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09.03.2011 um 16:33 Uhr
Hooliganismus - Eine Analyse III
Hier nun der wohl interessanteste Teil, die kulturgenetische Theorie von Heiner Mühlmann:

3.2 Theoretische Modelle: Maximal-stress-cooperation

Nachdem die sozialwissenschaftliche Theorie von Heitmeyer und Peters zum Hooliganismus vorgestellt wurde, soll nun ein ein kulturwissenschaftlicher Ansatz vorgestellt werden. Hierbei handelt es sich um die „maximal-stress-cooperation" von Heiner Mühlmann, kurz MSC, die erstmalig 1996 in „Die Natur der Kulturen" präsentiert wurde. Besonders interessant an der MSC ist, dass sie in ihrer Beschreibung der Evolution von Kulturen Kulturwissenschaften und Naturwissenschaften verknüpft. Bezogen auf den Hooliganismus könnte eine derartige Theorie einen hohen Erklärungswert offenbaren, da die Physiologie des Menschen in die Theorie einbezogen wird.

Im Vorwort zu „MSC – Die Antriebskraft der Kulturen" behauptet Mühlmann, dass alle Arten von Kulturen, darunter auch die Hooligankultur, vom MSC-Prinzip gesteuert würden (vgl. Mühlmann 2005: 9). Für diese Arbeit ist es daher unerlässlich, das MSC-Prinzip sowie dessen Erklärungswert für den Hooliganismus zu erläutern. Die MSC kann aufgrund ihrer hohen Komplexität dabei nur in Kurzfassung wiedergegeben werden.
Nach Mühlmann seien MSC-Ereignisse dadurch geprägt, dass sie maximalen Stress auslösen und starke Kooperationsschübe bewirken. Ein treffendes Beispiel für ein MSC-Ereignis seien somit die Terroranschläge vom 11.September, da sie maximalen Stress und verstärkte Kooperation auf vielen Ebenen bewirkt hätten. Zudem seien als Reaktion nur die Optionen Angriff und Flucht vorhanden (vgl. Mühlmann 2005: 15f).

Der erste zu erläuternde Bestandteil in der MSC ist der Stress, da er den Mechanismus letztlich auslöst. Mühlmann bezeichnet Stress als einen kognitiven Prozess, der durch die Wahrnehmung eines Stressors ausgelöst werde. Es komme zu einer Reaktion im Gehirn, bei der eine verstärkte Produktion der Hormone Adrenalin, Cortisol und Noradrenalin erzeugt werde. Dies resultiere in einer Verstärkung der Herz-Kreislauftätigkeit und in einer Schwächung von Stoffwechsel, Immunkompetenz und Sexualaktivität, was einer Angriffs- oder Fluchtaktivität entspreche (vgl. Mühlmann 2005: 16f). Wird diese Angriffs- oder Fluchtaktivität im Anschluss positiv bewertet, erreiche das betroffene Individuum die Relaxationsphase, in der die Produktion der Stresshormone absinke und die Produktion der Sexualhormone ansteige (vgl. Mühlmann 2005: 19f). Die Rubrik S bezeichnet nach Mühlmann erfolgreichen Stress und die bei der Bewältigung verwendeten Regelkomplexe, die Rubrik R bezeichnet die poststressale Relaxationsphase und die dieser Phase verwendeten Regelkomplexe.

Die Regelkomplexe des erfolgreichen Stress prägen sich aufgrund der ausgelösten Emotionen stärker ein als die Regelkomplexe der Relaxationsphase, weshalb eine Rangordnung der Regeln entstehe, in der die Regelkomplexe des erfolgreichen Stresses über denen der Relaxationsphase stehe (vgl. Mühlmann 2005: 30f). Erfolgreiche Regelanwendung führe dann ihrerseits dazu, dass die verwendeten Regeln sich in das Körpergedächtnis vieler Individuen einpräge. Dieses Phänomen benennt Mühlmann als „Enkulturierung". Daraus folgert Mühlmann, dass Kulturen „mit Hilfe eines Quotienten, der ausdrückt, welche Prozentzahl der Individuen von welchen Regeln so stark „enkulturiert" ist, dass bei der Regelanwendung „jeder Hangriff sitzt", beschrieben werden können (vgl. Mühlmann 2005: 25).

Um die MSC weitergehend zu erläutern, muss zunächst das Kürzel maximal erklärt werden. Mühlmann versteht maximal stress als Todesangst. Dementsprechend geht es bei der MSC um Todesangst, welche auf kooperierende Gruppen einwirkt. Hierbei macht Mühlmann das Problem aus, dass Kooperation stets ein Konfliktpotenzial enthalte (vgl. Mühlmann 2005: 29). Dieses Konfliktpotenzial werde bei auf Gruppen einwirkendem maximiertem Stress nach Außen, zum Beispiel auf andere Gruppen, gelenkt. Im Innern der Gruppe hingegen komme es zur Kooperation und Relaxationsphase (vgl. Mühlmann 2005: 31). Daraus folgert Mühlmann, dass „die Scheidung von Kooperation und Konflikt" und die damit zusammenfallende, oben beschriebene Erzeugung eines emotionalen Regeleinstellungssystems mit den Polen erfolgreicher Stress und Relaxation die „wichtigste funktionale Eigenschaft der MSC-Maschine" sei (Mühlmann 2005: 32).

Für die Übertragung der MSC auf den Hooliganismus ist es außerdem von zentraler Bedeutung, dass durch MSC Ereignisse kulturelle Gruppen gebildet würden. Der Grund dafür sei die Auslösung starker Emotionen bei MSC Ereignissen, welche ihrerseits wieder zur oben beschriebenen Enkulturierung führen (vgl. Mühlmann 2005: 36f).

Beschreibt man den Hooliganismus durch die MSC, ergibt sich dem Betrachter ein interessantes Bild, welches mit einem Beispiel verdeutlicht werden soll:
Eine kooperierende Gruppe von Fussballfans besucht ein Spiel ihrer Mannschaft, in dem es um den Klassenerhalt geht. Die gegnerische Mannschaft geht durch ein Tor in Führung, was die Spieler ausgelassen feiern. Gleichzeitig feiern die gegnerischen Fans den Treffer durch laute Sprechchöre. Die kooperierende Gruppe von Fussballfans nimmt den Stressor kognitiv wahr, was wiederum in einer Stressreaktion resultiert. Der Adrenalin-, Noradrenalin- und Cortisolspiegel steigen langsam an. In der 90. Minute trifft die gegnerische Mannschaft zum 2:0, der Abstieg der eigenen Mannschaft steht fest. Auf die kooperierende Gruppe wirkt maximaler Stress ein. Die kooperierende Gruppe wählt die Option Angriff auf die gegnerischen Fans. Das Konfliktpotenzial wird nach außen getragen, untereinander kooperiert die Gruppe. Bei der Auseinandersetzung wird die kooperierende Gruppe von der Polizei in Gewahrsam genommen. Trotzdem bewertet die kooperierende Gruppe die Aktion als erfolgreichen Stress, was dazu führt, dass die Individuen die Relaxationsphase erreichen. Zudem werden die beim erfolgreichen Stress verwendeten Regeln enkulturiert, weil bei der Aktion starke Emotionen ausgelöst wurden.
Die im erfolgreich bewerteten Stress verwendeten, nun enkulturierten Regelkomplexe stehen somit an oberster Stelle der Regelskala, die Gruppe kooperierender Fussballfans wird durch den Regelkomplex Gewaltanwendung bei Stress definiert. Eine Subkultur des Hooliganismus mit dem Unterscheidungsmerkmal Gewaltanwendung kristallisiert sich heraus.

Hier gehts weiter zu Teil IV, dem Fazit: Linkbeschreibung


Aufrufe: 2771 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 1 | Erstellt:09.03.2011
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