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09.09.2009 um 00:03 Uhr
Der Prophet streikt

Die ersten acht Jahre meines Berufslebens habe ich fast nur American Football-Spiele kommentiert. Für DSF, Premiere, Sat.1, rheinmain-TV, Premiere Österreich, NASN und so ziemlich jeden anderen, der Football im Programm hatte. Und weil sich daran (zumindest im Moment noch) ein paar Leute erinnern, werde ich regelmäßig jedes Jahr zu Beginn der NFL-Saison gefragt, wie meine Prognose für die neue Spielzeit aussieht. Und: „Wie schneiden meine (Platzhalter, hier könnt ihr jetzt alles zwischen Arizona Cardinals und Washington Redskins einsetzen) ab?"

Und auch dieses Jahr werde ich antworten: „Titelverteidigung der Steelers? Könnte gut passieren." Oder: „Die Patriots mit Brady zurück im Super Bowl? Die Chancen stehen nicht schlecht." Und: „Detroit in den Playoffs? Warum nicht?" Okay, ihr lacht jetzt. Aber haben wir nicht in der Vorsaison erlebt, wie sich die 1-15 Miami Dolphins von 2007 in die 11-5 Miami Dolphins von 2008 verwandelt haben? Inklusive Divisionssieg in der AFC East, vor den New England Patriots, die im Jahr davor mit 16 Siegen (und 0 Niederlagen) in der regulären Saison einen neuen Rekord aufgestellt hatten.

Oder nehmen wir die Atlanta Falcons, die 2007 ebenfalls ganz unten angekommen waren. Sogar der ehemalige Falcons-Spieler Jamie Dukes, seines Zeichens Experte beim NFL-Network gab seinem ex-Team nicht den Hauch einer Chance in der NFC South. Am Ende stand eine 11-5 Bilanz, Platz 2 in der Division und eine Playoff-Teilnahme. Und dann waren da ja auch noch die Arizona Cardinals. Divisionssieger in der (schwachen) NFC West und angeblich (so die Experten) das schwächste Playoff-Team seit Menschengedenken. Tja, und die hätten dann fast den Super Bowl gewonnen.

Also werde ich mich nicht hier hinstellen und prophezeien, dass die Lions ähnlich schlecht abschneiden werden wie in der Vorsaison. Ich werde gar nix prophezeien, außer: schlechter als letztes Jahr werden sie nicht sein. Vielleicht gewinnen sie ja ihre Division. Vor den Vikings, Bears und Packers. Lustig wäre es jedenfalls.

Kurz gesagt: In der NFL ist alles möglich. Und das ist gut so. Schließlich tut die Liga ja auch etwas dafür. Wo sonst gibt es für alle Mannschaften ein einheitliches Budget für Spielergehälter? Und wo sonst werden fast alle Einnahmen der Teams in einen großen Topf geworfen und schön gleichmäßig durch 32 geteilt? Das muss man sich mal vor Augen führen: 31 der 32 Mannschaften in der NFL gehören einer Horde von schwer reichen Kapitalisten. Und das Ordnungssystem, das sie für ihre Liga erfunden haben ist Kommunismus pur. Das nenne ich wahre Ironie. Jemand wie Uli Hoeneß dagegen bekommt wahrscheinlich schon beim bloßen Gedanken daran, die Bundesliga-Einnahmen brüderlich mit dem VFL Bochum und dem ganzen Rest fein säuberlich durch 18 teilen zu müssen, heftigen Brechreiz.

Und weil dann auch noch die besten Nachwuchsspieler bevorzugt von den schlechtesten Mannschaften der Vorsaison ausgewählt werden dürfen, gibt es in der NFL tatsächlich so etwas wie Chancengleichheit. Von den 32 Teams können sich locker zwei Drittel zumindest Außenseiterchancen auf den Titelgewinn ausrechnen. Ich meine, wenn Arizona im Finale war, dann ist einfach alles möglich. Das ist so ähnlich, als ob Hannover 96 sich Hoffungen auf den deutschen Meistertitel machen dürfte. Und genau deshalb sind irgendwelche Prognosen totaler Blödsinn. Weshalb ich auch keine abgebe.

Aber es ist ja auch nicht alles toll im NFL-Land. Schließlich sind die Teambesitzer und die Spielergewerkschaft gerade dabei, ihren Goldesel zu schlachten. Weil man sich nicht auf einen neuen Grundlagenvertrag einigen kann, droht der Liga im nächsten Jahr eine Spielzeit ohne Gehaltsobergrenze. Was zunächst mal nur halb so schlimm ist, weil durch diverse Zusatzregeln ein Wildern der reichsten Mannschaften unterbunden wird. Aber in der darauf folgenden Saison wird es dann zu einer Aussperrung kommen, unter anderem deshalb, weil man keinen gemeinsamen Nenner findet, wie groß der Anteil der Spielergehälter an den Gesamteinnahmen der Liga sein soll (momentan knapp 60%, die Besitzer behaupten, der Anteil liege deutlich höher). Nun denn, im Moment wird gepokert, und das geht sicher auch die nächsten zwei Spielzeiten noch so. Denn so lange keiner leidet, weil durch ausgefallene Spiele keine Einnahmen reinkommen (sowohl bei den Besitzern als auch bei den Spielern), wird es keine Lösung geben. Diese Prognose traue ich mir zu. Weil Menschen so sind und Geschäfte so laufen.

Aber das ist das große Thema für die Saison 2011 (oder das, was von ihr stattfinden wird). 2009 haben uns in der Ligapause vor allem Jay Cutler, Brett Favre, Michael Vick und Plaxico Burress beschäftigt. Aber diese Themen wurde in den Medien derart penetrant breitgetreten, dass ich mich kurz fassen will: Jay Cutler ist offensichtlich nicht das, was man „eine reife Persönlichkeit" nennen würde. Brett Favre wird offensichtlich nie das, was man „eine reife Persönlichkeit" nennen würde. Von mir aus können die Vikings übrigens diese Saison gerne den Super Bowl gewinnen. Aber bitte nicht mit Favre als Quarterback. Michael Vick hat seine Gefängnisstrafe abgesessen und deshalb habe ich kein Problem damit, dass er wieder zurück ist. Und Plaxico Burress war sich offenbar zu sicher, dass ihm nichts passieren könnte. Zwei Jahre Gefängnis sind eine lange Zeit, dafür dass man sich selbst ein Loch ins Bein geschossen hat. Und wer jetzt gerade gar nicht verstanden hat, worum es in diesem Abschnitt ging: Seid froh!

In jedem Fall geht es jetzt endlich wieder los und keiner weiß, was passieren wird. Und weil das so ist, traue ich mir noch eine Prognose zu: was auch immer passiert, es wird nicht langweilig sein.

Bis bald,

Andreas
Aufrufe: 6176 | Kommentare: 32 | Bewertungen: 17 | Erstellt:09.09.2009
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KOMMENTARE
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gartenzwerg
07.10.2009 | 10:20 Uhr
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07.10.2009 | 10:20 Uhr
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Großartig!
Meine Meinung zum NFL-TV-Kram hab ich ja schon mehrmals
geschrieben.....
Daher will ich Dich diesmal damit verschonen ;)

Übriegens hat sich Deine Prognose mit der unvorhersehbaren NFL
bewahrheitet.....
Ich habe selbstredend nicht dran gezweifelt ;)
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Lattenknaller
07.10.2009 | 11:50 Uhr
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07.10.2009 | 11:50 Uhr
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AndreasRenner : @Lattenknaller
Um es kurz zu machen: Erstens: Die Experimente mit 2 Kommentatoren in Deutschland waren ein Flop (Faßbender/Rummenigge) und zweitens: zwei Kommentatoren kosten mehr als einer.
Noch etwas: Gehörst Du zu denen, die glauben, Reif ist Bayern-Fan? Oder zu denen, die denken, er hasst die Bayern?
Und was die Emotionen bei den amerikanischen Kommentatoren angeht: Dass da mehr rüberkommt als bei den deutschen halte ich für ein Gerücht. Joe Buck? Jim Nantz? Besonders emotional? Nee.

+++++

Naja, ok... Faßbender/Rummenigge sind auch nicht grade DAS Traumduo der Kommentatorenriege... grade Rummenigge

Hassen ist vll übertrieben, aber ne gewisse Antipathie ist schon spürbar und zeitweise sogar sehr. Wobei Bela Rethy manchmal sogar schlimmer ist, imho. Der hat's sogar mal geschafft, dass ich ne Beschwerdemail über ihn geschrieben hab.^^

Klar gibts da auch Schlaftabletten, aber die sind eher die Ausnahme.
Ich will jetzt auch keine Generalurteil über alle deutschen Kommentatoren fällen, denn es gibt gute (ich hör Fußball gern auf B5 aktuell), ich beziehe mich eher auf die "üblichen Verdächtigen".
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