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Von: Maxi_FCB
28.10.2014 | 6922 Aufrufe | 3 Kommentare | 8 Bewertungen Ø 6.6
Radamel Falcao
Der unzähmbare Tiger
In Kolumbien verehrt, in Europa gefürchtet und beinahe in Bremen gelandet - Falcao im Porträt

Wenn Staatschefs trauern, so ist zumeist Schlimmes passiert. Kriege, Seuchen und Katastrophen in aller Welt geben leider allerlei Anlass, berechtigtes Bedauern zu äußern. Doch an jenem Tag im Mai verleitete nichts dergleichen Juan Manuel Santos, der Welt sein Bedauern mitzuteilen. "Unser Land" ließ Kolumbiens Präsident die Welt über Twitter wissen "bedauert die Abwesenheit des 'Tigers' bei der WM." Nicht minder dramatisch wählte José Nestor Pekerman seine Worte: "Es ist ein trauriger Abend." Mit bedeutungsschwerer Mine fuhr der Nationaltrainer fort: "Es tut mir weh, ihnen mitteilen zu müssen, dass Radamel Falcao nicht die WM spielen wird."

Die Stimme besagten Falcaos zitterte, als er die so dramatische Botschaft bestätigen musste. Es sei ein "sehr schwieriger Moment" für ihn. "Ich bin heute in einem guten Zustand, aber mir ist bewusst, dass mir noch etwas fehlt, um mit meinen Kameraden den Platz wegzunehmen, der bei 100% ist." musste der mit den Tränen Kämpfende eingestehen.

Es war auch das Eingeständnis, dass das in Kolumbien so heiß ersehnte medizinische Wunder ausgeblieben ist. Am 22. Januar diesen Jahres hatte sich der seinerzeit in Diensten des AS Monaco stehende Stürmerstar in einem Pokalspiel gegen einen Viertligisten (!) die bei jedem Fussballer wohl gefürchtetste Verletzung zugezogen. Diagnose: Kreuzbandriss. Nichtsdestotrotz entstand in Kolumbien die, wie Falcao es nannte, "große Illusion", dass es vielleicht doch noch reichen könnte, um die "Cafeteros" bei der Weltmeisterschaft in Brasilien anzuführen. Fast täglich erwartete man in Kolumbien neue Wasserstandsmeldungen zum Gesundheitszustand des unumstrittenen Superstars. Selbst besagter Juan Manuel Santos sah sich bemüßigt, an das Krankenbett des "Tigers" zu pilgern. Alles vergebens.


Es ist ein immer wieder zu beobachtendes Faszinosum, dass die schlimmsten Hiobsbotschaften dazu taugen, eine Mannschaft zusammenzuschweißen, eine "Jetzt-erst-Recht"-Stimmung zu entfachen. Es bleibt ein Mysterium, dass Rückschläge bisweilen bessere Teambuilder sind, als durchschlagender Erfolg. Wie wäre die WM mit Falcao für die kolumbianische Elf verlaufen? Hätte man sich hinter dem Superstar versteckt? Hätte man das Spiel ganz auf den "Tiger" zugeschnitten? Wären die "Cafeteros" gar schwächer gewesen als sie es ohne ihren Leader waren? Alles spekulativ. Gewiss ist indes lediglich, dass die Elf, die ihres besten Spielers beraubt wurde, zu den positivsten Überraschungen der vergangenen Endrunde zählte. Spieler wie James Rodriguez, Juan Cuadrado, Teofilo Gutierrez oder Jackson Martinez traten aus dem großen Schatten des kleinen Mannes und boten den wohl spektakulärsten Fussball der WM-Gruppenphase. Erst im Viertelfinale setzten die Gastgeber das Stoppschild. Nicht wenige Fussballgelehrte wähnten die Kolumbianer rückblickend als die bessere Elf.
Und so geschah es, dass es plötzlich still wurde um den Torjäger, den ganz Kolumbien nur als "el tigre" kennt. James war plötzlich das Gesicht der kolumbianischen Himmelsstürmer. Falcao? War das nicht die österreichische Musik-Ikone?

Ganz und garnicht. Wobei der Vergleich nicht in Gänze hinkt, denn der Hype, der einst um Falco entstand, ähnelt dem kolumbianischen um dessen Fast-Namensvetter. Damit enden die Analogien dann allerdings bereits, denn während der Rapper stets aufs Äußerste polarisierte, ist "el tigre" Bezugspunkt bedingungsloser, nahezu maradonaesker Verehrung. So zierten im Vorklapp der WM, für Kolumbien die erste seit 1998, diverse Plakate mit dem Konterfei des Stürmers die Straßen des armen und von Kriminalität gebeutelten Landes. Diverse Medien riefen die Bevölkerung dazu auf, für die rechtzeitige Genesung des wohl besten Kickers, den das Land jemals hervorgebracht hat, zu beten. Wer ist also der Mann, von dem die kolumbianische Zeitung el tiempo schreibt: "Er ist wie ein Gott für die Kolumbianer."?

Lehrjahre


Die Spurensuche beginnt in Santa Marta, einer der schönsten Städte des größtenteils äußerst armen Landes. Direkt an der Karibikküste gelegen, ist sie eines der Touristikzentren im ansonsten aufgrund der hohen Kriminalitätsrate eher gemiedenen Staates. Santa Marta ist aber überdies nachweislich auch ein guter Geburtsort für große Persönlichkeiten Kolumbiens. So erblickten etwa der Sänger Carlos Vives, der streitbare Wahlschweizer Johan Vonlanthen und nicht zuletzt Kult-Kicker Carlos Valderama in der Hafenstadt das Licht der Welt. Von letzterem sagte man gar, dass er der größte Fussballer in der Geschichte Kolumbiens sei. Ironie des Schicksals, dass am 10. Februar des Jahres 1986 gerade ebenso in Santa Marta der Mann geboren wurde, der sich anschickte, "el pibe" gar zu überragen. Radamel Falcao Garcia Zarate wurde der Junge von seinem Vater, dereinst eisenharter Verteidiger, in Anlehnung an die brasilianische Spielmacher-Legende getauft. Falcao ist also entgegen der landläufigen Auffassung nicht der Nachname des Knaben, sondern dessen Zweitname. Vorhang auf also für Falcao Garcia.

Schon früh wird das Talent des schmächtigen Burschen sichtbar. So wird er als 11-Jähriger bereits von Ajax Amsterdam umworben, wo er sogar ein Probetraining absolviert. Doch Vater Radamel Garcia verhindert den seiner Meinung nach zu frühen Transfer nach Europa, so dass die Karriere des Mega-Talents vorerst weiterhin in Südamerika fortläuft.
Schon zwei Jahre später debütierte Falcao mit zarten 13 (!) Jahren für Lanceros Fair Play in der zweiten kolumbianischen Liga. Zum Vergleich: Das ist in Deutschland D-Jugend-Alter. Nur allzu logisch, dass es Lanceros nicht lange gelang, den Shooting-Star zu halten. Nächste Station des aufstrebenden Jungspundes wurde die Jugendabteilung von Kolumbiens Rekordmeister CD Los Millionarios aus der Hauptstadt Bogota. Doch auch dort verweilte der ehrgeizige Stürmer nicht allzu lange. Mit 15 Jahren sollte endgültig der Sprung in die südamerikanische Bèletage folgen: Die großen "Millionarios" aus Buenos Aires lockten, Falcao folgte dem Ruf der argentinischen Metropole.

Doch es folgen die ersten Rückschläge. Der ehrgeizige Jungstar muss verdauen, dass einige seiner Altersgenossen vor ihm den Sprung in den Kader des Profiteams schafften, während er weiterhin in der Jugend schmoren musste. Plötzlich plagen leise Selbstzweifel den Stürmer, dessen Karriere bislang nahezu ohne Rückschläge geradlinig nach oben verlief. Falcao behielt zähneknirschend die Ruhe. Es sollte sich auszahlen. Denn 2005 kam endlich der große Tag, den der 19-jährige so sehr herbeisehnte. Gegen Independiente wurde er erstmals in den Profikader berufen. Zu seiner eigenen Überraschung bugsierte ihn Coach Reinaldo Merlo gegen den Club aus Avellanda gar ansatzlos in die Startelf. Ein Szenario, dass das selbstbewusste Top-Talent nicht kalt ließ: "Als ich mich vor dem Spiel umgezogen hatte, zitterten meine Beine,..." Falcao musste liefern. "...doch als ich das volle Stadion mit all den schreienden Menschen sah, war ich wie verwandelt." Und Falcao lieferte.

Nach 79 Minuten verließ das Top-Talent den Platz. Arbeitsnachweis: 2 Tore. Konsequenz: 3:1-Sieg. Kann man mal machen. Auch in den darauf folgenden Partien enttäuscht der Youngster mit 6 Treffern in 5 Spielen nicht.


Doch schon kurze Zeit später entblößt das Schicksal erstmals sein hässliches Antlitz. Auf das Traum-Debüt folgt der Schock. Kreuzbandriss Nummer 1. Der vom Ehrgeiz Getriebene steckt jedoch nicht auf, arbeitet hart an seinem Comeback. Womöglich zu hart. Denn infolge des zu frühen Trainingseinstiegs reißt besagtes Kreuzband erneut, so dass sich die Pause des aufstrebenden Talents auf immerhin 11 Monate summiert. Eine Phase, in der der gläubige Christ zu zweifeln beginnt: "Ich war down, habe mich immer gefragt, warum Gott mir das angetan hatte." Die Erkenntnis von der Schnelllebigkeit des Geschäfts, von den Kleinigkeiten, die Karrieren zu einem jähen Ende bringen können, veranlasst den Rekonvaleszenten dazu, zweigleisig zu fahren. Neben der Fussballkarriere, die er längst nicht zu den Akten gelegt hat, widmet er sich zunehmend dem Journalistik-Studium, welches er ein Jahr zuvor begonnen hatte.

Glücklicherweise muss er auf den Notfallplan nicht zurückgreifen. Die Genesung des Stürmerstars schreitet gut voran, so dass er nach fast einjähriger Leidenszeit wieder auf dem Platz steht. Doch vorerst läuft es nicht nach Plan: Nach seinem Traumdebüt vermag er an diese Top-Form nach den Kreuzbandrissen nicht anzuknüpfen. In 9 Monaten gelingen dem 1,78m kleinen Torjäger gerade einmal 3 mickrige Treffer.
Erst in den Wettbewerben der Saison 07/08 (in Argentinien werden pro Jahr zwei Ligen ausgespielt) findet Falcao wieder in die Spur: In 34 Pflichtspielen, sprich den beiden Ligen, sowie der Copa Libertadores, gelingen ihm 15 Treffer und 3 Vorlagen. Aus Falcao wird "el tigre", der Tiger. Die Fans von River Plate verpassten ihm den Namen, um sich die "Schande" zu ersparen, den Namen eines Spielers aus dem verhassten Nachbarland Brasilien (nach dem der kolumbianische Falcao benannt wurde) zu intonieren.

Herrenjahre


2008 wird dann in der Tat zum Jahr des Radamel Falcao. Einerseits gelingt ihm persönlich der Durchbruch auf kontinentaler Ebene, andererseits heimst er mit der Clausura 2008 seinen ersten Titel seit der U-20-Weltmeisterschaft 2005 ein. Dazu erreicht er mit River das Halbfinale der Copa Libertadores und wird schon 2007 erstmals in die kolumbianische Nationalelf berufen - kein Wunder also, dass plötzlich haufenweise europäischer Top-Klubs bei dem 22-jährigen auf der Matte stehen. Unter den Interessenten ist auch ein Deutscher. Ein gewisser Klaus Allofs, seinerzeit noch in Diensten von Werder Bremen, suchte nach einem neuen Stürmer und glaubte, diesen in dem kleingewachsenen Kolumbianer mit der langen schwarzen Matte gefunden zu haben. "Er war körperlich nicht der robusteste, aber im Strafraum immer präsent und gefährlich." erinnerte sich Allofs Jahre später. Letztendlich scheiterte es - woran auch sonst? - am lieben Geld. "River Plate rief eine zu hohe Ablösesumme auf." erklärt Allofs. Vier Millionen waren aufgerufen, Bremen blockte ab. Spekulativ, wie die Geschichte der Werderaner mit dem Knipser wohl verlaufen wäre...

Also verging ein weiteres Jahr, in welchem Falcao erstmals zu Rivers Top-Scorer aufstieg. Da aber die "Millionarios" eine der schwächsten Saisons der Vereinsgeschichte spielten, war der Torjäger nicht mehr zu halten. Falcao war schlicht den Niederungen des südamerikanischen Fussballs entwachsen. Der Sprung über den großen Teich stand an. Schon als Teenager hatte er angeführt, dass "Real Madrid, Arsenal oder der AC Milan" später einmal seine Ziele seien sollten. Wenig überraschend reichte es zu den angeführten Zielen noch nicht ganz. Liverpool und Tottenham klopfen an, doch Falcao wählt den unkonventionellen Weg. Porto statt Pool. Die bestmögliche Entscheidung.

Denn Porto eilt der Ruf voraus, aus bloßen Talenten Stars zu formen. Man denke an Deco, man denke an Pepe, man denke an Lisandro Lopez. Letzteren zog es allerdings 2009 für schlappe 24 Millionen Euro zur Lyonnais, um dort wiederum einen gewissen Karim Benzema zu ersetzen. Porto musste reagieren und verpflichtete für etwa 5 Millionen Euro einen einigermaßen schmächtigen Burschen aus Argentinien. Paradox: Der Gewinner dieses Geschäftes steht am Ende der Nahrungskette. Denn während Karim Benzema in seinem ersten Jahr gerade neunmal trifft und Lisandro Lopez genau da zur Lyonnais ging, als deren Ära endete, spielte Falcao wie von einem anderen Stern: 43 Pflichtspiele, 34 Treffer, 10 Vorlagen. Konsequenz: Double 2010. Selbst in der Champions League offenbart der Neuling keinerlei Anpassungsschwierigkeiten, trifft bei sieben Startelfeinsätzen viermal. Ein Wink auch an all jene, die heute frotzeln, dass sich Falcao vor der Champions League fürchten würde.

Wirklich in mein Bewusstsein brachte "el tigre" sich allerdings erst im Folgejahr. Porto hatte mal wieder einen, wenngleich im Vergleich zu anderen Sommern bescheidenen, Aderlass zu verkraften. Trainer Jesualdo Ferreira verließ den Verein und mit ihm Abwehrturm Bruno Alves und Stratege Raul Meireles. Dafür verpflichtete man Regisseur Joao Moutinho vom Kontrahenten Sporting, Nicolas Otamendi von CA Velez und einen gewissen James Rodriguez von CA Banfield. Der einstige Assistent von Jose Mourinho, André Villas-Boas saß fortan am Seitenrand.
Was folgte, war die wohl beste Saison der jüngeren Vereinsgeschichte. Neben dem Double in der Liga düpierte man in der Europa League nacheinander den FC Sevilla, ZSKA sowie Spartak Moskau, den FC Villareal und schlussendlich im Finale von Dublin auch noch Sporting Braga. Villas-Boas war es gelungen, eine der besten Mannschaften Europas zu formen. Vor allem das herausragende Sturmtrio, bestehend aus Silvestre Varela, Hulk und nicht zuletzt Radamel Falcao fegte durch den einst von Franz Beckenbauer als "Cup der Verlierer" titulierten Wettbewerb.

Der König der Europa League


Generell die Europa League. Es gibt wohl kaum einen Spieler, der diesen noch so jungen Wettbewerb derart geprägt hat wie "el tigre". Sage und schreibe 17 Treffer gelangen ihm in 14 Spielen der Saison 2010/11. Darunter Dreierpacks gegen Rapid Wien und Spartak Moskau sowie ein Viererpack im Halbfinale gegen FC Villareal. Doch den wichtigsten Treffer, den hob sich der Kolumbianer auf. Für jenen Tag im Aviva Stadium zu Dublin.
Man schreibt die 44.Spielminute, als sich Bragas Alberto Rodriguez einen katastrophalen Fehlpass im Spielaufbau erlaubt. Guarin schaltet schnell um, geht einige Meter, täuscht die Flanke an, um sich Platz zu verschaffen. Dann flankt er herausragend hinter die Viererkette - und dort taucht er auf. Wie so oft. Falcao springt ab, lässt den Oberkörper nach hinten sacken und nickt den Ball im Fallen technisch überragend in den Winkel. Es war ein hervorragendes - ach, lassen wir die Zurückhaltung: Es war eines der besten Kopfballtore, welches ich je gesehen habe.



Und es war ein Traumtor zur rechten Zeit, denn es blieb das einzige an jenem Tag. Porto gewinnt die Europa League, Falcao wird Torschützenkönig und pulverisiert nebenbei Jürgen Klinsmanns Bestmarke von 15 Saison-Treffern im UEFA-Cup.
Folglich sah der Kolumbianer die Zeit gekommen, weiterzuziehen. Nach 72 Toren und 18 Vorlagen in 87 Spielen (mehr als eine Torbeteiligung pro Spiel), schloss sich der Knipser für schlappe 47 Millionen Euro Atletico Madrid an, um dort den zum neureichen Manchester City abgewanderten Sergio Aguero zu ersetzen. Doch ein Falcao ersetzt nicht. Ein Falcao übertrifft.

Atletico Madrid hat eine glorreiche Stürmertradition. So schnürten bereits Luis Aragones, Diego Forlan, Adrian Escudero, Hugo Sanchez, Fernando Torres, Sergio Aguero und zuletzt Diego Costa ihre Stiefel für die Rojoblancos. Allesamt sind sie Vereinslegenden. Allesamt haben sie einen festen und bedeutsamen Platz in der Geschichte Atleticos. Doch keiner der Genannten kann nur ansatzweise eine Torquote aufweisen, die an die des "Tigers" heranreichen würde. Als der Kolumbianer nach Monaco weiterzog, hinterließ er eine Quote von 0,77 Toren pro Spiel. Und das, in einer Liga, die ein wesentlich höheres Niveau verkörpert, als es alle seine vorigen Ligen taten. Schon in seiner Debütsaison brachte er es in "La Liga" auf 24 Treffer, was er im Folgejahr mit 28 Buden gar noch zu übertreffen wusste. In einer Liga, in der Ronaldo und Messi ohnehin außerhalb jeder Vergleichbarkeit agieren, schwang sich "el tigre" ansatzlos zum Besten auf. Zum besten Irdischen. Beispiel gefällig?

Doch die liebste Manege blieb dem Torjäger weiterhin die in Teilen Europas so unbeliebte Europa League. Nur, dass nicht die Dompteure den Tiger durch die Manege führten. Nein. Der Tiger führte die Gegner nach Belieben vor. In 15 Spielen brachte er es auf erneut starke 12 Treffer. Erneut hob er sich die wichtigsten gar noch auf.
Und so wurde es für Athletic Bilbao ein ernüchternder Abend. Nachdem man unter "el loco" Marcelo Bielsa unter anderem den FC Schalke aus dem Wettbewerb kegelte, musste man an jenem Abend in Bukarest einsehen, dass der Gegner zu stark war. Doch der Gegner, so schien es, war an jenem Abend nicht Atletico Madrid. Der Gegner war Falcao. Mit einem Doppelpack, wie man ihn besser kaum erzielen kann, stellte er früh die Weichen für den Sieg von "Atleti" über die Basken, welchen Diego schließlich noch veredelte. Zum zweiten Mal setzte er sich die kleine Krone des europäischen Vereinsfussballs auf. Falcao, uneingeschränkter König der Europa League.


Wer aber glaubte, dass diese Leistung nicht mehr zu steigern sei, der irrt. Der irrt sogar gewaltig. Denn sein Meisterstück hatte sich "el tigre" für die ganz große Bühne vorgenommen. Im übertragenen Sinne natürlich. Denn die reale Kulisse war mehr als armselig: Gerade einmal 14.312 Zuschauer verirrten sich an jenem Freitag im August zum eher ungeliebten UEFA-Supercup ins monegassische Stade Louis-II. Selten, eigentlich nie, habe ich eine unwürdigere Bühne für eine derart überragende Darstellung eines Künstlers gesehen. Denn nichts weniger als Kunst war das, was Falcao innerhalb von 45 Minuten in Monaco darbot. 3 Tore gelangen dem "Tiger" binnen 39 Minuten gegen die "Blues", das seinerzeit - zumindest qua Titel - beste Team Europas. Zum vierten Treffer des Tages gab er zudem die Vorlage - es war seither die beste individuelle Leistung eines Spielers, welche live im Fernsehen erleben durfte.
Es geht viel weniger um die drei Tore an sich. Es geht um die Art und Weise. Gewiss, es waren keine Fallrückzieher, keine Distanzschüsse oder Hackentricks. Es waren schöne, aber keine herausragenden Treffer. Doch es waren Treffer, bei denen das Schwere so leicht aussah, wie es nur ein Weltklasse-Spieler vorzuspiegeln vermag. Ein Chip über den Torhüter, der am grätschenden Verteidiger maßgenau im langen Eck einschlägt, ein Effetschuss mit dem schwachen Fuß durch zwei Verteidiger hindurch und am Torhüter vorbei in den Winkel - und das mit einer Leichtigkeit, die wohl jedem Amateurkicker wahlweise die Tränen in die Augen oder die Zornesröte ins Gesicht treibt. Doch für Falcao war es wohl einfach nur - leicht.

Auf der Lauer


Denn kaum ein Stürmer dieses Planeten vermag ein derart pralles Portfolio an Fähigkeiten aufzuweisen. So ist es schlicht und ergreifend zu einfach, den Kolumbianer als bloßen Finisher abzutun. Er verfügt schließlich über einen herausragenden Antritt auf den ersten Metern, über eine technische Finesse, die es ihm ermöglicht, falls nötig, auch einmal den ein oder anderen Gegner zu narren, um sich in die perfekte Abschlussposition zu bringen, und nicht zuletzt über diese irrsinnige Sprungkraft, mit derer sich der 1,78m kleine Stürmer bisweilen über Gegner zu katapultieren vermag, welche ihn beinahe um einen Kopf überragen.
Doch letztlich liegt man mit der Einordnung Falcaos als klassischer Finisher nicht in Gänze daneben. Denn das Habitat des gemeinen "Tigers" liegt vor allem in Strafraumnähe. Dann schleicht er um den Sechzehner, wie eine Raubkatze um die Beute. Jederzeit bereit, im nächsten Moment töten zu können. Das wissen die Gegner. Nur: Verhindern können sie es nicht. In dem einen kleinen Moment der Unachtsamkeit positioniert er sich vor einer Flanke zwischen den Verteidigern, die sich ob der vermeintlichen Apathie des Knipsers in Sicherheit wiegen, dann aber nur noch bewundern können, wenn er wieder in der Luft zu stehen scheint und den Ball zielsicher in den Maschen platziert.

Ja, Falcao ist ein Strafraumstürmer klassischer Prägung. Kein Ibrahimovic, der in den Zehnerraum abkippt, kein Lewandowski, der auf die Flügel ausweicht und schon garkein Messi, der sich die Bälle bisweilen am Mittelkreis abholt. Er ist zwar technisch wesentlich versierter, als es andere typische Strafraumstürmer, wie etwa Makaay oder van Nistelrooy, waren, doch vom Bewegungsradius unterscheidet er sich nicht nennenswert von den beiden. Falcao vermag mitzuspielen, das unterlegt auch die überraschend üppige Vorlagenstatistik. Aber er tut es selten. Weil seine Trainer wissen, dass er vor dem Tor am wertvollsten ist. Seine Technik, seine Klasse im Abschluss und seine irrsinnige Kopfballstärke sind im Mittelfeld allenfalls bedingt wertvoll. In der Sturmspitze sind sie tödlich.


Vor allem seine Stärke im Kopfballspiel hat ihn zur Legende werden lassen. Lediglich 178 Zentimeter misst der "Tiger", so gesehen wohl eher ein Tigerchen. Der Durchschnittsinnenverteidiger misst wohl mindestens zehn Zentimeter mehr, doch: Was interessiert das einen Falcao? Denn der Kolumbianer benötigt für seine Lufthoheit keine Körperlänge. Was ihm dort fehlt, macht er mit Sprungkraft und Stellungsspiel bei weitem wett. Es gelingt ihm wie keinem zweiten, sich stets in Freiräume zu schleichen, in denen er die hohen Bälle erreicht. Dass er sie dann verwerten kann, das steht außer Frage. Denn seine Technik im Kopfballspiel ist weltweit unerreicht. Wie er sich in die Flanken wirft, die Bälle unter teils abstrusen Körperverrenkungen über den Scheitel streichelt, so dass er selbst aus ungünstigen Positionen das Rund im Tor unterzubringen vermag - das sucht Seinesgleichen. Ich kenne auf dem ganzen Planeten keinen Spieler, der derart überragend im Kopfballspiel ist, wie "el tigre". Allenfalls Miroslav Klose in seinen besten Tagen bescheinige ich eine derartige Klasse.

So erhob Diego Simeone den Stürmerstar gar zum Besten seines Fachs: "Er ist genial. Er ist schnell, trickreich, laufstark, beidfüßig und vor allem: Er weiß, wo das Tor steht und trifft es auch. Ich kann momentan keinen besseren Stürmer in Europa erkennen." Nun, freilich mag Simeones Beschreibung seines damaligen Schützlings etwas überzeichnet sein, denn wer würde Falcao heute noch als besten Stürmer der Welt bezeichnen? Da gibt es den ungleich spektakulären Kult-Stürmer Ibrahimovic, den "Pistolero" Suarez, den so spielstarken Lewandowski oder den "falschen Neuner" Messi. Doch im Sommer 2013 lag Simeones Einordnung nicht ganz fern.

Als frischgebackener spanischer Pokalsieger wollte der Goalgetter zum nächsten Sprung ansetzen - und ganz Europa bot sich als Ziel an. Manchester City, Chelsea, Real, sie alle machten Jagd auf den "Tiger". Am Ende wählte Falcao - einmal mehr - den unkonventionellen Weg.

Moncao statt Madrid


Denn der frischgebackene Ligue 1-Aufsteiger AS Monaco machte das Rennen um die Dienste des Kolumbianers. Es waren enttäuschend schlichte Gründe, die ihn zu diesem Schritt bewogen. Natürlich, man könnte anführen, dass Monaco sich im Sommer 2013 anschickte, in die Riege der PSGs, Chelseas oder Manchester Citys dieser Welt vorzurücken, man könnte betonen, dass die Reunion mit seinen alten Porto-Kollegen Moutinho und James, sowie die scheinbar glänzenden Perspektiven der Monegassen ihren Reiz auf "el tigre" ausübten. Doch letztendlich war es wohl vor allem der schnöde Mammon, der Falcao den Gang in die fussballerische Einöde versüßte.
Und so geschah es, dass der einstmals begehrteste Knipser Europas in der medialen Versenkung entschwand. Dem spektakuläreren Ibrahimovic gehörten die Schlagzeilen. Dabei spielte Falcao im bisweilen nicht gut austarierten System Ranieris keine schlechte Rolle, trifft in 19 Spielen für die Mannen aus dem Fürstentum immerhin 11mal. Doch im großen Scheinwerferlicht steht er nicht. Monaco ist eben nicht Madrid.

Falcao dürfte das seinerzeit einigermaßen gleich gewesen sein. Denn er hatte einen großen Traum, welchen er sich im Sommer 2014 erfüllen wollte. Doch dazu kam es nicht. Es ist beinahe beißend zynisch, dass dem größten Traum des inzwischen zum gesetzten Top-Star entwickelten "Tigers" eine altbekannte Verletzung aus Jugendtagen ein jähes Ende setzt.
22.1.2014 Stade de Gerland zu Lyon. 2. Pokalrunde, Falcao ist mit dem AS Monaco zu Gast beim Viertligisten Monts d'Or Azergues Foot. Der Stürmer streckt sich nach einem Ball - Kreuzbandriss. Beim Stande von 1:0. Torschütze: Können sie sich denken. Es ist der vorerst letzte Teil von Falcaos trister Kreuzbandriss-Trilogie. Doch es ist der bislang bitterste Teil, denn der sechsmonatige Ausfall des Starspielers stürzt nicht nur den Rekonvaleszenten selbst, sondern ganz Kolumbien in tiefe Tristesse.
Der Stürmerstar auf dem Zenit seiner Karriere sollte die ambitionierten "Cafeteros" bei der WM-Endrunde anführen. Er sollte als Speerspitze einer goldenen Generation die Träume der Kolumbianer wahr werden lassen. Von nicht wenigen waren die Gelb-Rot-Blauen gar zum Geheimfavoriten gekürt worden, im ohnehin ekstatischeren Kolumbien träumte man sowieso vom Titel. Doch alle Illusionen wurden an jenem Januar-Tag gedämpft, im Juni dann final zerstört. Es war ein, wie Jose Pekerman sagte "ein trauriger Tag" für Kolumbien, doch es war allem voran ein niederschmetternder für Kolumbiens Volksheld. Der mit den Tränen kämpfende Tiger am Tiefpunkt.

Damit aber noch nicht genug: Als Dmitri Rybolowlew nach einer kostspieligen Scheidung im Sommer 2014 den Spaß an seinem Spielzeug verlor, geriet der Stürmerstar ebenso wie seine Kollegen zur Quasi-Konkursmasse. Alles muss raus. Auch der Weltstar. Doch während etwa ein James während der WM beste Eigenwerbung betreiben konnte, musste Falcao in der Reha schuften, unbeobachtet von den Scouts dieser Welt. Wo er sich im Sommer 2013 seinen Arbeitgeber aussuchen konnte, musste sich "el tigre" ein Jahr später geradezu anbiedern, um nicht in der sportlichen Versenkung zu verschwinden. Er folgte einigen Real-Stars auf Twitter, kokettierte offensiv mit einem Wechsel in die spanische Hauptstadt, setzte gar einen Tweet ab, der einer Vollzugsmeldung glich. Doch Real sah von einem Transfer ab. Statt der großen Lösung sollte es eher der weniger ambitionierte Lückenbüßer Hernandez sein. Darüber hinaus: Ein Zugpferd für den südamerikanischen Markt hatte man ja schon verpflichtet - James Rodriguez, vor der WM einigermaßen unbekannter Team- und Nationalmannschaftskollege Falcaos.
Für einen stolzen Ehrgeizling wie Falcao eine Demütigung. Verstoßen vom momentanen Klub, abgelehnt vom Traumverein - der "Tiger" musste sich vorkommen, wie das Kind, welches auf dem Schulhof stets zuletzt gewählt wird.
Erst am letzten Tag der Transferperiode fand man einen Abnehmer für den einstmals besten Mittelstürmer Europas. Manchester United, seines Zeichens marodierender Großklub auf der Suche nach sich selbst, lieh den Knipser für schlappe 15 Millionen Euro ein Jahr lang aus - für eine feste Verpflichtung fehlte das endgültige sportliche wie medizinische Vertrauen in den Torjäger.

Endstation Manchester?


Und so wird das kommende Jahr zur Nagelprobe für den "Tiger". Gelingt es ihm, beim sportlich schlingernden United aus dem Schatten von Rooney, Van Persie und di Maria zu treten, dürfte er wieder zurück sein im Konzert der Großen. Dann wird man seinen Namen wieder in einem Atemzug nennen, mit den Ibrahimovics, Suarez' und Lewandowskis dieser Welt. Dann kann er im kommenden Sommer, mit immerhin schon 29 Jahren, entweder bei ManU bleiben oder noch einmal den Weg zu einem der besten Klubs der Welt beschreiten. Scheitert der Kolumbianer auf der Insel allerdings, wird ManU die gerüchtehalber bei 55Millionen Euro liegende Kaufoption gewiss nicht ziehen. Dann dürften auch andere Großklubs von einem Transfer ab sehen.
Es geht um nicht weniger als Falcaos Reputation. Es geht darum, wie man sich an ihn erinnern wird. Wird man ihn in Erinnerung behalten, als einen, der über ein paar gute Jahre in kleineren Vereinen nicht hinauskam, oder als einen der besten Stürmer seiner Generation?


Eins ist jedenfalls sicher, abschreiben sollte man den "Tiger" nicht. Schließlich hat er nachweislich nichts verlernt: Drei Startelfeinsätze für ManU, drei Torbeteiligungen, dazu im Nationalmannschaftsdress die Gala gegen das gleichwohl sportlich gewiss nicht übermächtige El Salvador (1 Tor, 2 Vorlagen). Zumal es ihm an Zielen nicht mangelt: So fehlt ihm unter anderem noch ein Meistertitel in einer der vier großen Ligen. Doch es ist eine andere Sehnsucht, die "el tigre" antreibt. Die Sehnsucht nach den magischen Nächten. Die Sehnsucht nach der Champions League. Denn entgegen der Frotzeleien aus England, wonach der Stürmerstar "allergisch" auf die Königsklasse sei, ist es sein fester Wille, sich auf der allergrößten Bühne zu beweisen. Dass man in Monaco seinen Wechsel forcierte und in Madrid zauderte, kann man ihm nicht zur Last legen. Mit ManU will er in die Königsklasse. Mit Kolumbien zur WM 2018. Satt ist der "el tigre" also noch lange nicht.

Und gezähmt erst recht nicht.

ø 6.6
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KOMMENTARE
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Maxi_FCB
28.10.2014 | 17:26 Uhr
1
-2
Maxi_FCB : 
28.10.2014 | 17:26 Uhr
-2
Maxi_FCB : 
Denkt euch das erste Video bitte hinter den Absatz zum EL-Finale Porto-Braga! (Will aus Angst vor der Technik lieber nicht editieren...)

Maxi > Blogeditor
1
ausLE
MODERATOR
28.10.2014 | 20:05 Uhr
1
-1
ausLE : 
28.10.2014 | 20:05 Uhr
-1
ausLE : 
Ich freue mich auch für Dich
Schön, daß es geklappt hat und Du uns erhalten bleibst!
Ich werde Dein Blog mir morgen in Ruhe durchlesen!!

!
1
Bierkopf
30.10.2014 | 14:10 Uhr
0
-1
Bierkopf : 
30.10.2014 | 14:10 Uhr
-1
Bierkopf : 
Liest sich klasse und ist auch sehr informativ!
Großen Respekt, hast einen sehr guten Schreibstil.
0
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