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19.10.2012 um 14:45 Uhr
Diego - Im Rausch der Tiefe 2/4
Wir schreiben das Jahr 1984. Es ist die Nacht zum 1. Juli und Maradona unterschreibt ganze 140 Minuten vor Ende der Transferperiode auf dem Flughafen von Barcelona seinen Vertrag. Aberwitzige 24 Mio. DM kostet es Neapel, den Star zum Vesuv zu locken. Neapel, das ist Fußballeuphorie pur, aber auch notorische Erfolgslosigkeit. Als der Spielmacher in Neapel ankommt stehen nur zwei Pokale im Trophäenschrank des Klubheims. Zwar hat er da schon ein Kokainproblem, aber er wird erst in den folgenden Jahren sein Leistungszenit erreichen – auf dem Platz und auf dem Spiegel. Als er mit dem Helikopter eingeflogen und vorgestellt wird, stürmen 80.000 das Stadion San Paolo. Er jongliert ein wenig und verspricht laut „Ballesterer": „Ich möchte das Idol der armen Buben in Neapel werden, denn sie sind so, wie ich in Buenos Aires war." Worte, die gut ankommen und neuen Glanz im verschmutzten Neapel verkünden. In der ersten Saison erreicht man einen ordentlichen achten Platz, im Jahr darauf und mit Verstärkung wird man bereits Dritter. Im Sommer 1986 sollen dann Maradonas Träume endlich wahr werden: nächste Weltmeisterschaft, aber diesmal bitte mit dem Titel.



Eigentlich erwartet niemand etwas von der Albiceleste. „Es war eher die Frage ob Platini oder Zico als beste Spieler der Welt auftreten würden", erinnert sich Maradona in einer Sky-Reportage. Was da noch niemand weiß ist, dass diese WM die einzige sein wird, die jemals von einem einzelnen Spieler gewonnen wird. Ein paar Zahlen belegen seine totale Dominanz: Er ist an zehn von 14 argentinischen Toren beteiligt. Laut Castrol Edge Index schießt oder bereitet er mehr als die Hälfte aller Schüsse seines Teams vor, hat mit 90 Dribblings dreimal mehr als jeder andere Spieler, wird 53 Mal nur durch ein Foul gestoppt und holt dadurch zweimal mehr Freistöße für sein Team heraus als jeder andere Spieler. Doch abseits emotionsloser Zahlen bleiben vor allem vier Minuten gegen England in ewiger Erinnerung. Statistik schießt nun mal keine Tore, Diego schon. Argentinien gegen England, es ist ein Spiel auf dem besonders der Falklandkrieg von 1982 lastet. Der Konflikt besteht im Prinzip bis heute, doch 1986 sind die Wunden der unterlegenen Argentinier noch frisch. Diese vier Minuten spiegeln das Wesen von „El Diez" in eindrucksvoller Weise wieder. Es ist der schmale Grat zwischen Wahnsinn und Genialität. Hier der Lausbub, der zu unfairen Mitteln greift und damit durchkommt. Dort der geniale Spieler, der in einem Viertelfinale einer Weltmeisterschaft gegen den großen Rivalen ein Tor schießt, das an Größe und Bedeutung unerreicht ist und den Gegner der Lächerlichkeit preisgibt.

Maradona vs. England

So steigt Maradona in der 51. Minute zum Kopfballduell gegen den 20cm größeren Torwart Peter Shilton. Er reißt den Arm hoch und „köpft" den Ball mit der Hand über Shilton hinweg. Der 1,67m-kleine Spielmacher dreht jubelnd ab, die Engländer protestieren. Wirklich verwunderlich ist die Aktion nicht, nutzt er doch häufiger die Hand im Laufe seiner Karriere. Der Argentinier spricht da gerne von „Kreativität". Wenn er mit dem Fuß nicht mehr weiter weiß muss er halt eine andere Lösung finden. Man kann die meisten großen Momente der Fußball-Geschichte wohl leicht mit einer Schaufel Pathos überbewerten, aber die „Hand Gottes" im Spiel gegen England, steht wohl wirklich für viel mehr als es ein erster Blick auf die Unsportlichkeit erahnen lässt. Das „kleine" Argentinien erhebt sich gegen die Großmacht England. Um da bestehen zu können muss man auch mal tricksen. Die Mittel sind dabei fast egal. Für den englischen Trainer ist es „die Hand eines Lausbuben", für Diego ein „wenig die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf". Vier Minuten später legt er mit einem famosen Lauf über mehr als die Hälfte des Platzes und an der Hälfte der englischen Mannschaft vorbei nach. „Selbst Tyson hätte mich nicht aufgehalten", stellt Maradona klar. Er erzielt das „FIFA-Tor des Jahrhunderts" und meint später über seinen Doppelpack: „Das erste Tor war so, wie wenn man einem Engländer die Handtasche raubt ... und das zweite hat alles zugedeckt." Auch im Halbfinale gegen Belgien schießt er ein Traumtor und spielt den entscheidenden Pass auf Burruchaga im Finale gegen Deutschland zum 3:2-Endstand. Argentinien ist Weltmeister und Maradonas goldene Jahre fangen an.



Innamorato so'

Wieder zurück in Neapel fängt das Märchen an. 1987 wird „l’anno dello scudetto", der für unmöglich gehaltene Titelgewinn in der Serie A. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass eine Mannschaft aus dem Süden die norditalienische Vormacht durchbricht. In dieser Saison vollführt der SSC Neapel seinen eigenen Vesuv-Ausbruch. Am 9. November wird zum ersten Mal seit 30 Jahren Juventus Turin im hohen Norden geschlagen. Am vorletzten Spieltag ist man Meister. In Neapel bricht das Chaos aus. Eine ganze Stadt ist himmel-blau, singt „Ho visto Maradona" und gesteht den Müttern, dass sie einen Mann liebt. Maradona wird durch das ganze Stadion getragen, geschoben und gehoben. Mitten im Trubel spricht er vor laufender Kamera vom „größten Fest seines Lebens". Die Weltmeisterschaft sei „nicht in seiner Heimat gewesen, nicht mit solchen Fans". Die gehen sogar so weit, auf die Mauer eines Friedhofs „Ihr wisst nicht, was ihr verpasst habt" zu sprühen.

In der nächsten Saison geht man erstmals mit der grün-weiß-roten „Tricolore" auf Titelverteidigung. Fans aus dem Norden verhöhnen den „Meister Nordafrikas", doch Neapel scheint zu dieser Zeit nicht von einem anderen Kontinent, sondern von einem entfernten Planeten. Verstärkt durch den Brasilianer Careca wird ein noch nie dagewesenes Offensivfeuerwerk abgefeuert. Maradona, Bruno Giordano und Careca bilden dabei das „Ma-Gi-Ca"-Dreieck und so führt man fünf Spieltage vor Schluss wie selbstverständlich mit fünf Punkten Vorsprung vor dem AC Mailand mit seinen neuen Stars van Basten und Gullit. Doch den Süditalienern geht auf unerklärlicherweise die Luft aus und Milan wird noch Meister. Die verlorene Meisterschaft führt zu wilden Gerüchten. So soll die Camorra Druck auf die Spieler ausgeübt haben, um die drohenden hohen Ausschüttungen der Wettspiele zu umgehen. Bis heute wurde dies nicht bewiesen. Interessanterweise ist ein gewisser Luciano Moggi damals Manager bei Napoli.

Zu Teil 3
Aufrufe: 2861 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 1 | Erstellt:19.10.2012
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