HSV: "Saison zum Vergessen" als Hoffnungsbringer

Seit gestern ist es amtlich: Der HSV hat die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte gespielt. Platz 15, 36 Punkte, 57 Gegentore - Am Ende steht der Nicht-Abstieg. Was aber bedeutet diese Spielzeit für die nähere Zukunft des Bundesliga-Dinos?

Fehlstart und Trainer-Entlassung

Mit einem von Frank Arnesen zusammengestellten Kader ging der HSV in eine Saison, die im Zeichen des Umbruchs stehen sollte. Mit jungen Spielern - hauptsächlich aus der Reserve von Chelsea - sollte dem Verein ein neues Gesicht gegeben werden. Die blutleeren Auftritte der Vorsaison mit einem überaltertem Kader sollten Fußballfesten mit hungrigen Spielern weichen.
Frank Rost, Ze Roberto, Ruud van Nistelrooy und Eljero Elia sind nur einige Beispiele einer prominent besetzten Verkaufsliste, Michael Mancienne, Gökhan Töre, Jeffrey Bruma und einige weitere meist unbekannte Spieler sollten diese ersetzen.

Entsprechend uneingespielt und naiv agierten die Hamburger in den ersten Wochen der Saison. Einem Zitterspiel im Pokal (2:1 gegen VfB Oldenburg) folgte die Vorführung gegen Borussia Dortmund, die weitaus schlimmer hätte enden können.
In den ersten sechs Spielen konnte die Mannschaft nur einen Punkt holen und stand zu Recht am Ende der Tabelle. Michael Oenning konnte der Mannschaft - das hatte sich in der Vorsaison schon angedeutet - keine Struktur oder eine Spielidee geben und musste den Platz auf der Bank räumen.

Die Suche nach dem richtigen Trainer

Nach der Entlassung von Oenning betreute zweimal Rodolfo Cardoso die Mannschaft, bevor er sich wieder der 2. Mannschaft widmete und die Führung an Sportdirektor Frank Arnesen abgab. Dieser konnte sein einziges Bundesligaspiel als Trainer gegen den SC Freiburg gewinnen und Thorsten Fink als neuen Trainer präsentieren.
Dieser schaffte das, was Oenning zuvor vermissen ließ: Er brachte eine eigene Spielidee mit ein, die beinhaltete, dass die Außenverteidiger sich bei Ballbesitz weit nach vorne orientierten und sich ein "Sechser" zwischen die Innenverteidiger fallen ließ.
Mit diesem System blieb Fink neun Spiele am Stück ungeschlagen und führte die Rothosen ins Tabellen-Mittelfeld. Das Aus im DFB Pokal gegen den VfB Stuttgart war nach dieser Serie der einzige Wermutstropfen der Hinserie unter Finks Leitung.

Rückrunde mit Höhen und Tiefen

In der Rückrunde fand der HSV die Konstanz des zweiten Teils der Hinrunde nicht wieder und desaströse Auftritte wie gegen Dortmund (1:5) wechselten sich mit guten Spielen wie gegen Bayern (1:1) ab. Durch eine Niederlagenserie von vier Spielen zwischen dem 24. und 27. Spieltag rutschte Hamburg erneut in die Abstiegsränge und vor dem Spiel gegen Schlusslicht Kaiserslautern machte sich das erste Mal in meinem Fan-Dasein die Angst eines eventuellen Abstiegs in mir breit.

Zwar konnte das Spiel glücklich gewonnen werden, das Ende der Abstiegssorgen waren die drei Punkte dennoch nicht. Der Meilenstein für die Rettung meines Vereins war wohl das Heimspiel am 31. Spieltag gegen Hannover, vor dem die Supporter eine großartige Choreo vorbereiteten. Über 50.000 Schilder mit der Aufschrift "Wir für euch! Ihr für uns! Nur der HSV!" wurden verteilt und sorgten schon vor dem Anpfiff für Gänsehautstimmung. Mitgerissen von dieser Fan-Initiative gewann die Mannschaft mit 1:0. Ein Schlüssel für den Erfolg war für mich die Entscheidung von Thorsten Fink, vom üblichen Spielsystem abzuweichen und verstärkt mit langen Bällen zu agieren.

Abschiede von verdienten Spielern

Am vorletzten Spieltag konnte gegen Mainz 05 nicht nur der Klassenerhalt gefeiert werden. Zusätzlich wurden mit Mladen Petric und David Jarolim zwei verdiente Profis unter Standing Ovations, großem Applaus und Tränen verabschiedet. An einen so emotionalen Abschied eines HSV-Spielers kann ich mich nicht erinnern. Danke, Jaro, danke, Mladen. Mit Romeo Castelen wurde ein weiterer Spieler verabschiedet, der sein Potential auf Grund von vielen Verletzungen leider viel zu selten zeigen konnte.

Was hat diese Saison für Auswirkungen auf die nähere Zukunft?

Ich denke, dass in dieser Saison der Grundstein für eine erfolgreichere Zukunft gelegt wurde. Dies klingt nach Platz 15 und vielen spielerischen Offenbarungseiden erst einmal paradox, macht meiner Meinung nach bei näherem Betrachten der Situation Sinn: Sowohl die Zuschauer, als auch die Mannschaft und sportliche Leitung haben erkannt, dass der HSV von früheren Erfolgen weit entfernt ist und sich im Umfeld und der Spielweise einiges ändern muss, damit der Verein wieder auf die richtige Spur kommt.

Ein Indiz dafür, dass die Situation erkannt wurde, war für mich die nicht aufkommende Trainerdiskussion um Thorsten Fink, als dieser in der Rückrunde nicht mehr punkten konnte. Fink und Arnesen werden - da bin ich zuversichtlich - eine Mannschaft zusammenstellen, die Finks Spielidee und dem neuen Weg der Rothosen entspricht; sofern der Aufsichtsrat mitspielt.
Wenn diese junge Mannschaft zu Beginn der Saison ein machbares Programm hat und nicht erneut von Anfang an in die Abstiegszonen rutscht, wird der Verein wohl ruhiger arbeiten könne als in den vergangenen Jahren, da von den Fans wohl so schnell keine Unmutsäußerungen kommen sollten wenn der HSV "nur" im Mittelmaß spielen sollte. Auch die schnelllebigen Hamburger Medien werden voraussichtlich nicht mehr den Europapokal als Mindestziel ausschreiben.

Genau das ist für mich der Schlüssel für die nächsten Jahre, in denen konstant und kontinuierlich gearbeitet werden muss. Waren bislang Vereine wie Schalke und Leverkusen Vor- und Leitbild, so sollte sich der HSV nun an Mainz 05 und Nürnberg orientieren, die vormachen, dass man mit ruhiger und gelassener Arbeit eine gute Rolle in der Bundesliga spielen kann. Dass der HSV darüber hinaus das größere Potential hat (Stadion, Metropole, Tradition) ist hinreichend bekannt.

Die Ansage von Frank Arnesen, nächstes Jahr "in die Top 8 zu wollen" war für mich das falsche Signal, aber wohl den Emotionen direkt nach dem Klassenerhalt geschuldet. Für mich sollte Platz 10 das Ziel für die kommende Saison sein. Bei einem leichterem Startprogramm als in dieser Saison ist diese Platzierung durchaus realistisch.

In diesem Sinne, "wir für euch! Ihr für uns! Nur der HSV!"

Alexander Siegmund