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09.04.2008 um 12:47 Uhr
Der Retter kommt (noch nicht)

Bald ist es so weit. Das größte Ereignis der NFL-Saisonpause steht bevor: die Draft 2008, in der sich die 32 Mannschaften der besten Footballliga der Welt hoffnungsvolle Nachwuchsspieler aus den Colleges sichern können. Und der Hype läuft schon seit Monaten auf Hochtouren. Wer wird als erster Spieler ausgewählt? Chris Long, Jake Long, Matt Ryan, Glenn Dorsey, Darren McFadden? Für viele Fans ist das fast eine Frage von religiösen Dimensionen geworden. Wir brauchen, so denken sie, nur diesen einen Spieler, und dann steht uns das Paradies (bzw. die Playoffs oder gar das Tor zum Super Bowl) weit offen. Es gibt da nur ein Problem. In der Draft sofortige Hilfe zu finden ist leider total unwahrscheinlich.

Nicht dass wir uns falsch verstehen. Ich denke, die Draft ist das wichtigste Werkzeug, um in der NFL eine schlagkräftige Truppe aufzubauen. Wer hier schludert (siehe als aktuellstes Beispiel Miami in den letzten Jahren), dessen Absturz ist vorprogrammiert. Manche wollten in der jüngeren Vergangenheit die Draft praktisch umgehen und hauten in schöner Regelmäßigkeit Fantasiesummen für Free Agents raus, weil sie dachten, so könne man sich den Erfolg erkaufen. Klappte leider nicht. Bestes Beispiel: Die Washington Redskins, die mit dieser Taktik seit Jahren erfolglos versuchen, den Anschluss an die Elite zu finden. Irgendwie scheint sich aber mittlerweile auch bei Teambesitzer Dan Snyder die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass er Erfolglosigkeit auch billiger haben kann. In dieser Saisonpause sparen die Redskins.

Als leuchtendes Beispiel für allen anderen müssen vor der diesjährigen Draft am 26./27. April die New York Giants gelten. Die hatten in der Vorsaison eine relativ unspektakuläre Draft hingelegt (das heißt ohne vorher gehypte „Stars"), wurden von den Draftexperten in den Nachbesprechungen der Spielerauswahl mit Bewertungen dafür belohnt, die in Deutschland etwa „Note 3" entsprechen würden. Und waren prompt die einzige Mannschaft der Liga, bei der alle acht ausgewählten Spieler auch den Sprung in den Kader für die Saison schafften. Die Giants gewannen in der Vorsaison übrigens den Super Bowl. Sicher nicht nur wegen der vielen Rookies. Aber die entsprechende Leistungsdichte im Kader ist wichtig, und deshalb muss man auch in den späteren Runden brauchbare Spieler finden. Bei den New Yorkern hat diese Leistungsdichte gestimmt. Und was die so genannten Draftexperten angeht: Kommentar überflüssig.

Ein Problem gibt es immer wieder mit Nachwuchsspielern (und nicht nur in der NFL). Man weiß nämlich nicht genau, wie gut sie tatsächlich sein werden. Klingt banal, aber trotzdem kann man sich im amerikanischen Fernsehen schon im Moment stundenlang berieseln lassen, mit Weisheiten darüber, wer später einmal wie gut wird und wer es nicht schafft. Und am Ende kommt dann alles ganz anders. Beispiel: Vor zwei Jahren galt Running Back Reggie Bush als der heißeste Nachwuchsprofi seit der Mondlandung. Mindestens. Dass er scheitern könnte, galt als völlig ausgeschlossen. Frecherweise entschieden sich die Houston Texans, die damals das erste Wahlrecht in der Draft besaßen, aber nicht für Bush sondern für einen wesentlich weniger prominenten Defensive End namens Mario Williams. Was war das für eine Aufregung! Die Draftexperten erklärten die Teamführung für vollkommen ahnungslos, die Fans standen kurz vor der Revolte, alle waren sich einig: die spinnen, die Texans. Nun, nachdem zwei Spielzeiten vergangen sind, muss man konstatieren: Vielleicht, nur vielleicht, wusste Houston damals tatsächlich, was es tat. Und der beste Running Back der Draft 2006 ist vermutlich nicht Reggie Bush, sondern Joseph Addai von den Indianapolis Colts. Ausgewählt an der 30. Stelle von Runde 1.

Auch über Bush kann man sicher noch kein abschließendes Urteil fällen, denn: Es dauert einfach seine Zeit, bis Spieler sich in der NFL zu Recht finden. Auf einigen Positionen, zum Beispiel Quarterback oder Wide Receiver muss man sogar besonders lange abwarten, bis man wirklich weiß, was man an einem Spieler hat. Beispiel: Eli Manning. Gedraftet an Position 1 im Jahr 2004. Jetzt mal ehrlich, liebe Giants-Fans. Wie viele von Euch hätten ihn vor Beginn der letzten Saison, was sage ich, vor Beginn der letzten Playoffs am liebsten in die Wüste geschickt? Wie viele von Euch haben irgendwann in den letzten vier Jahren lauthals verkündet: Mit dem gewinnen wir nie den Super Bowl? Dachte ich mir. Und was lernen wir daraus? Nun, auch Fans können „echte" Experten sein.

Fest steht: Die Trefferquote der NFL-Teams in Runde eins ist erschreckend niedrig (vor allem, wenn man bedenkt, welche Unsummen die Nachwuchsstars bekommen und welcher Aufwand beim Scouting betrieben wird). Schauen wir doch nur einmal auf die Quarterbackposition in den letzten Jahren, und ich beschränke mich aus Platzgründen jeweils auf die ersten fünf ausgewählten Akteure. 2002: David Carr (totaler Flop), Joey Harrington (totaler Flop). Beide nicht mehr bei ihrem ursprünglichen Team. 2003: Carson Palmer (Treffer). 2004: Eli Manning (Treffer, nach langer Anlaufphase), Phillip Rivers (solide, aber nicht unumstritten). 2005: Alex Smith (hohes Floppotential, hat noch eine Chance). 2006: Vince Young (Floppotential durchaus gegeben, noch zu früh für endgültiges Urteil). 2007: JaMarcus Russell (Bislang kaum Einsätze).

Aus dieser (nicht sonderlich wissenschaftlichen) Übersicht können wir Folgendes lernen. Erstens: Sogar bei den ersten 5 Spielern einer Draft, die eigentlich todsichere Stars sein sollten, liegt die Trefferquote nur bei ca. 50 Prozent. Zweitens: Bis man sich wirklich ein Urteil bilden kann vergehen Jahre. Und da wir gerade bei den Quarterbacks sind: Von den absoluten Topleuten wurde nur etwa die Hälfte in Runde 1 ausgewählt. Dass man auch später noch erfolgreich Spielmacher finden kann, beweisen Beispiele wie: Tom Brady (Runde 6), Joe Montana (Runde 3), Johnny Unitas (Runde 9, die gibt es inzwischen gar nicht mehr). Nur um einmal aus dem Stehgreif drei aktuelle bzw. zukünftige Hall of Fame-Quarterbacks zu nennen. Versteift Euch also nicht darauf, dass in diesem Jahr nur Matt Ryan Euer Retter sein kann.

Trotz all dieser (zugegeben nicht neuen) Erkenntnisse, werden wieder Tonnen von Papier für Draftprognosen verschwendet, unzählige Sendeminuten mit „definitiven" Weisheiten zugemüllt und die NFL-Fans für DAS Ereignis der Offseason heiß gemacht. Die wiederum füllen die Footballforen dieser Welt mit emotionalen Diskussionen, welchen Spieler ihr Team unbedingt braucht. Ich sage: Lasst uns ganz ruhig bleiben. Denn wir werden kaum vor 2012 einigermaßen beurteilen können, ob unsere Lieblingsteams ihre Sache wirklich gut gemacht haben oder nicht. Bis dahin gilt: Der Retter für Euer Team kommt. Vielleicht. Irgendwann.

Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 2469 | Kommentare: 2 | Bewertungen: 8 | Erstellt:09.04.2008
ø 8.8
KOMMENTARE
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Horstheinrich
10.04.2008 | 13:07 Uhr
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Horstheinrich : Mutig, mutig,...
10.04.2008 | 13:07 Uhr
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Horstheinrich : Mutig, mutig,...
... Vince Young Floppotential in Aussicht zu stellen. Ansonsten wäre es interessant, was du erwartest, wen die Dolphins an erster Stelle draften werden.
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AndreasRenner
10.04.2008 | 13:38 Uhr
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AndreasRenner : Re: Mutig, mutig
10.04.2008 | 13:38 Uhr
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AndreasRenner : Re: Mutig, mutig
Wenn ich Vince Young sehe, dann muss ich an Michael Vick denken. An Michael Vick, den Footballspieler, nicht den Tierquäler. Fantastischer Läufer (zugegeben, ein völlig anderer Laufstil), sensationelle Wurfkraft, aber unpräzise. Wenn er vom Gegner zum Werfen gezwungen wird, dann verliert er das Spiel. Wie geschrieben, es ist noch zu früh für ein endgültiges Urteil, aber ich kann nicht sehen, dass er seine Schwächen bis jetzt abgestellt hat. Vielleicht klappt es ja noch. Drücken wir ihm die Daumen.
Wen Miami draftet: keine Ahnung. Unter anderem deshalb, weil ich mich an meinen eigenen Ratschlag halte und mich nicht zu sehr in das Thema hineinsteigere. Aber ich denke, Miami hat so viele Baustellen, da gibt es diverse Optionen. Vielleicht die naheliegenste: runtertraden und mehr Picks sammeln. Wenn man jemand findet, der tatsächlich an die Nummer eins will.
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