26.08.2009 um 11:49 Uhr
Der König der Fußballstadien
Es ist Samstag Nachmittag. In London machen sich zehntausende Fußballfans auf den Weg. Da die drei anderen Londoner Erstligisten auswärts ranmüssen, zieht es alle in dasselbe Viertel, nach Hammersmith and Fulham. Manche kommen aus Pubs, andere aus U-Bahn-Stationen, wieder andere waren zu Fuß unterwegs. Die Masse schwillt mehr und mehr an, bevor sie sich teilt und sich auf zwei Richtungen konzentriert. Das eine Ziel ist direkt am Themseufer und neben einem Park gelegen, das andere Ziel liegt nordöstlich an der Fulham Road.
Obwohl beide Orte keine zwei Meilen entfernt liegen, so ist der Unterschied doch immens. Schon die Klubs trennen Welten. Chelsea, finanzstark, großspurig und erfolgreich, ist ein krasser Gegensatz zum FC Fulham, der klein und unscheinbar wirkt und mit ganz anderen Mitteln als der Stadtrivale auskommen muss. Die Stadien stehen ebenfalls im Kontrast zueinander. Während die Stamford Bridge etwa 42.000 Zuschauer unterbringt, passen in das Craven Cottage nur 26.000. Die Bridge wirkt hochmodern, der Cottage dagegen scheint aus einer anderen Zeit zu stammen und könnte von Zuschauern, die für den besonderen Charme des Stadions nichts übrig haben, als "veraltet" bezeichnet werden. Das einzige, was beide Stadien zu verbinden scheint, ist einzig dasselbe Viertel, ansonsten nichts. Tatsächlich aber sind sie beide Werke des größten britischen Stadionarchitekten aller Zeiten, Archibald Leitch.
Der gebürtige Glasgower machte sich zunächst jedoch erst als Architekt mit dem Spezialgebiet Fabriken einen Namen, bevor er sich auf die Stadionarchitektur konzentrierte. Sein erstes richtig großes Werk war dann der Ibrox Park der Glasgow Rangers, der im Jahre 1899 fertiggestellt wurde und 75.000 Zuschauer Platz bot.
Nur drei Jahre später ereignete sich jedoch eine Katastrophe, die als das "Ibrox Disaster" traurige Bekanntschaft machte: Während eines Länderspiels zwischen Schottland und England hielt die Westtribüne, die eigentlich gerade einmal zwei Jahre alt war, die Belastung durch die Massen an Zuschauern und starke Regenfälle nicht mehr aus und gab nach. Die Katastrophe kostete 26 Menschen das Leben. Die Ursache war wohl ein ungeeignetes, zu billiges Holz, das für die Tribünen verwendet wurde. Obwohl es Gerüchte gab, wonach der Architekt selbst einen Anteil an der Verwendung dieses Baustoffes trug, richtete sich der Verdacht nie gegen ihn, sondern gegen den Bauunternehmer. Zudem blieben die Rangers, seine große Liebe, stets loyal zu ihm, so dass sein Ruf diese verheerende Katastrophe überstand.
Leitch verarbeitete die Katastrophe auf seine Weise, nämlich mit einem förmlichen Bau-Wahn: Er selbst plante einen neuen und sicheren Ibrox Park, der nun auch die langezeit charakteristische ovale Form erhielt.
Es erscheint seltsam, dass der größte Stadionarchitekt der damaligen Zeit nicht auch am bedeutensten Stadion Großbritanniens arbeiten durfte. Die Liste seiner Arbeitsstätten ist schließlich ebenso beeindruckend wie ausführlich: Old Trafford, Stamford Bridge, Anfield, Highbury, Goodison Park, White Hart Lane, Villa- und Ayresome Park, Craven Cottage, Hampden-, Celtic- und Ibrox Park und unter anderem auch noch der Fratton Park.
Doch an der Entstehung des Wembley, des englischen Fußballtempels schlechthin, waren zwei andere Architekten beteiligt.
Womöglich haben sich die Verantwortlichen ihr Stadionprojekt auch anders vorgestellt als die Arenen, an denen Leitch beteiligt war, und wollten ihr Gebäude in einem anderen Stil sehen als dem "Leitch-Look".
Der Architekt blieb diesem Stil immer treu, nahezu bei jedem seiner Werke waren die gleichen Elemente verwendet worden. Besonders markant war der Dachgiebel in Dreiecksform, der fast auf jeder überdachten Tribüne Platz fand und der noch heute das Markenzeichen des Craven Cottage darstellt. Daneben wäre im typischen Leitch-Stadion überkreuzte Stahlgeländer, bis aufs Spielfeld reichende Steildächer, zweistöckige Tribünen, eine Außenverkleidung aus Backsteinen und einen im Kontrast zum Stadion kunstvollen gestalteter Pavillon zu finden.
So unterschiedlich Stamford Bridge und Craven Cottage heute auch sein mögen: Der East Stand war ein exaktes Duplikat des Johny Haynes Stand des Cottage., der auch heute noch existiert. Leitchs Stil blieb eben einfach der Gleiche.
Leitch legte aber seit jeher mehr Wert auf Funktionalität als auf Eleganz, was man wohl auf seine Anfänge als Fabrikarchitekt zurückführen kann. Dennoch hielt er sich nicht unbedingt an die Planungen, denn desöfteren gerieten Tribünen größer als gedacht oder die Kosten sprengten das Budget beiweiten. Außerdem schien er nach der Ibrox-Katastrophe besonders auf die Sicherheit der Stadien bedacht zu sein, so war er etwa maßgeblich an der Verwendung von Wellenbrechern auf Stehplatztribünen beteiligt und sorgte für eine exakte Ausmessung der Fluchtwege, damit sich eine Katastrophe wie das Ibrox Disaster von 1902 nicht wiederholen konnte.
Dem Sohn eines einfachen Schmiedes gelang schon bald der gesellschaftliche Aufstieg, dank seiner Akzeptanz durch seine Werke konnte er ein eigenes großes Architekturbüro unterhalten und zog, auch bedingt durch die Verlagerung seines Wirkens, nach London.
Doch dauerhafter Erfolg sollte ihm nicht beschieden sein: Sein Baustil geriet schon bald außer Mode, längst galten etwa die Pfeiler, die er immer noch verwendete, als unerwünschtes Element, weil sie teilweise die Sicht beeinträchtigten. Schon vor seinem Tode im Jahre 1939 gerieten seine Errungenschaften und Leistungen mehr und mehr in Vergessenheit.
Obwohl beide Orte keine zwei Meilen entfernt liegen, so ist der Unterschied doch immens. Schon die Klubs trennen Welten. Chelsea, finanzstark, großspurig und erfolgreich, ist ein krasser Gegensatz zum FC Fulham, der klein und unscheinbar wirkt und mit ganz anderen Mitteln als der Stadtrivale auskommen muss. Die Stadien stehen ebenfalls im Kontrast zueinander. Während die Stamford Bridge etwa 42.000 Zuschauer unterbringt, passen in das Craven Cottage nur 26.000. Die Bridge wirkt hochmodern, der Cottage dagegen scheint aus einer anderen Zeit zu stammen und könnte von Zuschauern, die für den besonderen Charme des Stadions nichts übrig haben, als "veraltet" bezeichnet werden. Das einzige, was beide Stadien zu verbinden scheint, ist einzig dasselbe Viertel, ansonsten nichts. Tatsächlich aber sind sie beide Werke des größten britischen Stadionarchitekten aller Zeiten, Archibald Leitch.
Der gebürtige Glasgower machte sich zunächst jedoch erst als Architekt mit dem Spezialgebiet Fabriken einen Namen, bevor er sich auf die Stadionarchitektur konzentrierte. Sein erstes richtig großes Werk war dann der Ibrox Park der Glasgow Rangers, der im Jahre 1899 fertiggestellt wurde und 75.000 Zuschauer Platz bot.
Nur drei Jahre später ereignete sich jedoch eine Katastrophe, die als das "Ibrox Disaster" traurige Bekanntschaft machte: Während eines Länderspiels zwischen Schottland und England hielt die Westtribüne, die eigentlich gerade einmal zwei Jahre alt war, die Belastung durch die Massen an Zuschauern und starke Regenfälle nicht mehr aus und gab nach. Die Katastrophe kostete 26 Menschen das Leben. Die Ursache war wohl ein ungeeignetes, zu billiges Holz, das für die Tribünen verwendet wurde. Obwohl es Gerüchte gab, wonach der Architekt selbst einen Anteil an der Verwendung dieses Baustoffes trug, richtete sich der Verdacht nie gegen ihn, sondern gegen den Bauunternehmer. Zudem blieben die Rangers, seine große Liebe, stets loyal zu ihm, so dass sein Ruf diese verheerende Katastrophe überstand.
Leitch verarbeitete die Katastrophe auf seine Weise, nämlich mit einem förmlichen Bau-Wahn: Er selbst plante einen neuen und sicheren Ibrox Park, der nun auch die langezeit charakteristische ovale Form erhielt.
Es erscheint seltsam, dass der größte Stadionarchitekt der damaligen Zeit nicht auch am bedeutensten Stadion Großbritanniens arbeiten durfte. Die Liste seiner Arbeitsstätten ist schließlich ebenso beeindruckend wie ausführlich: Old Trafford, Stamford Bridge, Anfield, Highbury, Goodison Park, White Hart Lane, Villa- und Ayresome Park, Craven Cottage, Hampden-, Celtic- und Ibrox Park und unter anderem auch noch der Fratton Park.
Doch an der Entstehung des Wembley, des englischen Fußballtempels schlechthin, waren zwei andere Architekten beteiligt.
Womöglich haben sich die Verantwortlichen ihr Stadionprojekt auch anders vorgestellt als die Arenen, an denen Leitch beteiligt war, und wollten ihr Gebäude in einem anderen Stil sehen als dem "Leitch-Look".
Der Architekt blieb diesem Stil immer treu, nahezu bei jedem seiner Werke waren die gleichen Elemente verwendet worden. Besonders markant war der Dachgiebel in Dreiecksform, der fast auf jeder überdachten Tribüne Platz fand und der noch heute das Markenzeichen des Craven Cottage darstellt. Daneben wäre im typischen Leitch-Stadion überkreuzte Stahlgeländer, bis aufs Spielfeld reichende Steildächer, zweistöckige Tribünen, eine Außenverkleidung aus Backsteinen und einen im Kontrast zum Stadion kunstvollen gestalteter Pavillon zu finden.
So unterschiedlich Stamford Bridge und Craven Cottage heute auch sein mögen: Der East Stand war ein exaktes Duplikat des Johny Haynes Stand des Cottage., der auch heute noch existiert. Leitchs Stil blieb eben einfach der Gleiche.
Leitch legte aber seit jeher mehr Wert auf Funktionalität als auf Eleganz, was man wohl auf seine Anfänge als Fabrikarchitekt zurückführen kann. Dennoch hielt er sich nicht unbedingt an die Planungen, denn desöfteren gerieten Tribünen größer als gedacht oder die Kosten sprengten das Budget beiweiten. Außerdem schien er nach der Ibrox-Katastrophe besonders auf die Sicherheit der Stadien bedacht zu sein, so war er etwa maßgeblich an der Verwendung von Wellenbrechern auf Stehplatztribünen beteiligt und sorgte für eine exakte Ausmessung der Fluchtwege, damit sich eine Katastrophe wie das Ibrox Disaster von 1902 nicht wiederholen konnte.
Dem Sohn eines einfachen Schmiedes gelang schon bald der gesellschaftliche Aufstieg, dank seiner Akzeptanz durch seine Werke konnte er ein eigenes großes Architekturbüro unterhalten und zog, auch bedingt durch die Verlagerung seines Wirkens, nach London.
Doch dauerhafter Erfolg sollte ihm nicht beschieden sein: Sein Baustil geriet schon bald außer Mode, längst galten etwa die Pfeiler, die er immer noch verwendete, als unerwünschtes Element, weil sie teilweise die Sicht beeinträchtigten. Schon vor seinem Tode im Jahre 1939 gerieten seine Errungenschaften und Leistungen mehr und mehr in Vergessenheit.
Aufrufe: 2772 | Kommentare: 8 | Bewertungen: 8 | Erstellt:26.08.2009
ø 9.9
KOMMENTARE
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26.08.2009 | 12:08 Uhr
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midget :
einfach nur stark!wieder was dazu gelernt, woher du nur immer dir dieses background-wissen herholst.
toller blog, hat mir viel spass gemacht zu lesen.
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26.08.2009 | 13:58 Uhr
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Toadie :
ein sehr geiler blog!!!
was weiß man schon über stadion-architekten!
auch die fortführung von ste gefällt.
studiert ihr zufällig architektur!?
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26.08.2009 | 16:18 Uhr
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Ste : Toadie
Der Nachtrag stammt ebenfalls von mir (dem Autoren des Blogs), bedingt durch die Zeichenbegrenzung. Und zu deiner Frage: Nein, keineswegs.
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26.08.2009 | 19:00 Uhr
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natürlich sind die gro´ßen modernen stadien imposant, aber diese alten haben schon ihren ganz eigenen charme. wenn ich mal in london bin werde ich mir vielleicht mal ein fulham spiel anschauen wegen dem stadion. das sieht wirklich sehr stilvoll aus mit der haupttribühne damals.
muss doch geil sein, so als wenn da ein eigenes haus in der tribühne ständ. dann setzt man sich auf den balkon und kann fußball gucken!!! sau geil
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26.08.2009 | 20:05 Uhr
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Ste :
Falls du auf die Pavillons anspielst, muss ich dich leider enttäuschen: Die gehörten selbstverständlich dem Verein und dienten als eine Art Klubheim, zumindest in den meisten Fällen.Den Luxus, den du meinst, gibt es aber neben einigen Stadien: Beispielsweise beim Drittligisten Jahn Regensburg. Dort steht direkt neben dem Stadion ein Hochhaus.
http://www.stadionwelt.de/neu/sw_stadien/fotos/stadionguides/deutschland/jahnstadion/fotos/150.jpg
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27.08.2009 | 14:12 Uhr
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Deckard :
klasse blog. wissenserweiternd und sehr interessant. so etwas gefällt mir immer sehr gut, wenn´s nicht immer nur ausschließlich um den "fussball" alleine geht.
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Der gebürtige Glasgower setzte sich zwar mit all seinen Fußballtempeln praktisch selbst ein Denkmal, doch mittlerweile ist der Einfluss Leitchs zumindest oberflächlich fast komplett verschwunden, da keines seiner Arbeiten noch so existiert, wie es der Schotte einmal geplant und umgesetzt hatte. Teilweise wurden seine Stadien abgerissen, teilweise durch den zweiten Weltkrieg zerstört oder die mit der Zeit notwendigen Renovationen haben das Gesamtbild komplett verändert und vom ursprünglichen Grundgedanken nicht mehr viel übrig gelassen. Vor allem der Taylor Report spielt hier eine entscheidende Rolle, da er die Umwandlung von Stehplatz- in Sitzplatztribünen forderte, was die Leitch-Stadien, in denen der Schwerpunkt auf Stehplätzen lag, endgültig veraltmodet und umbaubedürftig machte. Auch sein Meisterwerk, der Trinity Road Stand des Villa Parks, erleidete dieses Schicksal, als es 2001 komplett umgebaut wurde.
Die letzten beiden Überbleibsel, bei denen noch wirklich Leitchs Arbeit erkennbar ist, handelt es sich um die Fassade des Main Stand im Ibrox Park und des Dachgiebels des Craven Cottage. Beide stehen unter einer Art Denkmalschutz, so dass wenigstens die letzten Zeugnisse der großartigen Arbeiten Leitchs erhalten bleiben.