Federer: "Ich erwarte keine Märchen"

Roger Federer ist in Melbourne die Nummer 17 der Setzliste
© getty

Wieder mittendrin im Tourtrubel, aber auch dabei im Titelkampf: In Melbourne beginnt für Roger Federer der Ernstfall. Der "Maestro" kehrt zurück auf den Centre Court - "das ist die Bühne, die ich brauche."

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Es ist schon einiges passiert, seitdem Roger Federer bald nach den Weihnachtsfeiertagen australischen Boden betreten hat. Beim Hopman Cup stellte der Maestro wahrscheinlich einen inoffiziellen Trainings-Weltrekord auf, als er vor 7.000 ausgelassenen Fans seine erste Übungseinheit in der Perth Arena absolvierte. Dort waren auch andere, denkwürdige und berührende Szenen zu sehen: Ein junges Mädchen, in Tränen aufgelöst, weil es seinem eigenen Idol vor einem Match während der Auslosungszeremonie begegnete. Federer als Juxkönig, der sich als virtueller Bongo-Trommler in einer Pause vergnügte. Und Federer als Attraktion bei der Neujahrsnacht, als er selbst für die lieben Kollegen für tausendundein Selfie-Motiv herhalten musste, ganz lebende Legende zum Anfassen. "Es war eine tolle Zeit bisher, aber es war nur das Vorspiel", sagt Federer über seinen Countdown zum Australian Open, "jetzt beginnt der Ernstfall."

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Endlich also wieder großes Tennis mit ihm, mit Federer. Er mag zwar nur noch die Nummer 17 der Setzliste beim australischen Tennisspektakel sein, das am Montag mit den stets kniffligen Erstrundenduellen beginnt. Aber der 35-jährige Meisterspieler bleibt eine Zentralfigur im Tenniskosmos, gefühlt ist so ein Grand Slam-Turnier mit ihm - und auch seinem alten Weggefährten Rafael Nadal - noch einmal eine andere Sportart. "Ich brenne darauf, dass es losgeht", sagt der 17-malige Grand Slam-Champion, der sein letztes Spiel bei einem Major vor 192 Tagen in Wimbledon bestritt - damals, es scheint eine kleine Ewigkeit her zu sein, verlor er gegen den kanadischen Aufschlag-Kanonier Milos Raonic in fünf dramatischen Sätzen. Bald stellte sich heraus, dass es Federers finale Vorstellung in der Seuchensaison gewesen war, es folgte die längste Zwangspause in seiner Karriere, ein Abschied vom Wanderzirkus auf Zeit und unter Zwang.

Der Matchspieler will Klarheit

Erst in den kommenden Tagen werden Federer und seine Fans wirklich wissen, wie der Veteran unter den Tennis-Nomaden diese lange Pause überstanden hat. Montagnacht, Melbourne-Zeit, geht es los für ihn, gegen einen sehr gut bekannten Qualifikanten, gegen den gleichfalls 35-jährigen Jürgen Melzer aus Österreich. "Wir kennen uns seit einer Ewigkeit", sagt Federer lächelnd, "oder noch länger." Beim Hopman Cup sah Federer drahtig, agil und gut erholt aus, aber es war eben noch kein Grand Slam-Tennis, kein realer Wettkampfdruck - und damit auch nicht die massive Belastungsprobe für Körper und Geist, die nun bei potenziellen Fünf-Satz-Matches in typischer Melbourne-Hitze droht. Doch Federer will nun endlich Klarheit, und er will sich auch wieder der Jagd nach Punkten, Spielen, Sätzen und Siegen stellen. "Ich bin ein Matchspieler, und ich sehne mich nach dem Centre Court", sagt Federer, "das ist die Bühne, die ich brauche."

In Melbourne wird Federer auch an das Malheur erinnert, mit dem 2016 jäh einen schmerzhaften und quälenden Verlauf nahm. Nach seinem Turnier-Aus im Halbfinale gegen Novak Djokovic hatte sich Federer eine Meniskusverletzung zugezogen, als er sich unglücklich beim Einlassen von Badewasser für seine Zwillingstöchter das Bein verdrehte. So richtig erholte er sich von dem leicht bizarren Unfall nie mehr, ein erstes Comeback kam 75 Tage später in Monte Carlo. Doch Federer eilte stets der Karawane hinterher, außerdem schien es, als sei er zu früh wieder in den Tennisbetrieb eingestiegen, habe zu viel zu schnell gewollt. Wimbledon, ausgerechnet Wimbledon, bedeutete dann das unzeitige Saison-Aus. "Ein Jahr zum Vergessen", sei es gewesen, sagt Federer. Er vergaß es dann auch schnell, genoss durchaus seine plötzlich ganz und gar freie Zeit. Am liebsten mit der Familie natürlich.

Keine Illusionen

Doch Federer ist eben vor allem noch mit ganzem Herzen, mit jeder Faser seines Körpers ein Tennisprofessional. Und so wird das Glück der gemeinsamen Tage mit Frau und Kindern vom Glück der Rückkehr in seinen geliebten Sport ergänzt. Noch immer braucht der Künstler den großen, berauschenden Auftritt, den sportlichen Kampf Mann gegen Mann - und gewiss auch Siege. Aber er ist keiner, der sich Illusionen macht. "Ich weiß, dass ich Niederlagen wegstecken muss", sagt Federer, "ich erwarte keine Märchen." Jedenfalls noch nicht jetzt, zu Beginn dieser Spielzeit. Später könnte er durchaus in der alten Rolle des Spielverderbers aufscheinen, vielleicht in Wimbledon, vielleicht bei den US Open. Vor allem, wenn er verletzungsfrei bleibt.

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