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Von: Gilden
07.07.2015 | 2912 Aufrufe | 11 Kommentare | 5 Bewertungen Ø 10.0
Die Mauer von Huy
Ausflug in die Ardennen
Ein Reisebericht zur Touretappe nach Huy

Montagmorgen, 5:15 Uhr, der Wecker klingelt. Dass ich an selbigem Nachmittag das größte Radrennen der Welt anschauen würde war zu diesem Zeitpunkt in etwa so realistisch wie ein diesjähriger deutscher Toursieg, doch eine Reihe von Zufällen ermöglichte es, dass ich 12 Stunden später das Etappenfinale mit 20000 anderen Radsportfans an der legendären Mur de Huy, der Mauer von Huy, jubelnd am Straßenrand mitverfolgen konnte.

Doch zunächst der Reihe nach: Im Zuge meiner Masterarbeit an der Universität in Aachen führe ich momentan eine Studie durch. Freitagnachmittag bekam ich via Mail die freudige Nachricht, dass sich eine Probandin für den Montagstermin um 7:00 angemeldet habe (wer macht das bitte freiwillig?). Da die Deutsche Bahn momentan sechswöchige Gleisarbeiten auf der von mir zu befahrenden Strecke Köln-Aachen durchführt und der eingesetzte Schienenersatzverkehr noch unzuverlässiger verkehrt als der reguläre Bahnverkehr und zudem unklimatisierte Busse dafür genutzt werden (eine doch recht unangenehme Sache bei Temperaturen von über 40 Grad in Kombination mit mangelnder Hygiene von Mitmenschen wie ich Freitag leidvoll erfahren musste) bin ich ausnahmsweise mit dem Auto nach Aachen gefahren um nicht mitten in der Nacht aufstehen zu müssen und nachmittags ein Geruchsfiasko zu vermeiden. Erster Zufall.

In Aachen angekommen musste ich feststellen, dass sowohl meine Betreuerin als auch 2 Probanden die nachmittags kommen sollten, krankheitsbedingt nicht kommen können würden. Zufälle 2 und 3. So kam es dass ich doch tatsächlich schon mittags um 12 Uhr frei hatte. Bevor ich wieder nach Hause fahren wollte, wollte ich allerdings noch das Etappenprofil der Tour checken. Wie es der Zufall so vorsieht stellte ich dabei fest, dass das Ziel in Huy, nicht mal eine Autostunde von Aachen entfernt liegt, und ich dieses Ziel bereits einige Male ins Auge gefasst hatte um den Klassiker Fleche Wallone vor Ort live zu verfolgen. Kurz entschlossen fragte ich bei meinen ebenfalls radsportverrückten Freunden aus Aachen an ob nicht jemand mitkommen wolle, erhielt allerdings nur Absagen. Der eine hatte eine Pflichtveranstaltung in der Uni, der andere sei im Urlaub. Ein Kollege vom Institut fragte mich warum ich denn hinfahren wolle, schließlich seien "alle Radfahrer eh gedopt" (eine mutige und differenzierte Aussage für jemanden, der intensiv Olympia verfolgt und jede zweite Woche ins Fußballstadion geht). Wäre er an diesem Montag mitgekommen, er hätte es verstanden.

So machte ich mich im Anzug wohlgemerkt mittags von Aachen ganz oldschool like ohne Navigationsgerät und nur mit einem Ausdruck von Google Maps auf in die Ardennen. Nachdem ich mich hinter Lüttich doch ein wenig verfranzt hatte, musste ich zu Roaming Gebühren mein Handynavi starten (ich bin auf die Monatsrechnung gespannt). Über abenteuerliche Straßen vorbei am Chateau Jehay, einem wunderschönen Wasserschloss, gelangte ich schließlich ins schöne Huy. Gelegen an dem Fluss La Meuse und mit seiner Zitadelle eine schöne kleine Stadt, die wohl auch ohne eine Touretappe einen Besuch wert sein könnte. Anschließend machte ich mich mit zahlreichen anderen Radsportfans aus aller Welt auf zur legendären Mauer von Huy. Kannte ich diese bislang nur aus dem Fernsehen mit den zahlreichen enthusiastischen Fans vor allem aus Belgien und Holland beim Klassiker Fleche Wallone, war ich live extrem beeindruckt. Von Null auf Hundert geht es in die Rampe hinein, die im steilsten Stück über 20 % aufbringt. Ich war rund zwei Stunden vorher da und positionierte mich 400 Meter vor dem Ziel. Huy an der La Meuse

Wegen meines Outfits wurde ich zu Beginn bisweilen doch ein wenig argwöhnisch angeschaut. Was mich zunächst beeindruckte war die Internationalität des Publikums, die ich so nur von den Alpenetappen kannte. In meiner näheren Umgebung war zum einen ein kleiner Fanclub aus Florida, die es mit Tejay van Garderen hielten, mehrere Italiener, die einfach alle Ihre Landsleute anfeuerten, ein Tross Dänen die schon richtig einen im Tee hatten und gegenüber war ein riesiger Fanclub mit der T-Shirt Aufschrift "I am a Dumoulist" die wohl eine Mischung aus Volksfest, Karneval und Sportereignis feierten. Bei letzteren war die Stimmung eine Stunde später allerdings nicht mehr so gut, nachdem Ihr Idol Tom Dumoulin, der vor der Etappe noch als Favorit auf Gelb für den Abend gehandelt wurde, nach einem verheerenden Massensturz, bei dem die Etappe sogar kurzzeitig anschließend unterbrochen wurde (erst zum fünften Mal in der Geschichte der Tour de France), ausscheiden musste. Auch der wie immer bunte Tourtross mochte Sie zunächst nicht aufheitern.

Um ca. 17:15 war es dann soweit. Angekündigt durch die Holländer, die eine Kurve weiter unten alles in orange gefärbt hatten, schoss das Hauptfeld heran. So lancierte auf meiner Höhe Froome gerade einen Angriff und wurde gefolgt von Alberto Contador und Joaquim Rodriguez. Etwas weiter hinten, aber bereits mit einigen Metern Abstand kamen die weiteren Tourfavoriten Nibali und Quintana. Den deutschen Protagonisten Tony Martin konnte ich leider eben so wenig ausmachen wie meine persönlichen Favoriten auf den Tagessieg Sagan und Valverde. Nach und nach kam das geschlagene Feld an uns vorbei. Der Tagessieger war da schon lange ermittelt. Und doch war es nicht Rodriguez der mein Bild an diesem Tag prägen sollte und den Spruch meines Kollegen "Was willst du da, alle Radfahrer sind doch eh gedopt" hätte eindrucksvoll entkräftigen können, wäre dieser mitgekommen. Nein es waren vor allem die Fahrer Cancellara, ten Damm und Matthews deren Auftritt mich heute berührt hat.

So fuhr Cancellara im Maillot Jaune ca. 10 Minuten hinter der Spitze und sah sichtlich leidend aus und wurde von jedem frenetisch gefeiert und angefeuert. War mir bis dahin noch nicht bewusst, dass er in den verheerenden Sturz involviert war, musste ich am Abend mit Bedauern lesen, dass er seine letzte Tour aufgrund von zwei gebrochener Wirbel nach der Etappe aufgeben muss. Wie man mit 2 gebrochenen Wirbeln diese Steigung fahren kann ist mir genauso ein Rätsel wie damals Tyler Hamilton, der mit gebrochenem Schlüsselbein über zwei Wochen die Tour zu Ende gefahren ist und anschließend sämtliche Zähne überkront bekommen musste, da er vor Schmerzen derart auf die Zähne gebissen hatte.

Ten Damm, ein Kandidat für die Top 10 erging es im Rennen noch schlechter. Als Vorletzter und eine gefühlte Ewigkeit hinter der Spitze kam er alleine den Berg hoch geschlichen. Wo heute Mittag noch ein Trikot saß, war zu dem Zeitpunkt am Rücken nur noch ein Stück Fetzen und die Haut an fast jeder möglichen Stelle aufgeschürt. Doch ten Damm fuhr das Rennen zu Ende und ich meine ein paar Tränen bei ihm gesehen zu haben. Nicht viel besser sah Matthews aus, der einsam und allein vor dem Besenwagen den Berg hochgefahren kam, von der Menge jedoch gefeiert wurde wie kaum ein Zweiter an diesem Tag.

Die Tour ist nämlich nicht nur auf die Dopingskandale der letzten Jahre zu reduzieren. Die Tour ist grandiose Landschaften und ebenso bezaubernde Städte. Die Tour ist frenetisches, internationales, interkulturelles harmonisches und verrücktes Publikum. Die Tour sind Fahrer die nur einen Bruchteil dessen verdienen was Fußballprofis verdienen und dabei unwirkliches zu leisten vermögen. Die Tour ist Leiden. Die Tour ist Herz! Vive le Tour!

https://www.spox.com/myspox/videos/20150706-172728,12761.html (leider um 90 Grad gedreht)

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10.07.2015 | 00:08 Uhr
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10.07.2015 | 00:08 Uhr
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geiler Blog Gilden und auch ne geile Alte auf dem Ava
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