluten Rad-Wahn befand. Jan Ullrich hatte 1997 das Gelbe Trikot bei der Tour de France gewonnen, Erik Zabel das Grüne Trikot, Deutsche Telekom die Teamwertung. Geschichten für sich. 1998 gewann Marco Pantani das Duell gegen Jan Ullrich bei der Tour. Erinnert sich noch jemand daran, dass Jan Ullrich hier das Weiße Trikot als bester Jungfahrer gewann? Die vorrangige Erinnerung sagt sicherlich, dass Jan Ullrich geprügelt und geschlagen in Les Deux Alpes mit riesigem Rückstand ankam.

Keinesfalls aus dem Nichts startete Lance Armstrong mit U.S. Postal in die Tour 1999. Er dominierte fast nach Belieben und wurde zum Helden. Außer Lance Armstrong trug während dieser Tour nur ein anderer Fahrer überhaupt das Gelbe Trikot: Jan Kirsipuu...
Dass in jenem Jahr weder Ullrich noch Pantani dabei waren, genau betrachtet sogar kein einziger Tour-Sieger, schmälerte den Erfolg merklich. Ab 2000 änderte sich das. Wer immer sich bei dieser Rundfahrt Armstrong stellte - er verlor!

Sein "The Look" 2001 am Anstieg nach L'Alpe d'Huez ist Tour-Geschichte pur. Zunächst deutete Armstrong an, dass er geschwächt war und wohl bald hinter der Spitzengruppe würde abreißen lassen musste. Dann gab er mit seiner damals einmaligen Trittfrequenz Gas, blickte auf seine Mitstreiter zurück, gab Gas - und gewann! Die Etappe. Die Tour. Von 1999 bis 2005. Jedes Jahr. Souverän und dominant.

Gleichzeitig zeigte Lance menschliche Werte, an denen es nicht nur im Profi-Sport, mangelt. Beispiele gibt es zu Hauf - hier eine Auswahl:
- Er überließ Marco Pantini, der an seiner Seite gekämpft hatte, den Sieg am prestige-trächtigen Mont Ventoux.
- Er holte verschiedentlich Klassement-Fahrer persönlich ein, die zu einem unfairen Zeitpunkt (Defekt oder Sturz eines Konkurrenten) angriffen.
- Auf seine Tour-Preisgelder verzichtete er weitestgehend zu Gunsten seines Teams.
- Er sorgte dafür, dass Fabio Casartelli, für den ein Gedenkstein an der Stelle des Unglücksortes aufgestellt wurde, nie vergessen wird. Bis heute hält das Peloton jedes Mal, wenn die Strecke hier entlang führt, an dieser Stelle an und gedenkt seiner.
- Auch sein Engagement - finanziell und persönlich - für die Krebsforschung möchte ich nicht unerwähnt lassen.

Sein Buch "It's Not About The Bike (My Journey Back to Life)" aus dem Jahre 2001 habe ich vor gut zwei Jahren in Mumbai, während Europa von der Aschewolke des Eyjafjallajökull beherrscht wurde und ich auf dem indischen Subkontinent fest saß, gekauft und gelesen. Das Buch ist intensiv und inspiriend zugleich. Das gesundheitliche Tal eines Krebspatienten, welches Armstrong durchschreiten musste, um stärker denn je zurückzukehren, wird ebenso deutlich dargestellt wie jeder seiner noch so kleinen Fortschritte zurück ins Leben.

So wie es in diesem Buch sehr wohl auch um Radsport geht, so wird bei jeder zukünftigen Betrachtung des Lebensweges von Lance Armstrong auch immer Doping erwähnt werden. Ein Armstrong-Buch mit dem Titel "It's Not About Doping" wird es sicherlich nicht geben ...
Sehr wohl hat Lance Armstrong aber viel mehr - und vor allem positive - Seiten als die reduzierte Darstellung auf jemanden, dem alle Erfolge wegen Dopings aberkannt werden sollen.

(Anmerkung: Da ich mir bei einigen Daten unsicher war, habe ich Wikipedia als zeitliche Stütze gewählt - wohlbemerkt: lediglich zur Sicherstellung von zeitlichen Abläufen und Daten.)
Aufrufe: 14012 | Kommentare: 78 | Bewertungen: 46 | Erstellt:24.08.2012
ø 7.2
KOMMENTARE
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Römer
24.08.2012 | 12:27 Uhr
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Römer : 
24.08.2012 | 12:27 Uhr
-4
Römer : 
Wow, gefällt mir richtig gut.
Schade das der größte Teil der abgegebenen Kommentare zu dem Thema generell einfach unterste Schublade sind. Viele wissen gar nicht wer Armstrong eigentlich ist, sie kennen ihn nur durch diese negativen Berichte.

Bezeichnend für das Niveau der Armstrong- Diskussion ist, dass sich wirklich nur ein minimaler Teil der User wärend der Tour unter den Kommentaren verewigt haben, jetzt aber schön auf ihn einschlagen.

Wie ich schon unter dem Bericht von heute geschrieben habe. Ich hoffe das alle Sportarten bald ein funktionierendes Netz von Dopingkontrollen haben, dann werden sehr viele Kartenhäuser zusammenbrechen.
8
Bigggassi
24.08.2012 | 12:37 Uhr
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Bigggassi : 
24.08.2012 | 12:37 Uhr
-4
Bigggassi : 
Ganz starker Blog. Ich stimme dir vollkommen zu. Als Mensch ist er mit Sicherheit kein schlechter. Vor allem seine Krebsstiftung ist hierbei herauszuheben. Keinen Zweifel!

Was das sportliche angeht, so hat er die Zeit in der er fuhr dominiert und geprägt. Und wir wissen auch, dass die gesamte Elite nicht ohne Doping fahren konnte. Und wir wollen auch nicht vergessen, dass niemand bei dem was Armstrong gemacht hat gestorben ist oder gesundheitlich gefährdet wurde, außer er selbst. Das soll das ganze nicht veherrlichen, aber doch mal in einen realistischen Rahmen setzen.

Das schlimmste finde ich ist übrigens die ungerechte Behandlung mMn durch die USADA. Leute wie Hincapie die auf Jahre durch ihn reich geworden sind, denunzieren ihn um eine geringere Strafe zu bekommen. Das zeigt schon, hier ging es nicht um Doping, sondern um politische Motive.
5
midget
24.08.2012 | 12:41 Uhr
4
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midget : 
24.08.2012 | 12:41 Uhr
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midget : 
Punkt!
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gerosimo
24.08.2012 | 13:13 Uhr
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gerosimo : 
24.08.2012 | 13:13 Uhr
-3
gerosimo : 
Natürlich nehme ich auch gerne Bezug zu dem Vorgehen der USADA. Dass die Menschen, die durch Lance Armstrong ihren durchaus luxuriösen Lebensstil finanziert bekommen haben und die nur und ausschließlich wegen Lance Armstrong eine Karriere hatten - ich spreche von den anderen Fahrern von U.S. Postal -, als Kronzeugen gewählt werden, um Lance Armstrong in maximalem Maße zu beschädigen, ist erbärmlich.

Wenn es eine generelle Aktion gegen Doping in den USA wäre - vergleichbar zu den Versuchen in Deutschland, die in den Tränen von Erik Zabel einen der "Höhepunkte" fand, - dann wären auch alle US-Radprofis (wie z.B. Hincapie) am Pranger. Das war nie das Ziel und das ist auch jetzt kein Ziel.
3
taneu
24.08.2012 | 13:51 Uhr
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taneu : 
24.08.2012 | 13:51 Uhr
-2
taneu : 
Ein Mensch und Sportler, der Hochachtung verdient. Was kann er für die schwachsinnigen Dopingbestimmungen. Was kann er dafür, dass er für seinen hodenkrebs Testosteron nehmen darf, während Jan Ullrich sich eine Asthmaerkrankung attestieren lässt , um Clenbuterol nehmen zu dürfen... Wie du sagst, der Makel haftet an ihm. Schade.
3
gerosimo
24.08.2012 | 14:00 Uhr
7
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gerosimo : 
24.08.2012 | 14:00 Uhr
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gerosimo : 
@taneu:
Die ärztlichen Bescheinigungen, welche den Radsportlern erlauben, sich mit leistungssteigernden Präparaten aller Art zuzudröhnen, gehören sicherlich zu den schlechtesten Witzen in der Radsportwelt überhaupt.
Hat schon mal jemand einen Profi-Radsportler mit einem Asthma-Anfall gesehen? Mir ist nichts dergleichen bekannt.

Fakt ist, dass Lance Armstrong bereits vor der Hodenkrebserkrankung ein sehr guter und erfolgreicher Radrennfahrer war. Fakt ist ebenso, dass er zu dem übermenschlichen Radrennfahrer wurde, nachdem er den Krebs besiegt hatte. Man kann diese Fakten verschieden auslegen und somit auch für verschiedene Argumentationsrichtungen verwenden.

Wie ich in obigem Blog bereits klargestellt habe, heiße ich Doping nicht gut und weise auch jeden Gedanken in diese Richtung von mir.

Es kann aber einfach nicht richtig sein, dass sein Ansehen darauf reduziert wird, dass er "der größte Doper von allen" war - daher mein Blog mit den dort getroffenen Aussagen.
7
taneu
24.08.2012 | 14:11 Uhr
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taneu : 
24.08.2012 | 14:11 Uhr
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taneu : 
genau das wollte ich eigentlich auch sagen
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gerosimo
24.08.2012 | 14:12 Uhr
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gerosimo : 
24.08.2012 | 14:12 Uhr
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gerosimo : 
@taneu:
Ach?
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Jasper32
24.08.2012 | 14:19 Uhr
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Jasper32 : 
24.08.2012 | 14:19 Uhr
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Jasper32 : 
Du hast zwar mit fast allem Recht was du schreibst, aber wenn er ein ach so großer Mensch und Charakter wäre wie du es in dem Blog darstellst, dann fehlt mir da noch ein Schritt: Sich hin zu stellen und reinen Tisch zu machen. Nicht das abstreiten, was eh schon jeder weiß. Das ist nämlich lächerlich.

Außerdem hat er seine Macht im Peloton mehrfach ausgenutzt um Mitkonkurrenten oder einem Fahrer den er nicht mochte zu schaden. Ich verstehe zwar, dass das in deinen Blog nicht wirklich passt, trotzdem sollte es nicht unerwähnt bleiben.
12
gerosimo
24.08.2012 | 14:34 Uhr
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gerosimo : 
24.08.2012 | 14:34 Uhr
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gerosimo : 
@Jasper32:
Vielen Dank für Deinen Kommentar, der ebenfalls eine richtige Sicht der Dinge beschreibt. Erfreulicherweise eine Sicht, die ebenfalls fundiert ist.

"... dann fehlt mir da noch ein Schritt: Sich hin zu stellen und reinen Tisch zu machen."
Lance Armstrong wird erstklassig juristisch beraten, auch seine politischen Ambitionen sind alles andere als gering. Es ist sicherlich mit in die Waagschale zu werfen, welche Aussagen ihm schaden und/oder nützen und welchen Mehrwert eine "tagebuchähnliche Open-Book-Politik" hätte. Hier spielen zu viele Faktoren zusammen, als dass ich mir anmaßen würde, mir hierzu ein Urteil zu erlauben.

Was ich erschreckend finde in Bezug auf die "Bekämpfung" des Doping-Sumpfes in Deutschland, dass die geständigen Fahrer, die mglw. geläuterten Fahrer und Kronzeugen (z.B. Jörg Jaschke) in ihrem Beruf nie wieder auf die Füsse gekommen sind.

"Außerdem hat er seine Macht im Peloton mehrfach ausgenutzt um Mitkonkurrenten oder einem Fahrer den er nicht mochte zu schaden."
Die Erwähnung an dieser Stelle ist vollkommen ok. Mein Blog hatte, wie Du ja auch erkannt hast, eine andere Intention und war in einigen Punkten sogar ganz bewusst unkritisch gegenüber dem Protagonisten.

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