Über die Sportart Fußball kann man sich ja stundenlang streiten. Was soll dieser Quatsch eigentlich? 22 Millionäre rennen einer Lederkugel über eine Wiese hinterher. Und jetzt? Wie kann dieser Blödsinn jedes Wochenende Millionen von Leute vor die TV-Geräte locken? Was bringt einen halbwegs intelligenten Menschen dazu, sich freiwillig in überfüllte Bahnen zu stürzen, um dann zu noch volleren Betonklötzen zu fahren, in denen man zwei Stunden lang rumschreit?

Vergangenes Wochenende haben all diese Fragen wieder ihre angemessenen Antworten erhalten. Doch erstaunlicher Weise lag das nicht nur daran, dass die fast vier Monate andauernde Sommerpause ein Ende gefunden hatte. Am Samstag beschloss der Fußballgott gegen 23 Uhr sich mal wieder einen, seiner kleinen Scherze zu erlauben. Nach einem spektakulären Fußballwochenende voller Hitze, Überraschungen und toller Tore stand die Auslosung der zweiten DFB-Pokal Runde an. Als Losfee hatte der Bezahlsender „Sky" dieses mal Sophia Thomalla auserkoren. Würde es eine Investigativweltmeisterschaft geben, die Herrschaften des Münchener Sportsenders hätten sie an diesem Tag gewonnen. Denn wer den Mut hat, nicht nur auf Wortakrobatin Esther Sedlaczek, sondern auch noch auf alt bewährte Nobelpreisträgerinnen wie Charlotte Engelhardt oder Jessica Kastrop zu setzen, dem gehört einfach ein Pulitzerpreis verliehen. Sophia Thomalla schloss sich also mit graziler Penetranz diesem weiblichen Kompetenzwaschsalon an und zog kleine Plastikkugeln aus einer Trommel. Hätte mir vor dieser Saison jemand gesagt, dass „Sky" sich karitativ für die Erhaltung der guten, alten „Stummschalt-Taste" einsetzen würde, ich wäre ein wenig überrascht gewesen. Inzwischen begrüße ich jedoch diese kleine Kooperation mit dem deutschen Gesundheitswesen. Vielleicht sollte „Sky" seinen Werbeslogan dann allerdings doch in „Ich seh was besonderes----ich hör NIX! (dieses Jahr in 3D—besonders gut fürs Auge und schön schonend fürs Ohr)" umändern. Unser knackarschiges Schauspieltalent jedenfalls meisterte ihre Aufgabe erstaunlich gut. Mit der schlafwandlerischen Sicherheit eines Oktopusbabys ordnete sie nach und nach gestandene Erstligateams (jedenfalls die paar, die die erste Runde überlebt hatten) unbekannteren Mannschaften zu. Wie es sich eben für eine Losung zur zweiten Pokalrunde gehörte.

Doch dann, ja dann, kam der große Auftritt des (Nackt)Models. Sie besaß doch tatsächlich die Frechheit, Fortuna Düsseldorf ein Heimspiel zu zuordnen. Jener Fortuna, die sich doch überhaupt nur in einem (Halb)Angst auslösendem Skandalspiel in die Erste Liga geschummelt hatte.
Doch der Skandal hatte noch ein zweites Kapitel. Die Echthaarblondine schaffte es doch wahrhaftig der Bengalofortuna ausgerechnet ihren einzigen Hassgegner aus der Ersten Liga zu zulosen, Borussia Mönchengladbach. So kam genau die Begegnung zustande, die am kommenden Wochenende als Bundesligapartie in Düsseldorf ausgetragen werden wird. Genau jene Begegnung, aus der die DFL ein Geisterspiel machen wollte und somit ein Exempel statuieren wollte. Genau die Begegnung, die die Diskussion über die mögliche Abschaffung der Stehplätze neu entfachte.
Nun findet dieses Duell gleich zweimal innerhalb von 9 Wochen statt. Und niemand, wirklich niemand kann etwas dagegen tun. Nicht die DFL, nicht Ralf Jäger, der sich ausdrücklich für die Abschaffung der Stehplätze aussprach und auch nicht Sandra Maischberger mit ihren illustren Fußballfachgästen. Diese Auslosung ist ein Faustschlag in das Gesicht all derer, die den deutschen Fußball revolutionieren wollen und sich nach englischen Verhältnissen in deutschen Stadien sehnen. Dass die Fans der Fortuna nicht als einzige etwas gegen diese Neuerungen haben, zeigten die Banner der Augsburger Fans. Die Inhalte dieser Plakate sprachen sich klar für die Erhaltung der Stehplätze aus. Dass sie beispielsweise in der Sportschau weder erwähnt, noch gezeigt wurden, überraschte nicht.

Trotz mancher negativer Schwingungen hinterließ dieser 25.August dennoch eine klare Message: Fußball ist unberechenbar, eng, chaotisch und laut.
Wenn es nach mir geht, soll das auch so bleiben. Denn genau deswegen ist dieses Los zustande gekommen. Genau deswegen konnte eine Mannschaft wie Fortuna Düsseldorf am Wochenende so unfassbar große Momente erleben und die Bundesliga bereichern. Und genau deswegen fahren Menschen wie ich alle zwei Wochen mit überfüllten Bahnen in irgendwelche Großstädte und stellen sich dort auf abrissreife Betontribünen. (Wenn man dieser Tätigkeit übrigens lange genug nachgegangen ist, kann man auch schon einmal einen derartigen Bericht schreiben, ohne auch nur eine Sekunde besagter Pokalauslosung gesehen zu haben.)

Natürlich muss etwas gegen gewaltbereite „Fans" getan werden und die Sicherheit in deutschen Stadien gewährt werden. Aber wenn ich daran denke, was einst Dietmar Hopp über den modernen Fußball sagte, dann wird mir schlecht: „Das ganze Gerede von Traditionen verstehe ich nicht. Sehr viele Traditionsvereine sind längst verschwunden, oder wollen wir jetzt Fortuna Düsseldorf zurück in die Bundesliga holen? Das ist Marktwirtschaft. Auch im Sport, vor allem im Fußball. Microsoft oder Google würde es mit dieser Denke nie geben." Denkt man diese Philosophie zu Ende, kann das nur bedeuten, dass der deutsche Fußball bald so hemmungslos modernisiert wird, dass am Ende von Stimmung, Stehplätzen und Tradition nicht mehr viel übrig geblieben sein wird. Dann findet die Bundesliga in ein paar Jahren in Stadien statt, die den englischen Stadien gleichen. Auf die Stimmung, die Ticketpreise und das Erlebnis Fußball kann das keinen guten Einfluss haben.

Hoffen wir also mal, dass bald der Rest des Landes merkt, dass auch einflussreiche Persönlichkeiten wie Dietmar Hopp nicht immer recht haben. Hoffen wir, dass sich die Verantwortlichen zu einem Sicherheitskonzept durchringen, dass gewaltbereite „Fans" aus den Stadien fernhält und trotzdem ohne Geisterspiele und Abschaffung von Stehplätzen auskommt. Wenn das gelingt, freue ich mich wie Bolle auf die nächsten 50 Jahre deutschen Fußball und werde weiterhin alle zwei Wochen durch das halbe Land fahren. Nur um am Ende auf einer seltsamen Betontribüne zu stehen und es zu genießen!