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13.03.2012 um 15:08 Uhr
Any Given Saturday
„Die gewinnen heute wieder nicht!" Mit diesen Worten setzt Alfons zehn Euro seiner spärlichen Rente auf ein 0:0-Unentschieden. In für nördlich des Weißwurstäquators lebenden Menschen unverständlichem Dialekt immer weiter auf einzelne Spieler und den Trainer schimpfend humpelt er schließlich zurück zur Dart-Scheibe, nippt an seinem vierten Weizen und versenkt den Pfeil in der 20. Gabi, die Wirtin und Organisatorin des Tippspiels, nimmt an diesem Samstag weitere Wetteinsätze in Höhe von knapp 500 Euro entgegen. Das System hat sie sich von einer befreundeten Vereinsheimbetreiberfamilie aus dem Nachbarort erklären lassen, die Quoten legt sie selbst fest, manchmal kontrolliert sie zuvor die aktuelle Tabelle. Tippen kann man natürlich immer nur das anstehende Heimspiel des eigenen Vereins. Von der Stadiongaststätte aus hat man einen hervorragenden Blick auf das Spielfeld, muss sich seine Hopfenkaltschale nicht selbst holen und sitzt auch noch im Trockenen. Neulinge oder Fremde werden freilich nicht gerne gesehen und – wie selbstverständlich – solange angefeindet bis man sie aufgrund eines besonders gelungenen Versuchs eines „Dartlers" wieder vergessen hat. Wenn der Dartgemeinschaft bis Spielbeginn kein außergewöhnlicher Wurf gelingt, kann – wenn bei den Kartenspielern, die bereits seit 9 Uhr das Frühschoppen mit einem gepflegten Schafkopfturnier verbinden, nichts außerordentliches passiert – der Aufenthalt im Vereinsheim zum Spießrutenlauf werden, dem sich nicht wenige durch rasches Verlassen des Etablissements möglichst schnell wieder entziehen. Meist zaubert dieser Vorgang ein grimmiges Grinsen auf die runzligen, alkoholgegerbten Gesichter der eingesessenen Vereinsmitglieder. „Der soll seine Wurschtsemmel nehmen und sich schleichen", murmelt Alfons durch seine schlechten Zähne. In seinem weißen, nur unter der Nase vom Nikotin braun gefärbten, Oberlippenbart finden sich noch die Reste seiner eigenen.
Unten auf dem Spielfeld zieht derweil noch immer der Platzwart in strömendem Regen seine Kreise und versieht den Rasen an den entscheidenden Stellen mit Kreidelinien. Franz, der diese Aufgabe von 1962 bis zu seiner Hüftoperation 1999 mit Stolz erfüllt hat, grantelt, dass der Neue – immerhin auch schon zwölf Jahre in Ehrenamt und Würden – immer noch Schlangenlinien fahre: „Der Kerl ist doch besoffen! Gabi, noch einen Obstler!"
Inzwischen sind auch die ersten Spieler eingetroffen, die sich in der Gaststätte noch einen Kaffee genehmigen, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Drei Feldspieler und der Ersatztormann bilden eine Fahrgemeinschaft, jeder von ihnen wird mit einem – ehrlich – freundlichen „Servus!" begrüßt, der Torhüter muss sich außerdem noch einige liebenswerte Warnungen anhören, er solle doch bitte wenigstens seine Kaffeetasse sicher halten. Jeder der Gäste im Vereinsheim kennt den Namen und die Position jedes einzelnen Spielers, kein Spieler kennt auch nur einen Namen eines Gastes. „Gabi, ich bring' Dir die Tasse vor dem Aufwärmen wieder", spricht der Kapitän für seine Mannschaftskameraden und macht sich mit Ihnen auf den Weg in Richtung Umkleiden, wo sich mittlerweile auch die übrigen Spieler versammelt haben.
In der Gaststätte verliert Sigi wie jedes Wochenende ein Herz-Solo und als ein Auswärtsfan, der seinen Hunger nach der langen Anreise mit einem Paar Wiener stillen will, von der guten Stimmung überrascht, fragt, ob das bei Sigi schon obligatorisch sei, wird ihm geantwortet, dass es bei diesem Kartenspiel nicht um Tiere ginge. Der junge Mann verlässt das Lokal nach 2:31 Minuten.
Langsam joggen die älteren Spieler der Heimmannschaft auf den Platz; sie müssen ein längeres Aufwärmprogramm absolvieren, um Verletzungen vorzubeugen. „Meine Güte, der Maier, der ist ja nach dem ersten Sprint schon fertig", weiß Sigi zu berichten. Maiers Großvater Hans, ein ehemaliger Holzarbeiter, der seit über 15 Jahren kein Heimspiel mehr versäumt hat, rutscht von seinem angestammten Barhocker herunter und schreitet langsam auf Sigi zu. Als dieser sich in seinem Rollstuhl umdreht und realisiert, dass Hans in Hörweite war, weicht jegliche Farbe aus seinem ohnehin schon fahlen Gesicht. Umgehend flüchtet er sich in fadenscheinige Entschuldigungen als ihn Hans unwirsch unterbricht. „Halt's Maul, Sigi! Aber Du hast ja Recht. Gabi, bring' ihm ein Bier." Alle Gäste, jeder von ihnen hatte ob der bedrohlichen Situation den Atem angehalten, brechen in schallendes Gelächter aus. Unterdessen haben beide Teams bereits ihr Aufwärmprogramm absolviert und sitzen konzentriert in der Kabine, wo sie auf den Pfiff des Schiedsrichters warten, dem sie auf das Spielfeld folgen werden. Auch oben in der Wirtschaft nehmen die Gäste nach und nach ihre Plätze ein und bestellen noch ein oder zwei Getränke, um sich darum nicht während der ersten Halbzeit kümmern zu müssen.
Um 13 Uhr pfeift der Unparteiische das Spiel an. „Das wird sein bester Pfiff bleiben", meint Alfons,"den kenn' ich." Er erntet zustimmendes Gemurmel und lehnt sich zufrieden zurück. Das wird ein Unentschieden, denkt er...
Aufrufe: 2602 | Kommentare: 6 | Bewertungen: 7 | Erstellt:13.03.2012
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Büchsenmacher
26.03.2012 | 17:21 Uhr
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26.03.2012 | 17:21 Uhr
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Super Blog, ich sehe die Burschen direkt vor meinen inneren Auge !!!
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Resettozero
27.03.2012 | 00:18 Uhr
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27.03.2012 | 00:18 Uhr
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Ja... das sagt mir auch was...
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josias
27.03.2012 | 11:42 Uhr
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josias : Schön,,
27.03.2012 | 11:42 Uhr
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josias : Schön,,
dass Ihr Euch auch etwas älteren Blogs widmet. Besser späte Resonanz als keine. Vorbildlich!
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saimez
27.03.2012 | 13:13 Uhr
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saimez : jaja...
27.03.2012 | 13:13 Uhr
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saimez : jaja...
...jedes Wochenende im tiefen Bayern. Kann ich bezeugen (komm aus dem bayerischen Oberland)!
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rob1992
27.03.2012 | 13:36 Uhr
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rob1992 : 
27.03.2012 | 13:36 Uhr
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rob1992 : 
komme aus dem hohen Norden, sehr schön dieser Einblick in das bayrische Provinzidyll ;) 10 Punkte
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schlibbedewitz
27.03.2012 | 23:17 Uhr
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27.03.2012 | 23:17 Uhr
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absolut klasse!!!!!! danke !!!!
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