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06.06.2012 um 08:27 Uhr
Ihr habt doch alle keine Ahnung
Vom Kampf um Anerkennung unter Hobbyexperten

Große Sportereignisse werfen weite Schatten voraus. Da ist nicht nur die Vorfreude auf das Aufeinandertreffen der Besten, die besonderen, scheinbar unvergesslichen Momente und die ganz große Gala, oft schwingt – lange, bevor es losgeht – das Echo tausender, selbst ernannter Fachleute voraus. Da wird gemotzt, gefaucht, verbal gekämpft und manch Meinung bis auf den letzten Ton vernichtet. Ja, es gehört dazu, aber es stört - und wie!


Hahnenkampf

In einem sind sich fast alle (unabhängig voneinander) einig: Ahnung hat man selbst, nur die Anderen leider nicht. Eine gesunde Selbstwahrnehmung könnte helfen, fällt aber nicht jedem leicht. So kann aus einem entspannten Gespräch über das liebste Hobby schnell ein mittelschwerer Hahnenkampf entstehen, der in der Schärfe so manch raubtierhaftem Federvieh Konkurrenz machen könnte. Wer erinnert sich als Sympathisant des deutschen Fußballs nicht an die kürzliche Schmach des Vertreters aus dem Süden der Republik (dessen Identität bereits hier bewusst ausgelassen wird) im Champions League-Finale, bei der sich in Diskussionen schnell zwei Gruppen auftaten:

die Trauma-Truppe
- Weltuntergangsszenarien für den Fußball
- pure Lethargie
- tiefe Wunden offenbarende Wutreden gegen Oligarchen-Clubs

die Nostradamus-Crew
- Allwissenheit über die Unfähigkeit der Offensivabteilung des Verlierers
- Weisheiten über die beliebteste Sportart der Welt (etwa „Am Ende zählt nur das Ergebnis" oder „Es gibt keinen unverdienten Sieg")
- Missgunst für die engagierten, aber glücklosen Verlierer

Allein an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es viel zu vielen Hobbyexperten ist, mit der eigenen Meinung zu provozieren, zu attackieren und zu triumphieren. Als würde sich nach einem gewonnenen Wortwechsel über ein Fußballspiel die eigene Stellung im hart erkämpften Terrain festigen oder verbessern. Sportfans begreifen nicht immer, dass eine richtige Diskussion nicht nur aus abfälligen Bemerkungen oder Fanboy-gleichen Lobeshymnen besteht. Wie zermürbend manch Gespräch dadurch geraten kann, dass es zu schnell nur noch in eine Richtung (Sackgasse) geht, ist nicht unbedingt so populär wie der nächste Beweis der (vermeintlichen) eigenen Überlegenheit im Wettbieten um die Krone des Sportwissens. Dazu fehlt an zu vielen Stellen das Interesse an ernst gemeinten Diskussionen über Sport. Den gut informierten Interessierten wird das auf Dauer wahnsinnig machen, während der Rest weiter auf den ausgetretenen Meinungspfaden spaziert und sich blind in jedes Thema einmischt, um dabei zu sein. Dabei reichen die Beiträge bei vielen Gesprächen nicht über die Länge eines Bild-Nachrichtentitels hinaus, so bissig sind sie selbstverständlich auch. Nur das, was davon bleibt, schmeckt schal und reizt nicht sonderlich.


Verbaler Moshpit

Und wenn es bald wieder auf der internationalen Bühne losgeht, werden die Gespräche noch dünner und lauter. Mehr und mehr beteiligen sich daran und mit wachsender Runde schrumpft der Inhalt auf eine möglichst leicht verbreitbare Suppe, die auch die zu löffeln haben, die mehr wollen als die nächste Runde Sport für Einsteiger. Während das geschieht, findet ein weiteres, ebenfalls bedenkliches Phänomen statt. Da sind diese nörgelnden Sporthasser, die sich dazu genötigt fühlen, auch das große Event zu verfolgen und darüber zu reden, dabei so dermaßen genervt wirken, dass man sich als Interessierter fast ein wenig schämt, sich auch passiv für Sport zu begeistern. Dialoge mit dieser Zunft sind dann aber auch ein Beleg dafür, dass nicht alles zusammenpassen kann. Quasi der naturwissenschaftliche Beweis. Darwin hatte also recht.
Ja, manchmal ist es nicht leicht. Ob Bemerkungen zu Farben von Fußballschuhen, die natürlich auch mal witzig sein können, messerscharfe Analysen des Rasenmusters, Klagen gegen die finsteren Konzerne auf den Werbebanden oder der nächste Versuch dem Spektakel die Magie zu entziehen, indem man auf die fehlende Komplexität des Sports hinweist, ohne die Abseitsregel oder so etwas Befremdliches wie Taktik zu verstehen. In diesen Momenten kann ein Dasein als gefühlter Fanatiker schwer sein, aber die Liebe zum Sport ist groß. Sehr sogar.


Selbsthilfe für anonyme Sportfreaks

So schnell sollte man also nicht davon ablassen, die im Kalender markierten Feiertage zu genießen. Es steht zu viel auf dem Spiel. Diese Liebe zum Sport lässt sich mal einbremsen, aber nie aufhalten. Um aber auch die schwierigen Phasen zu überdauern, folgen hier drei mehr oder weniger ernst gemeinte Ratschläge aus den Archiven der „Selbsthilfegruppe anonymer Sportfreaks":

1. Lerne Unnützes Wissen Fußball: 1.374 skurille Fakten, die man nie mehr vergisst auswendig

Einsatzbereich: aufreibende Diskussionen mit Anderstickern und Euphoriebremsen
Anwendung: Kontern mit Informationen, die den Gegenüber irritieren, verunsichern oder im besten Fall begeistern
Beispiel: „Boah, warum spielen die nicht mal einen Ball in die Spitze?!" - „Bleib locker, für den höchsten Sieg der Geschichte war das auch nicht nötig: 149:0 – 149 Eigentore."
Mögliche Nebenwirkung(en): Diskussionsausschluss (Balkon), Sammer'sche Seufzer

2. Eigne dir eine möglichst exotische Fremdsprache an

Einsatzbereich: Aufeinandertreffen mit permanent jammernden und um Mitleid bettelnden Emo-Fans
Anwendung: Antwort auf Jammerattacken und Heulkrämpfe der umstehenden Fans in Fremdsprache
Beispiel: „Oh, mein Gott. Das kann doch nicht wahr sein. Dieser Gómez!" - „Wu shi sheng fei? Wansui Gómez!"
Mögliche Nebenwirkung(en): Rückfragen in der notdürftig erlernten Fremdsprache, ungewollte Bierdusche

3. Schließe dich dem nächstgelegenen buddhistischen Kloster an

Einsatzbereich: nur für den Ernstfall!
(erhebliche Einschränkung des freien Fan-Daseins durch ständigen Kontakt mit Hobbyexperten oder Sporthassern)
Anwendung: bei Dauerbelastung gilt es sich auf die der Broschüre des buddhistischen Klosters oder Yoga-Centers entnommenen Weisheiten zu besinnen; gerne auch im für alle hörbaren Monolog und in Buddha-Sitzhaltung
Beispiel: (Endspiel – 89. Minute – Spielstand: 0:0 - unberechtigter Elfmeter für die gegnerische Mannschaft)
„Tja, selbst schuld! Ich hab es ja gleich gesagt. Das musste ja passieren." - „Wenn der Wunsch nach Glück ausreichte, um es herbeizuführen, gäbe es keine Leiden, denn niemand sucht das Leid."
Mögliche Nebenwirkung(en): irritierte Blicke, Stille, Einladungen zu Teetischen

Die Tipps wurden noch nicht in freier Wildbahn erprobt. Anwendung auf eigenes Risiko!

Im Idealfall bietet das Spiel auf dem Rasen allerdings soviel, dass es gar nicht notwendig ist, auf die Ratschläge zurückzugreifen. Besser wäre es, denn Sport soll vor allem eines: Spaß machen – egal, ob aktiv oder passiv.


In diesem Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 4384 | Kommentare: 8 | Bewertungen: 13 | Erstellt:06.06.2012
ø 8.6
KOMMENTARE
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GNetzer
06.06.2012 | 09:27 Uhr
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GNetzer : 
06.06.2012 | 09:27 Uhr
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GNetzer : 
Sehr schön, tobzzzzn, wie immer! Ich empfehle für die inhaltlichen Diskussionen ja gerne die Foren in den einzelnen Gruppen. Dort geht es oft ruhiger und sachlicher zu. Wie zum Beispiel in der .
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Schnumbi
06.06.2012 | 10:13 Uhr
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Schnumbi : 
06.06.2012 | 10:13 Uhr
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Schnumbi : 
wie immer von dir STARK !!

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BS31
06.06.2012 | 20:47 Uhr
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BS31 : 
06.06.2012 | 20:47 Uhr
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BS31 : 
klasse ding!
ich geh dann mal ins kloster...
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tobzzzzn
07.06.2012 | 18:45 Uhr
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tobzzzzn : The F-Files
07.06.2012 | 18:45 Uhr
-1
tobzzzzn : The F-Files
Vielen Dank für euer Feedback! =)

Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass es kaum leichter fällt als Freak verschrien zu werden als bei Diskussionen über Fußball? Ist aber nur so ein Gefühl. Vielleicht gibt es irgendwann endlich ein Mystery-Format über Fußball-Fans, bspw.: "The F-Files - Die unheimlichen Fälle der FIFA" mit (Youri) Mulder, aber ohne Scully. In der Pilotfolge "Why always me?" wird untersucht, warum es immer Balotelli trifft, obwohl der doch die fleischgewordene Ausgeglichenheit ist. Ganz vertrackte Sache, das.

Ich wünsch euch allen eine spannende EM (im Kloster wie auf der Couch). =)
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Blahmin
07.06.2012 | 20:37 Uhr
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Blahmin : 
07.06.2012 | 20:37 Uhr
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Blahmin : 
Wieso ohne Scully? Es gibt einen schottischen Torhüter namens Ryan Scully, der spielt bei St. Patrick Thistle.

Und Pat Scully war sogar mal irischer Fußballer des Jahres.
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marcian
07.06.2012 | 20:44 Uhr
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marcian : 
07.06.2012 | 20:44 Uhr
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marcian : 
Super Blog und ich bin beruhigt, dass es nicht nur mir aufgefallen ist, wie einige Leute diskutieren.

Ich find dabei immer extrem nervig, wie einige mit einer ungeheuren Subjektivität Fussball schauen. Da können Hummels und Schmelzer noch so schlechte Leistungen in der Nati abrufen, die sind trotzdem die besten Spieler ever. Oder andersrum: zwei, drei Fehlpässe von Toni Kroos und der sollte direkt aus der Mannschaft geworfen werden.

Da helfen am Ende dann auch keine Statistiken mehr, ja nicht von seiner Meinung abweichen oder Fehler eingestehen..
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Blahmin
08.06.2012 | 00:43 Uhr
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Blahmin : 
08.06.2012 | 00:43 Uhr
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Blahmin : 
Tja und Marcian hat es nicht kapiert. Und schon beginnt der Kreislauf wieder.
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Rumo
08.06.2012 | 13:21 Uhr
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Rumo : 
08.06.2012 | 13:21 Uhr
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Rumo : 
Ich hab den Text mit Genuss gelesen und das Kernproblem viele Diskussionen über Fussball ist so herrlich dargestellt.

Ich frage mich auch oft, was dieses missionarische Verbreiten der eigenen Meinung unter völligen Absprache der möglichen Legitimität einer anderen Meinung für einen Sinn hat?

Geht es da vielleicht um Selbstbestätigung im Internet, dadurch, dass man "siegreich" aus einem solchen Gespräch hervorgegangen ist?

Die drei möglichen Regeln fand ich jetzt nicht ganz so lustig, ist aber vöölig wurscht, weil der rechtliche Text großartig ist.
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