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11.11.2009 um 15:05 Uhr
Das Tabu-Thema
Ganz Fußball Deutschland ist geschockt vom Freitod unserer Nummer 1 Robert Enke.

Wie kann ein so hoch anerkannter Fußballer, ein Idol einer ganzen Region, Hoffnungsträger eines ganzen Landes kurz vor dem Event seines Lebens den Weg wählen, den rund 10000 Menschen jährlich mit ihm gehen?!
Wie kann ein Mensch wie Robert Enke, der äußerlich betrachtet alles besitzt, was ein Mensch besitzen kann, sich dazu entscheiden, sich vor einen Zug zu schmeißen?!

Fragen über Fragen. Niemand von uns kann sie beantworten!

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es ist, unter Depressionen leiden zu müssen. Gerade deswegen schockt mich der Tod von Robert Enke so sehr. Ich habe keine Sekunde heute Nacht geschlafen, da mich die Fragen gequält haben, die glaub ich alle Menschen sich stellen: Was muss mit mir passieren, dass ich frei entscheide, mich dem Leben zu entziehen?

Es gibt die Menschen, die Selbstmordgedanken ad absurdum führen. Aber es gibt auch die Menschen, die mit dieser Frage nicht täglich, aber vielleicht jährlich konfrontiert werden.

Nun ist es natürlich schwer, Ferndiagnosen zu stellen und zu sagen: So und so war es und deswegen hat sich Herr X das Leben genommen.
Nein! So einfach ist das nicht.
Die Leidensgeschichte eines jeden Depressiven ist eine individuelle.
Geplagt von Verlust- und Versagensängsten denkt man über sich und das Leben, hier vor allem über den Sinn des Lebens, nach. Man zieht seine Schlüsse und entscheidet dann, was man machen will oder irgendwann sogar muss.

Was mich dabei so unheimlich stört, und ich hab es selbst auch miterlebt, ist diese Angst, sich zu öffnen und zu sagen: Ja, ICH habe Probleme, mein Leben in den Griff zu bekommen. ICH stelle mir die Fragen nach dem "wie" und "warum" des Lebens.
Zumeist sind es enge Bekannte oder Verwandte, die glücklicherweise feststellen: Ja, Herr X hat Probleme... Erst diese Menschen bewegen jemanden dazu, sich seine Krankheit (und nichts anderes ist eine Depression) einzugestehen und offensiv gegen diese zu arbeiten!

Nun gibt es in der jüngeren Vergangenheit zwei herausragende Sportler, in diesem Falle sogar Fußballer, die durch ihre depressiven Neigungen in den Medien für Aufsehen gesorgt haben.
Zum Einen wäre da unser aller Basti Fantasti, der Anfang 2007 sein Karriereende bekannt gab, zum Schutze seiner selbst.
Zum Anderen ist da der Selbstmord von Robert Enke am gestrigen Abend.

Beide Menschen unterscheidet der Weg:
Ich respektiere die Entscheidung Enke´s, da es niemandem zusteht, darüber zu urteilen, ob seine Entscheidung richtig oder falsch war.
Auch wenn er Vater und Ehemann ist: Es ist und bleibt sein Leben. Und wenn sich jemand dazu durchringt, sich das Leben zu nehmen, so denkt er sicherlich zuletzt daran, seinen Geliebten weh zu tun. Nein, man will sie und sich befreien! Befreien von den Qualen und von den Lasten des Alltags.

Auch hier: Was am Ende den Ausschlag gegeben hat, kann niemand beantworten. Zumeist sind es die kleinen Dinge, die am Ende über Leben und Freitod entscheiden.

Sebastian Deisler hingegen hat sich öffentlich zu seiner Krankheit bekannt. Er wurde mehrmals in die Psychatrie eingewiesen, zum Teil auch erfolgreich therapiert, doch seine Krankheit konnte er mit seiner Leidenschaft und seinem Beruf nicht vereinbaren.
Er zog einen Schlussstrich unter seine Karriere. Er entschied sich, ein Leben nach dem Fußball zu beginnen.
Nun ist er nach zwei Jahren zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit aufgetreten und man bekam den Eindruck, dass er ein neuer Mensch geworden ist, freier und unbeschwerter als zuvor.

Die Frage, die sich mir stellt, ist folgende: In beiden Fällen waren sportliche Hintergründe Schuld am Ausbrechen der Krankheit.
Bei Deisler dieser unglaubliche Erfolgsdruck, bei Enke die Versagensängste.
Deisler war der Hoffnungsträger einer ganzen Nation und in meinen Augen hatte jener Spieler einfach nur Pech, in der falschen Zeit geboren zu werden und 18 Jahre später als Messias einer 80-Millionen-Bevölkerung leben zu müssen.
Enke war ein großes Torhütertalent, dem damals zu Mönchengladbach Zeiten eine große Karriere vorhergesagt wurde. Dann kam der berechtigte Wechsel weg vom Absteiger, hin in die portugiesische Hauptstadt zu Jupp Heynckes. Auch hier ging der Weg weiter steil nach oben.
Doch dann kamen seine Stationen in Barcelona und Istanbul. Er brach zusammen, da er in Barcelona zur gleichen Zeit wie Victor Valdes ins Team rutschte und in Istanbul im ersten Spiel unglücklich agierte und übelst beschimpft wurde.
Es war der Anfang eines Abstiegs, der eigentlich mit dem Wechsel zu Hannover endete.
Erst hier wurde er dann zu dem, was er heute ist bzw. bis gestern war: Einer der meistunterschätzten Torhüter der Welt. Herausragend auf der Linie und im 16er, aber zurückhaltend gegenüber den Medien.
Im Gegensatz zu Deisler konnte er ein Leben neben dem Fußballerleben führen, doch auch hier wurde er von harten Schicksalsschlägen getroffen.
So endete sein Leben gestern mit dem tragischen Selbstmord.

Fernab dieser Wege stellt sich mir vor allem eine Frage:
Warum ist es so schwierig, sich in einer Gesellschaft wie unserer hinzustellen und zu sagen: Ja, ich bin krank! Ja, ich bin depressiv!
Depressionen plagen mehrere Millionen Menschen in unserem Land und dennoch ist es ein Tabu-Thema?! Ist das nicht ein absurder Gedanke?
Warum treiben Depressionen so viele Menschen, wie bereits erwähnt 10000 Menschen pro Jahr, so sehr in die Enge, dass sie den Freitod wählen und Familien und Freunde hinterlassen? Warum muss das Fass erst überlaufen, bis man registriert, dass jemand krank ist oder krank war?!
Liegt es daran, dass vor allem im Fußball echte Saubermänner gefragt sind?! Liegt es daran, dass hier harte Kerle wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg das Kommando haben?! Ich weiß es nicht.

Ich frage mich: Was spricht dagegen, einen Menschen im Tor stehen zu haben, der beim Fußball alles gibt, aber nunmal privat arge Probleme mit sich selber hat? Wäre es nicht an der Zeit zu sagen: Stopp! Weg von diesem Saubermann-Image, hin zum ehrlichen Menschen mit all seinen Problemen!?

Natürlich, es ist eine Frage der eigenen Ehre, sich zu offenbaren, nur: Mir persönlich hat meine Offenbarung geholfen. Meine Mitmenschen reagieren nun anders auf mich als vor Bekanntwerden meiner Krankheit. Sie sind nicht vorsichtig, sondern wissen: Wenn ich meine Auszeit brauche, dann brauche ich meine Auszeit.
Warum geht so etwas nicht auch im kommerziellen Fußball?

Wenn der Sport im Allgemeinen etwas offener werden würde, so könnte es auch klappen, dass der Sport authentischer werden würde.
Und dann wäre es auch möglich, dass irgendwann der erste Spieler sagt: Ja, ich bin schwul!
Na und? Dann steht er doch noch lange nicht auf seine Mitspieler oder?!

Wenn die Gesellschaft, hier vor allem im Leistungssport, etwas offener mit solchen Themen umgehen würde, so hätten wir heute vielleicht zwei Leistungssportler mehr in unserem Lande, aber vor allem: 10000 Überlebende jährlich!

Ruhe In Frieden, Robert Enke
Aufrufe: 2209 | Kommentare: 2 | Bewertungen: 2 | Erstellt:11.11.2009
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KOMMENTARE
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jackoncrack
11.11.2009 | 17:07 Uhr
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11.11.2009 | 17:07 Uhr
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Aufgrund der Entwicklung in "dieser heutigen Welt"...werden Menschen immer häufiger depressiv. Allerdings spielen da auch noch andere Faktoren mit rein. Ich will mich nicht zu weit ausm Fenster lehnen, ich bin kein Arzt, diese werden es besser wissen.
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flandaman
13.11.2009 | 15:22 Uhr
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flandaman : 
13.11.2009 | 15:22 Uhr
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flandaman : 
"unsere Nummer 1"

Das steht stellvertretend für alle Blogs, Artikel & Kommentare, die in den letzten Tagen gemacht worden.

Trauriges spox...
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