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23.02.2012 um 17:09 Uhr
Die traurige Rekordsaison Teil 2
Eine Saison für die Geschichtsbücher

Die Chronik eines vielleicht zu spontanen Berliner Bundesligisten

Nachkriegszeit und Rekordsaison

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Tasmania durch die alliierten Kontrollbehörden aufgelöst und musste sich 1946 unter dem Namen SG Neukölln-Mitte neu aufstellen. Erst 1949 gelang der Aufstieg in die neugegründete Berliner Stadtliga – schon unter dem sicherlich bis heute bekanntesten Namen SC Tasmania 1900 Berlin.

Mit dem Erreichen der 50er Jahre begann auch die goldene Zeit des Vereins. Mit drei Berliner Meisterschaften zwischen 1959 und 1962 sowie drei Berliner Pokalsiegen durchbrach Tasmania die damalige Phalanx von Tennis Borussia und avancierte zum führenden Club in Westberlin – noch vor der großen Hertha. Dabei gelang ein 3:0 im Poststadion gegen den FC Bayern München um Franz Beckenbauer und Sepp Maier sowie ein legendäres 0:2 im mit 90000 Zuschauern ausverkauften Olympiastadion gegen Uwe Seelers HSV. Dementsprechend groß war natürlich die Enttäuschung, als der DFB den einzigen Berliner Platz für die neugegründete Bundesliga an Hertha BSC vergab. Sofort machten Gerüchte die Runde, dass die Vereinsführung der Hertha Bilanzfälschung begangen haben soll.

1965 wurde Hertha dann doch noch wegen überhöhter Prämienzahlungen aus der Bundesliga ausgeschlossen. Im selben Jahr beschloss der DFB die Bundesliga von 16 auf 18 Teams aufzustocken, so dass die sportlichen Absteiger Schalke 04 und der Karlsruher SC die Klasse halten und ein neuer Berliner Club eine Lizenz bekommen sollte. Dies war allerdings weder der Regionalligameister Tennis Borussia, die in der Aufstiegsrunde gescheitert waren, noch der zweitplatzierte Spandauer SV, der auf einen Aufstieg verzichtete. Letztendlich bekam der SC Tasmania 1900 Berlin den unerwarteten Zuschlag und nahm ihn auch trotz Fehlens jeglicher Vorbereitung an. Der Kader bestand bestenfalls aus Halbprofis und war überhaupt nicht auf die Bundesliga ausgelegt. Das sollte sich dann im Laufe der Saison rächen, wie sich jeder Fußballfan erinnern wird. „Wir sind bewusst dieses Risiko eingegangen. Wir wollten einfach dabei sein." sagt zum Beispiel Verteidiger Atze Becker heute.

Zwei Wochen vor Beginn der Saison erfuhren die Berliner erst von ihrem Segen und hatten alle Mühe, ihre sich im Urlaub befindlichen Spieler nach Berlin zurückzulotsen. Teilweise geschah das nur noch über Radiobotschaften oder ADAC-Fernrufe, um bis nach Spanien und Italien durchzudringen.
Den größten Transfercoup gelang der Tasmania sicherlich mit der Nacht- und Nebelverpflichtung des damaligen Nationalspielers und Italienlegionär Horst Szymaniak vom FC Varese. Aber auch er konnte auf dem Platz nicht den Eindruck vertuschen, dass für die meisten Spieler der Tasmania das Abenteuer Bundesliga und der damit verbundene Profistatus einige Jahre zu früh kam. Die damalige Torhüter-Legende Hans-Joachim Prosinski sagte dazu beispielsweise: „Als Profi verlor ich die Lust am Fußball. Ich wusste oft gar nicht, was ich zwischen den Trainingseinheiten machen sollte. Es fehlte mir die Arbeit."

Die Saison startete noch vor über 80.000 Zuschauern mit einem souveränen 2:0 Heimerfolg gegen den Karlsruher SC. Die ganze Stadt stand Kopf und niemand wagte daran zu denken, dass dieser Sieg vielleicht der letzte für die nächsten 31 Spieltage sein könnte. Allerdings geschah genau das: Tasmania verlor nicht nur die kommenden Spiele reihenweise in exorbitanter Höhe (durch das 0:9 zu Hause gegen den Meidericher SV setzte es die bis dato höchste Heimniederlage der Bundesligageschichte), sondern auch ihren Zuschauerzuspruch. Innerhalb einer Saison sanken die Zuschauerzahlen von beachtlichen 81.500 zum Auftakt auf den ebenfalls bis dato unerreichten Minusrekord von nur 827 zahlenden Gästen gegen Borussia Mönchengladbach. Was aus dieser einzigen und zugleich abenteuerlichen Bundesligasaison des SC Tasmania 1900 Berlin Zählbares übrig geblieben ist, sind nach neuer 3-Punkte-Regelung ganze zehn Zähler, 15 erzielte Tore, ein Auswärtspunkt in Kaiserslautern sowie zwei Heimsiege gegen Karlsruhe und Neunkirchen. Worauf sich allerdings der gemeine Fußballfan und die Medien stürzen, sind die Rekorde, die kein Sportler halten möchte.

Insolvenz und heutige Situation

Erstaunlicherweise spielte der Club nach der Katastrophensaison von 1965/66 die folgenden sieben Jahre eine tragende Rolle in der zweitklassigen Regionalliga und gehörte mit mehreren Teilnahmen an den Aufstiegsausscheidungen weiterhin zur Spitze in der Hauptstadt. Da aber letztlich kein weiterer Aufstieg gelingen konnte und der Verein nie die Lobby bei Fans, Sponsoren und Medien wie vielleicht Hertha BSC oder Tennis Borussia aufweisen konnte, ging Tasmania 1973 aufgrund von 800.000 Mark Schulden in Konkurs.

Unter dem neuen Namen SV Tasmania 73 Neukölln stellte sich der Club sofort neu auf und fing in der Kreisliga C von vorne an. Es folgte der Durchmarsch, bis man 1980 wieder in der Oberliga angekommen war und diese auch elf Jahre halten konnte. Bis heute blieb das aber die höchste Spielklasse des 1973 neu gegründeten Clubs, der sich 2001 nochmals in SV Tasmania Gropiusstadt 73 umbenannte. Heute spielt der Verein zwar nur noch in der siebtklassigen Landesliga Berlin aber definiert sich, ähnlich wie Tennis Borussia, über die doch hervorragende Jugendarbeit.

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Aufrufe: 3692 | Kommentare: 7 | Bewertungen: 14 | Erstellt:23.02.2012
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LeTissier
23.02.2012 | 19:56 Uhr
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LeTissier : 
23.02.2012 | 19:56 Uhr
0
LeTissier : 
Super Serie. Von einem Zuspruch von 80.000 Zuschauern auf 800 innerhalb einer Saison... das muss man erstmal schaffen.
6
dercoolefan
24.02.2012 | 13:53 Uhr
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dercoolefan : sehr sehr gut!!!!
24.02.2012 | 13:53 Uhr
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dercoolefan : sehr sehr gut!!!!
bin jetzt schon ein großer Fan von dir, weiter so. Freue mich schon auf weitere spanende Artikel über längst vergessene Berliner Vereine.
Ich hoffe auch dieser Blog wird wieder so einen großen Zuspruch haben.
4
Gerr_8_ard
26.02.2012 | 02:35 Uhr
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Gerr_8_ard : 
26.02.2012 | 02:35 Uhr
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Gerr_8_ard : 
Grandios! Sehr sehr geile Reihe von dir, danke!
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Dominion
28.02.2012 | 17:41 Uhr
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Dominion : 
28.02.2012 | 17:41 Uhr
0
Dominion : 

Den Berliner Fußball von "damals" kenne ich eigentlich nur aus dem Buch "Elf Freunde müsst ihr sein". Kennt das noch jemand?

Falls die Serien weitergeht: Über Charlottenburg und Spandau würde ich auch gerne was lesen!!

(super Blog, nebenbei bemerkt!)
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Ericinho
29.02.2012 | 06:50 Uhr
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Ericinho : 
29.02.2012 | 06:50 Uhr
0
Ericinho : 
Super Blog... jetzt weis ich auch mal warum die so sang und klanglos abgestiegen sind... Theoretisch konnte der Klub ja nichts dafür.
2
HA_HO_HE
29.02.2012 | 17:45 Uhr
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HA_HO_HE : 
29.02.2012 | 17:45 Uhr
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HA_HO_HE : 
Supa. Daumen hoch...Machst du auch etwas über VFB Einheit zu Pankow? Gegründet vom Gründer des FC Bayern. Da hab ich nämlich mal gespielt
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FunkyPeter
01.03.2012 | 14:02 Uhr
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FunkyPeter : 
01.03.2012 | 14:02 Uhr
0
FunkyPeter : 
Super Blog! Nothing but ten.

Bisher kannte ich nur die Negativ-Rekorde und schlechten Statistiken, wie die meisten anderen wahrscheinlich auch. Immer schön auch mal mehr über die Hintergründe zu erfahren.
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