Sonntag, der 9. September 2007. Es ist kurz nach 18:30 Uhr. Die Technik steht! Ich bin online, habe mir "mein" Spiel rausgesucht und lass den Beamer schon einmal warmlaufen. In weniger als dreißig Minuten beginnt die neue NFL-Saison. "Meine" Green Bay Packers empfangen die hoch gelobten Philadelphia Eagles. Ich bin ein geborener Optimist. Und doch rechne ich mir nicht viel aus. Zu oft haben die Packers in den vergangenen Jahren völlig unnötig gegen die Eagles verloren. Ich bin also die Ruhe selbst, sehe dem Massaker gelassen entgegen.

Plötzlich macht sich ein unwohles Gefühl in mir breit. Etwas fehlt. Auch wenn ich diese Spielzeit nach dem Aus des zweiten Football-Bildungsweges, der NFL Europa, mit etwas Wehmut betrachte, SO kann meine Sonntagabendlieblingsbeschäftigung NICHT beginnen. Umzugskisten werden ungestüm ausgeräumt, die Frau wird kurzzeitig angeraunt und alle lieben Götter werden verflucht. Doch dann die Erlösung. Es hing doch im Schrank, das Football-Jersey mit der legendären Nummer 4. Für meine Fähigkeiten als "Arm Chair Quarterback" berühmt, werfe ich mir das grün-goldene Jersey über, küsse die heilige 4 auf der Brust und werfe noch ein schnelles Stoßgebet gen Himmel. Dann ist auch schon Kickoff.

Drei Wochen später hat dieses Ritual, welches ich seit Jahr und Tag durchziehe, wieder enorm an Bedeutung gewonnen. Die Packers und ihr Quarterback Brett Favre sind zur überraschung aller ungeschlagen. Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, wann die Cheeseheads mit drei Siegen in Folge in eine Saison gestartet sind. Und drei Siege gegen Playoff-Teams des Vorjahres - das gab es noch nie! Die Packers sind die "Feel-Good-Story" der Saison. Und verdammt fühlt sich das gut an (vor allem, wenn man jede Menge Bears-Fans zu seinen Freunden zählt). Ich könnte jetzt stundenlang darüber philosophieren, wie gut die Packers ihre Defensive in den vergangenen Jahren aufgebaut haben und wie stark verbessert die Special Teams auftreten. Doch eigentlich geht es doch nur um einen - um ihn. Brett Favre!

Der alte Mann spielt, als sei er im Frühjahr bei der Bieberjagd auf dem heimischen Grundstück in Kiln, Mississippi in einen Jungbrunnen gefallen. Er wirft, rennt, improvisiert wie vor zehn Jahren und bricht Woche für Woche einen Rekord. Und die NFL und ihre Fans lieben es.

Roger Goodell braucht es sogar! Der neue Commissioner hatte sich seinen ersten Sommer als Chef der mächtigsten Sportliga der Welt sicher anders vorgestellt. In Europa - vor allem in Deutschland - stieß er mit der plötzlichen Einstellung der NFL Europa auf harsche Kritik. Doch der Wind, der ihm im deutschen Medienwald Ende Juni entgegen blies, ist im Vergleich zu dem, was ihn vor der eigenen Haustür erwartete, ein laues Lüftchen. Michael Vick, das größte Merchandise-Wunder der "Eierwelt", die Anna Kournikova der NFL, hat das Sprichwort "It's a dog eat dog world" eindeutig zu wörtlich genommen und wird wegen Durchführung von Hundekämpfen wohl für einige Zeit nur noch Gegnern in engen Gefängnisduschen ausweichen.

Bill Belichick, das Trainergenie des neuen Jahrtausends, gab der NFL ihre eigene "Big Brother"-Show. Der Coach der New England Patriots ließ Gegner illegal filmen, um sich einen Vorteil für zukünftige Aufeinandertreffen zu verschaffen. Gerüchten zufolge soll Belichick sogar so weit gegangen sein, Spielern Mikrofone auf die Schulterpolster geklebt zu haben, um Ansagen der Gegner an der Line of Scrimmage abhören zu können. Bestätigt ist dies nicht. Fakt ist aber, dass "Bad Bill" 500.000 Dollar Strafe zahlen musste, sein Team noch einmal die Hälfte dieser Zahl oben drauf legen durfte und die Patriots im schlimmsten Falle ihren Erstrunden-Draftpick im nächsten April verlieren werden. Noch viel schlimmer ist aber der Imageverlust, den das beste Team der vergangenen Jahre und somit auch die NFL erlitten hat.

Es ist also so sicher wie das Amen in der Kirche, Goodell LIEBT Favre. Kaum ein anderer Spieler hat eine solch beeindruckende Laufbahn vorzuweisen und nur wenige haben sich auf und neben dem Platz so leicht in die Herzen einer ganzen Nation gespielt. Eigentlich müsste Goodell dem Mann, der die NFL endlich wieder aus den Negativschlagzeilen rausholt, einen Teil von Vicks Gehalt zahlen. Aber mit dem Geld ist das bei Favre wie mit den Rekorden. Es ist schön, beides zu haben, doch nichts fühlt sich besser an als Siege. Warum sonst zieht ein beinahe 38-jähriger, silberhaariger Mann seit gut seinem halben Leben Sonntag für Sonntag in die Schlacht auf NFL-Spielfeldern.

Ich für meinen Teil freue mich auf die nächsten Sonntage. Das Trikot mit der Nummer 4 hängt "ungeschlagen" im Schrank. Und wenn ich es vor dem Duell der Packers beim Erzrivalen Minnesota am vierten Spieltag wieder überstreife, bin ich mir sicher, auch Mr. Goodell trägt unter seinem Armani-Gucchi-Was-auch-immer-Anzug den grün-goldenen Klassiker mit der Nummer 4.