Samstags, halb vier in Deutschland. Quer durch die Republik sind die Baustellen verwaist, die Kreissägen hängen an den Kränen und die Baucontainer sind abgeschlossen. Nur auf einem Bauplatz herrscht Hochbetrieb: in Leverkusen. Im Schatten der Stahlträger und Betonpfeiler wird an diesem Nachmittag schwer gearbeitet, der Spitzenreiter aus Hoffenheim kommt in die Bau-Arena. Neben den Gastarbeitern aus Baden auch mit am Start: Schiedsrichter Dr. Felix Brych aus München und sein Gespann. Bei der obligatorischen Platzbegehung laufen wir uns über den Weg. Noch ohne Mikro und Premiere-Krawatte, dafür aber mit viel Vorfreude auf das Spiel. Netter und entspannter Plausch am Torpfosten über den tiptop Rasen, das sommerliche Wetter und das dazu passende Cabrio-Feeling in der Arena ohne Dach.

Danach geht jeder wieder seiner Wege: die einen laufen sich warm, die anderen laufen heiß – aufgrund einer unglaublichen Meldung aus dem Nichts: angeblich ein neuer Wettskandal! Die Redaktion in München recherchiert auf Hochtouren, hält die Redakteure in den Stadien auf dem Laufenden. Und die dann mich als Fieldreporter über den Knopf im Ohr.
Brisantes Thema für uns als Team in Leverkusen: der Schiedsrichter der heutigen Partie hat auch eines der Spiele gepfiffen, die im Fokus der neuen Verdächtigungen stehen: Hannover – Kaiserslautern, 26.11.2005, 5:1 Hannover. Nachfragen Pflicht, journalistisches Grundgesetz. Natürlich erst nach dem Spiel.
90 Minuten, sieben Tore und ebenso viele Spieler- und Trainerinterviews später mache ich mich auf den Weg in die Katakomben. Abgefangen vom DFL-Verantwortlichen für dieses Spiel: „Tim, du sollst mal schnell in die Kabine kommen. Felix Brych will wissen, worüber du mit ihm sprechen willst… Aber lass das Mikro hier…!"
Ein Einblick, den man auch als Moderator im Stadion nicht so oft hat. Kleine, aber feine Kabine. Der Rest im Grunde genauso wie ein paar Türen weiter bei den Spielern. Verschwitze Männerkörper in kurzen Hosen, Trikots auf dem Boden, kalte Getränke in der Hand.

Noch bevor der Schiedsrichter die Wahl hat, führe ich den Anstoß in diesem Fall lieber selber aus. Und stelle ungefragt klar, dass ich zu Beginn des Spiels noch nicht wusste, was ich jetzt weiß. Weder von dem neuen Wett-Skandal, noch von seinem Einsatz 2005 in Hannover. Denn dann wäre der Pfosten-Talk vorm Spiel sicherlich anders gelaufen. Und andernfalls ne ziemlich billige Einschleimnummer für das Interview danach gewesen…

„Herr Niedernolte, Sie wissen, ich bin Anwalt. Was immer Sie mich zu der Sache fragen, Sie wissen auch, dass Sie mich durch bestimmte, gezielt formulierte Fragen sehr leicht als Verdächtigen darstellen können. Das möchte ich nicht…" Ich auch nicht. Aber nachfragen, das auf jeden Fall. Ein kurzes Hin- und Her, Brych ist noch wenig begeistert, ich versichere ihm faire Fragen und keine Unterstellungen. „Ok, eine Frage, eine Antwort. Keine Nachfragen." Immerhin, schon mal ein Anfang. Aber dabei kann es nicht bleiben. Ein paar mehr müssen es schon sein, um die ganze Sache auch aus seiner Sicht vernünftig aufzuarbeiten. Entgegen meiner sonstigen Vorgehensweise beim Interview nenne ich ihm die Fragen in diesem Fall schon mal vorab: Bereits von der Meldung gehört? Wann erfahren? Durch wen? Im Nachhinein etwas Auffälliges beim Hannover-FCK-Spiel aufgefallen? Sind Sie schon zu dem Spiel befragt worden?
Ein paar weitere Worte der Überzeugung oben drauf, dazu das Versprechen, keine unfairen Nachfragen zu stellen. „Und ich möchte vorher noch gerne mit dem DFB Rücksprache halten…" - „Kein Problem, Sie duschen, wir warten, und danach treffen wir uns draußen vor der Kamera. Vielen Dank schon mal!"
Keine weiteren Auffälligkeiten eine halbe Stunde später draußen auf dem Rasen. Denn das brisantere Interview fand in diesem Fall schon vorher in der Kabine statt, nur eben ohne Mikrofon.