19.06.2009 um 00:21 Uhr
Ein neues Kapitel der DFB-Elf
Ashkan Dejagah ist 1,81 Meter groß, hat dunkle Haare, iranische Wurzeln - und ist einer von neun Gründen für viele, mal mehr, mal weniger sportaffine Internetseiten, das Thema "multikulturelles Deutschland" in Verbindung mit der U21-Nationalmannschaft aufzugreifen. Dies ruft natürlich auch den ein oder anderen Kritiker auf den Plan, der, Web 2.0 sei Dank, seine Meinung direkt unter den Artikeln platzieren kann.
Fielen die Artikel der Internetpresse noch relativ neutral aus, so hagelt es nun verbalisierte Wutausbrüche in diversen Foren.
Die Quintessenz dieser Meinungen teilte mir nun auch kürzlich ein Bekannter mit; nicht repräsentiert fühle er sich als Deutscher von dieser Auswahl, die ja grösstenteils nicht einmal die Nationalhymne mitsinge - ergo sei die DFB-Elf für sie eher eine Erfolgs- als eine Herzensangelegenheit. Soweit also eine ganz normale Stammtischmeinung - wäre da nicht der nationale Hintergrund dieses Bekannten. Er selbst trägt einen Namen der eindeutig auf polnische Vorfahren hinweist. Dennoch wäre er wohl der erste, der Frau und Kind verlassen würde, um Deutschland bei einer Fussball-WM zu vertreten. Ein Patriot. Ein Deutscher. Der Migrationshintergrund aber bleibt, auch wenn er noch so viele Generationen zurückliegt. Dass nun ausgerechnet er sich in dieser Angelegenheit in seinem Patriotismus angegriffen fühlt wundert und belustigt mich zugleich.
Und was ist schon das Singen der Hymne? Als ich bewusst die erste WM verfolgte war ein singender Nationalspieler im DFB-Dress auch eher eine Seltenheit, gestört hat es mich das als "reinen" Deutschen nie. Warum auch? Ich glaube dass es gerade in diesem Land kaum einen patriotischeren Akt gibt als für dieses zu spielen - abgesehen vom Ballermann-Besuch mit Adiletten und Bierbauch versteht sich.
Doch schon vor der Nachwuchs-EM rumorte es im kollektiven Bewusstsein der deutschen Fussball-Fans: Mesut Özil hat eine, nach eigener Aussage leicht gefällte, Entscheidung getroffen: Das DFB-Trikot soll in Zukunft weiterhin das sein, welches er sich vor Länderspielen überstreift. Die Reaktion im Netz war eine Ähnliche wie sie es jetzt ist. Ich persönlich musste mich stark wundern. Vor nicht all zu langer Zeit beendete ein ehemaliger Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, wie Mesut Özil sie hat, seine Profi-Karriere. Der gab sein Debut in der Nationalmannschaft allerdings nicht wie Özil 2009, sondern bereits, sage und schreibe, im Jahre 1995. Die Rede ist von Mehmet Scholl, Sohn einer Deutschen und eines Türken, der, bevor seine Mutter ein zweites Mal heiratete, noch Mehmet Yüksel hieß. Die Unterschiede zu Özil liegen klar auf der Hand - sowohl Optik als auch der Nachname (unter dem er bekannt wurde) liegen viel näher an der Deutschen Norm als dies beim jungen Werderander der Fall ist. Sind die Verfechter einer ""deutschen"" Nationalelf etwa so oberflächlich? Offensichtlich ja. Sollte man sie deswegen noch ernstnehmen können? Definitiv nein.
Überhaupt; wenn ich mich heute von einer Nationalmannschaft nicht repräsentiert fühlen würde, dann wäre das Eine die komplett aus Spielern mit Namen a la Maier, Mair, Meyer, Müller und Schwarzenbeck bestünde. Wenn ich S-Bahn fahre, durch die Innenstadt oder einfach Feiern gehe, so sehe ich eben ein multikulturelles Deutschland - eines das ich mag und schätze.
Natürlich ist der multikulturelle Aspekt bei Neun von Elf Spielern in der Startelf sehr präsent - anstatt uns daran aufzureiben sollten wir uns aber eher darüber freuen. Es gibt wieder 9 neue Vorbilder für Jugendliche die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben. Ich höre von den meisten meiner Freunde mit einem solchen Hintergrund oft dass mit der Zeit ein Gefühl innerer Zerissenheit entsteht oder, wie es in einem Interview mit dem afrodeutschen Rapper Samy Deluxe bezeichnet wurde, "das Gefühl sich als Mensch mit brauner Haut als Ausserirdischer zu fühlen". Neben einem, in Teheran geborenen und einem in Deutschland augewachsenen Dejagah, gibt es eben auch die Brüder Altintop oder Yildiray Bastürk, die in der BRD geborden wurden, aber trotzdem für die Türkei spielen.
Für welches Land die Migrantenkinder spielen, oder ganz allgemein gesagt, welches der 2 Herzen in ihrer Brust höher schlägt, entscheidet freilich nicht nur die Anzahl der Vorbilder - es ist auch eine Frage der sozialen Integration, die wiederrum nicht nur von der nationalen Herkunft sondern auch von der sozialen Schicht, aus der der Heranwachsende stammt, affektiert wird. Und das ist eher eine Angelegenheit der Politik als die des Sports. Dennoch müssen wir uns damit abfinden dass gerade jetzt, wo die Migrantenkinder in Deutschen Auswahlen präsent sind, auch unser Sport politisiert wird, nein, politisiert werden muss. Auch wenn es nicht alle Integrationsprobleme in Deutschland beheben wird, so haben wir Sportfans die Möglichkeit zur Lösung beizutragen. Indem wir erkennen dass sich nationale Identitäten nun mal verändern - Grüße an meinen oben erwähnten Bekannten. In dem wir uns, ganz pathetisch gesagt, die Hände reichen.
Das selbe Trikot tragen wir schonmal, sei es als Fan oder als Leistungssportler. Eine Basis ist das allemal.
Fielen die Artikel der Internetpresse noch relativ neutral aus, so hagelt es nun verbalisierte Wutausbrüche in diversen Foren.
Die Quintessenz dieser Meinungen teilte mir nun auch kürzlich ein Bekannter mit; nicht repräsentiert fühle er sich als Deutscher von dieser Auswahl, die ja grösstenteils nicht einmal die Nationalhymne mitsinge - ergo sei die DFB-Elf für sie eher eine Erfolgs- als eine Herzensangelegenheit. Soweit also eine ganz normale Stammtischmeinung - wäre da nicht der nationale Hintergrund dieses Bekannten. Er selbst trägt einen Namen der eindeutig auf polnische Vorfahren hinweist. Dennoch wäre er wohl der erste, der Frau und Kind verlassen würde, um Deutschland bei einer Fussball-WM zu vertreten. Ein Patriot. Ein Deutscher. Der Migrationshintergrund aber bleibt, auch wenn er noch so viele Generationen zurückliegt. Dass nun ausgerechnet er sich in dieser Angelegenheit in seinem Patriotismus angegriffen fühlt wundert und belustigt mich zugleich.
Und was ist schon das Singen der Hymne? Als ich bewusst die erste WM verfolgte war ein singender Nationalspieler im DFB-Dress auch eher eine Seltenheit, gestört hat es mich das als "reinen" Deutschen nie. Warum auch? Ich glaube dass es gerade in diesem Land kaum einen patriotischeren Akt gibt als für dieses zu spielen - abgesehen vom Ballermann-Besuch mit Adiletten und Bierbauch versteht sich.
Doch schon vor der Nachwuchs-EM rumorte es im kollektiven Bewusstsein der deutschen Fussball-Fans: Mesut Özil hat eine, nach eigener Aussage leicht gefällte, Entscheidung getroffen: Das DFB-Trikot soll in Zukunft weiterhin das sein, welches er sich vor Länderspielen überstreift. Die Reaktion im Netz war eine Ähnliche wie sie es jetzt ist. Ich persönlich musste mich stark wundern. Vor nicht all zu langer Zeit beendete ein ehemaliger Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, wie Mesut Özil sie hat, seine Profi-Karriere. Der gab sein Debut in der Nationalmannschaft allerdings nicht wie Özil 2009, sondern bereits, sage und schreibe, im Jahre 1995. Die Rede ist von Mehmet Scholl, Sohn einer Deutschen und eines Türken, der, bevor seine Mutter ein zweites Mal heiratete, noch Mehmet Yüksel hieß. Die Unterschiede zu Özil liegen klar auf der Hand - sowohl Optik als auch der Nachname (unter dem er bekannt wurde) liegen viel näher an der Deutschen Norm als dies beim jungen Werderander der Fall ist. Sind die Verfechter einer ""deutschen"" Nationalelf etwa so oberflächlich? Offensichtlich ja. Sollte man sie deswegen noch ernstnehmen können? Definitiv nein.
Überhaupt; wenn ich mich heute von einer Nationalmannschaft nicht repräsentiert fühlen würde, dann wäre das Eine die komplett aus Spielern mit Namen a la Maier, Mair, Meyer, Müller und Schwarzenbeck bestünde. Wenn ich S-Bahn fahre, durch die Innenstadt oder einfach Feiern gehe, so sehe ich eben ein multikulturelles Deutschland - eines das ich mag und schätze.
Natürlich ist der multikulturelle Aspekt bei Neun von Elf Spielern in der Startelf sehr präsent - anstatt uns daran aufzureiben sollten wir uns aber eher darüber freuen. Es gibt wieder 9 neue Vorbilder für Jugendliche die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben. Ich höre von den meisten meiner Freunde mit einem solchen Hintergrund oft dass mit der Zeit ein Gefühl innerer Zerissenheit entsteht oder, wie es in einem Interview mit dem afrodeutschen Rapper Samy Deluxe bezeichnet wurde, "das Gefühl sich als Mensch mit brauner Haut als Ausserirdischer zu fühlen". Neben einem, in Teheran geborenen und einem in Deutschland augewachsenen Dejagah, gibt es eben auch die Brüder Altintop oder Yildiray Bastürk, die in der BRD geborden wurden, aber trotzdem für die Türkei spielen.
Für welches Land die Migrantenkinder spielen, oder ganz allgemein gesagt, welches der 2 Herzen in ihrer Brust höher schlägt, entscheidet freilich nicht nur die Anzahl der Vorbilder - es ist auch eine Frage der sozialen Integration, die wiederrum nicht nur von der nationalen Herkunft sondern auch von der sozialen Schicht, aus der der Heranwachsende stammt, affektiert wird. Und das ist eher eine Angelegenheit der Politik als die des Sports. Dennoch müssen wir uns damit abfinden dass gerade jetzt, wo die Migrantenkinder in Deutschen Auswahlen präsent sind, auch unser Sport politisiert wird, nein, politisiert werden muss. Auch wenn es nicht alle Integrationsprobleme in Deutschland beheben wird, so haben wir Sportfans die Möglichkeit zur Lösung beizutragen. Indem wir erkennen dass sich nationale Identitäten nun mal verändern - Grüße an meinen oben erwähnten Bekannten. In dem wir uns, ganz pathetisch gesagt, die Hände reichen.
Das selbe Trikot tragen wir schonmal, sei es als Fan oder als Leistungssportler. Eine Basis ist das allemal.
Aufrufe: 7448 | Kommentare: 42 | Bewertungen: 58 | Erstellt:19.06.2009
ø 9.2
KOMMENTARE
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20.06.2009 | 12:24 Uhr
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Des Weiteren bin ich der Meinung, dass du es dir mit der Aussage "glaube dass es gerade in diesem Land kaum einen patriotischeren Akt gibt als für dieses zu spielen" zu leicht machst. Ein Özil beispielsweise doch genau, dass die Türkei bis auf einige Ausnahmesituationen bei den WMs oder EMs so gut wie keine Rolle spielt; da liegt es doch nahe, sich für ein Land zu entscheiden, das einem mehr Aufmerksamkeit bietet. Oder ein Podolski: Tut mir Leid, aber wenn ein deutscher Nationalsipeler bei einem Tor nicht jubelt (zur Erinnerung: Gegen Polen), dann ist das für mich kein deutscher Nationalspieler, dann hätte er sich halt für Polen entscheiden sollen, wenn ihm das Land so am Herzen liegt.
Es ist doch absolut bezeichnend, dass nur die Deutschstämmigen Neuer und Höwedes und von denen mit Migrationshintergrund Castro mitgesungen hat - tut mir Leid, aber wenn ich nicht 100% zu meinem Land stehe, dann ist das für mich auch kein Deutscher.
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20.06.2009 | 14:31 Uhr
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Meiner Meinung nach zu Unrecht, weil die, die ihn kritisieren seine Umstände nicht kennen. Was wenn ihm danach Einreisen in den Iran verweigert werden? Was wenn seine Verwandten im Iran darunter zu leiden hätten (Entlassung, überwachung etc.)?
Diese Folgen wären mir ein blödes Fußballspiel nicht wert.
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Edit: Hatte mich verschrieben, ich meinte natürlich Israel
Danke an THOG für den Hinweis
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20.06.2009 | 15:08 Uhr
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marc1610 : Guter Ansatz...
Ich finde deinen Blog durchaus gelungen. Allerdings habe ich ihn dennoch nur mit 6 Punkten bewertet, was ich wie folgt begründe - zwar stimm ich dir weitestgehend zu, dass die Situation in der neuen U21-Elf für die Integration in Deutschland nur von Vorteil sein kann, doch ich glaube, dass du das Ausmaß der Effektivität überschätzt. Natürlch identifizieren sich Ausländer bzw. Deutsche mit Migrationshintergund eher mit diesem neuen Team. Dies ist vor allem auf die Optik, aber auch auf die angesprochene Klasse Deutschlands zurückzuführen (Deutschland steht an zweiter Stelle der ewigen FIFA-Tabelle), meiner Meinung nach hast du diesen Gedanken aber nicht weit genug ausgeführt - an dieser Stelle will ich, wie der Eine oder Andere vor mir, das Beispiel "Les Bleues" heranziehen. Die französische Nationalmannschaft besteht seit mehr als einer Dekade aus überwiegend Spielern, die ihre Wurzeln in Marokko (Platz 55), Algerien (Platz 66) etc. haben. Europa- und Weltmeisterschaften schweißen Franzosen und Immigranten zwar während des Wettbewerbs zusammen, dies ist allerdings meist nur von kurzer Dauer, und die Situation danach entspicht der Ausgangslage (im Extremfall mit brennenden Autos). Ich gehe davon aus, dass es bei uns ähnlich ablaufen wird, wenn nicht sogar in schwächerem Ausmaß, da beispielsweise die Türkei an zwölfter Stelle der FIFA-Weltrangliste steht (Russland sogar an 9) und immer wieder für eine überraschung gut ist (im Vergleich zu Algerien und Marokko).
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20.06.2009 | 15:08 Uhr
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marc1610 : ...schlecht ausgeführt
Soweit zu der "positiven" Seite des Prozesses. Auf der anderen Seite stehen natürlich die "reinen" deutschen Anhänger. Diese, wenn auch mit tiefverwurzeltem Migrationshintergrund wie dein Freund (hier kann ich RoterTeufel nur zustimmen - und so lange man sich als Deutscher fühlt ist man in meinen Augen auch Deutscher), können sich, wie ich von jeder Seite höre und auch selbst nich anders emfinde, nur noch schwerlich mit Spielern, die aus Ablehnung Deutschlands oder aus Respekt vor dem "eigenen" Land, die Nationalhymne nicht mitsingen, identifizieren. Bis 1974 war die Ehre, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen Gehalt genug. Ich bin davon überzeugt, dass kein einziger der neuen U21-Kicker mit auländischen Wurzeln damals für Deutschland gespielt hätte...
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20.06.2009 | 15:14 Uhr
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Ich gebe dir absolut recht, ist doch egal ob man Özil oder Schneider heißt oder ob man die Hymne mitsingt oder nicht, hauptsache man trägt den Adler mit Stolz!
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20.06.2009 | 16:49 Uhr
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uk38 :
Weltklasse! 10 Punkte! Einer der besten, die ich je gelesen habe..Diese Jungs sind echte Vorbilder für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Denn wegen diesen Jungs, fangen Jugendliche mit Migrationshintergrund an, sich ebenfalls mit Deutschland zu identifizieren.
Finde es super. Als Deutsch-Türke.
Eine klasse Entwicklung..
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20.06.2009 | 17:28 Uhr
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Nicht nur weil er gut geschrieben wurde - sondern auch, oder gerade weil ich daraus eine gute Diskussion entwickelt hat. Was ja eigentlich einen guten Blog ausmachen sollte.
Häufig beschränken sich die Kommentare auf "Geiler Blog", "Scheiss Blog" oder sinnloses Gebashe - hier ist das aber wie gesagt anders. Teilweise wurden sehr differenzierte Meinungen abgegeben - was mir wirklich gut gefällt und das Lesen der Kommentare wirklich interessant macht.
Also nachträglich 10 Punkte für den Blog und die User die sich ernsthaft mit dem Thema in Form von guten Kommentaren auseinandersetzen!
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20.06.2009 | 18:12 Uhr
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Mathieu1312 : Glückwünsche
Habe hier selten einen so professionell ausgearbeiteten Beitrag gelesen.Nicht nur,dass das Thema ein interessantes ist, sondern auch an tollen Beispielen und Argumenten aufgehangen wurde.
Würde mich um weitere Einträge deinerseits freuen.
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22.06.2009 | 12:12 Uhr
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FabianPramel : @winter2
stark wäre gewesen wenn du argumente vorgelegt hättest, anstatt dich hier aus zu kotzen, aber sehen wir der wahrheit doch mal ins auge... für "rassenhass" gibt es keine argumente - nur "KOTZE"
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Mit Spielern wie Özil, der in Deutschland geboren ist und trotzdem noch nicht mal akzentfrei Deutsch spricht oder einem Dejagah, der Verletzungen vortäuschen muss, um nicht gegen Israel spielen zu müssen (tut mir Leid, aber dann soll er halt für den Iran spielen), kann ich mich beim besten Willen nicht identifizieren; das sind keine Spieler, die ich in eine Reihe mit Fritz Walter, Franz Beckenbauer oder Uwe Seeler stellen würde, nicht mal in eine mit Tobias Rau, Marco Haber oder Ingo Hertzsch.