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Der schwere Teil kommt erst noch

Runter von der Bank und rein ins (Playoff-)Getümmel: Kyle Lowry und die Raptors
© getty

Die Toronto Raptors spielen eine starke Saison und halten als derzeit zweitbestes Team im Osten Kurs auf Heimvorteil in den Playoffs. Doch ein gefährlicher Trend droht die bisherigen Erfolge von Point Guard Kyle Lowry und Co. zunichte zu machen - und im Hinterkopf spuken die Fehlschläge der vergangenen Jahre.

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"Die Playoffs zu erreichen, ist nicht schlecht. Aber es reicht nicht mehr, in der ersten Playoff-Runde zu verlieren. Unser Ziel ist es, die Finals zu erreichen."

So drückte Kyle Lowry die gewachsenen Ansprüche seiner Franchise im Januar gegenüber ESPN aus. Backcourt-Kollege DeMar DeRozan blies ins gleiche Horn: "Das ist das beste Team, in dem ich je gespielt habe." Und General Manager Masai Ujiri drückte es im Interview gegenüber SPOX so aus: "Zufrieden bin ich erst, wenn wir gewinnen - nicht nur in der Regular Season."

Masai Ujiri: "Hatte bei Melo ein mulmiges Gefühl"

Schaut man sich die Bilanz der Kanadier an, ist man eindeutig auf einem guten Weg: Mit 41 Siegen und 20 Niederlagen steht man auf Platz zwei im Osten, lediglich zwei Spiele fehlen auf Cleveland, das Polster auf Boston (38-26) ist in den letzten Wochen gewachsen. Die Bilanz liest sich analog zu der der Clippers oder Thunder im Westen - Teams, die man in den Playoffs definitiv auf der Rechnung haben muss. Und ein Plus/Minus von +4,3 Punkten, ebenfalls ein guter Indikator für Erfolg, bedeutet Platz sechs in der Liga. Alles spricht dafür: Die Raptors sind ein echter Contender.

Und dennoch hat sich am Lake Ontario in letzter Zeit ein mulmiges Gefühl breitgemacht.

Totale Blamage in der Postseason

Um die Befürchtungen in Toronto zu verstehen, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Und da fällt zuallererst eine Statistik ins Auge: Seit 1996 sind die Raptors nun schon in der National Basketball Association vertreten - doch eine best-of-seven-Playoffserie hat man tatsächlich noch nie gewonnen. Überhaupt kam man nur einmal in der Postseason in die zweite Runde, 2001 gegen ein abgehalftertes Knicks-Team (3-2). Die sieben übrigen Serien gingen allesamt verloren, in den letzten beiden Jahren sogar extrem bitter.

Kein Raptors-Fan hat vergessen, wie man im Frühjahr 2014 zum Game 7 in eigener Halle gegen die Brooklyn Nets antrat, voller Hoffnung auf Glanz und Gloria - und Paul Pierce beim Stand von 103:104 den Last-Second-Layup von Lowry blockte. Ein Jahr später dann der Tiefpunkt: Sweep gegen die Washington Wizards, trotz Heimvorteil. In Spiel 4 ergab man sich förmlich in die Niederlage. "Ich weiß, dass man auf diesem Level Defense spielen muss", erklärte Coach Dwane Casey damals. "Um um die Championship mitzuspielen, muss man den Fokus auf die Verteidigung legen. Und das ist uns verloren gegangen."

Mit neuem Personal an die Spitze

Diese Maxime setzte Ujiri in der Offseason um. Casey, Lowry und DeRozan durften bleiben, doch der Rest des Kaders wurde durcheinander gewürfelt. Swingman DeMarre Carroll, Guard Cory Joseph und Center Bismack Biyombo sollten für defensive Stabilität sorgen. Für die Bank kamen Luis Scola und zuletzt Jason Thompson von den Golden State Warriors. Insgesamt stießen gleich sieben neue Spieler zum Team.

Mit Erfolg: Die Raptors spielten von Beginn an um den Heimvorteil in den Playoffs mit, sogar den Cavaliers rückte man auf die Pelle. Die Defense war noch Ende Januar unter den Top 7, dazu kommt ein Top-5 Offensive Rating. In beiden Kategorien Top Ten - eigentlich immer ein guter Indikator für eine erfolgsversprechende Postseason.

Der Trend ist kein Freund

Doch danach ging es stetig bergab mit den Leistungen gegen den Ball. Irgendwann gehörte man nicht mehr zu den besten zehn Teams in Sachen Verteidigung, dann war man nur noch Liga-Mittelmaß - und seit dem All-Star Break gibt man ein erschreckendes Bild ab: Statte Top Ten zählt man nun zu den "Bottom Ten". Defensive Rating seit der Pause: 111,3 - Platz 27 in der Liga. In den letzten zehn Spielen verteidigten nur die Lakers, Sixers und Wolves schlechter.

Warum wurde dieser schleichende Trend so lange ignoriert? Da war zum einen die starke Offense, angeführt von Lowry (21.6 Punkte, 6.4 Assists) und DeMar DeRozan (23.4 Punkte), die wie erwähnt zu den besten der Liga zählt. So ließen sich trotzdem eine ganze Menge Spiele gewinnen. Dann kam das euphorische Hoch des All-Star Games im Air Canada Centre - endlich war Toronto einmal der Nabel der Basketball-Welt. Zumindest Platz zwei im Osten scheint sicher - also alles gut!

Kyle Lowry im Interview: "Sind besser aufgestellt als in den letzten Jahren"

Mittlerweile jedoch hat man die Zeichen der Zeit erkannt - und will auch nicht schwere Knieverletzung von Carroll, der seit rund zwei Monaten fehlt, nicht gelten lassen. Besonders gegnerische Guards punkteten zuletzt nach Belieben - und das waren nicht nur Superstar-Performances wie die 50 Punkte von Damian Lillard. 19 Punkte von Ricky Rubio, 16 von Randy Foye, 60 Prozent Trefferquote von Derrick Rose. Die Liste ist lang. Hand in Hand damit gingen Duelle, in denen man den Gegner immer wieder ins Spiel zurückfinden ließ und es sich so unnötig schwer machte.

"Ich habe immer davor gewarnt"

Krönung in dieser Hinsicht war das 107:113 gegen die Houston Rockets am Sonntag, als man eine Führung herschenkte und James Harden 40 Punkte und 14 Assists zugestand. Die erste Heimniederlage seit über zwei Monaten, kein Grund zur Aufregung also? Das sah Casey anders: "Das ist schon das ganze Jahr über unsere Achillesferse. Das habe ich schon Millionen Mal gesagt", schimpfte der Coach. "Zum Glück haben wir ein paar dieser Spiele gewonnen, aber ich habe immer davor gewarnt, dass sich das noch rächen wird." Man dürfe bei einer Führung einfach nicht nachlassen.

Woran es liegt? "Ich denke nicht, dass es unsere Jungs einfach schleifen lassen und sich nicht reinhängen. Es geht darum, auf Kleinigkeiten zu achten, Fußarbeit, die Winkel unserer Closeouts, all die kleinen Dinge, die man als gegeben hinnimmt", so Casey, der allerdings auch lamentierte, dass die Gegner derzeit einfach die Lichter ausschießen würden: "Keine Ahnung, was da im Trinkwasser ist."

Müssen sich Fans von "We the North" also auf die nächste Postseason-Blamage einstellen? Zumal es in der Eastern Conference in dieser Saison keine leichten Gegner zu geben scheint, selbst für den Second Seed? Es ist noch zu früh, um den Teufel an die Wand zu malen - und im Vergleich zum letzten Jahr hat man sich auch in einigen Dingen verbessert.

Von Downtown und von der Linie

So ist die Quote von Downtown von rund 35 Prozent (Platz 11) in diesem Jahr auf fast 37 Prozent gestiegen. Das macht Platz drei in der gesamten Liga, überflügelt nur von den Warriors und Spurs. Jonas Valanciunas hat sich unter dem Korb zum Scorer gemausert (14 Spiele in Folge zweistellig), und mit Lowry und DeRozan hat man einen Backcourt, der im langsameren Spiel der Postseason auch mal auf dem Block gegen kleinere Guards aufposten kann. "Es sind beides großartige Backcourts", vergleicht Neuzugang Thompson die Raptors mit den Dubs. "Aber wo [Curry und Thompson] mit dem Dreier tödlich sind, sind unsere Jungs mit Post-ups tödlich." Vor allem DeRozan stürzt sich immer wieder in die Zone - seit 2013 hat nur James Harden mehr Freiwürfe als er zugesprochen bekommen.

Auch die Fortschritte von Carroll machen Hoffnung, am Wochenende trainierte er zum ersten Mal wieder mit Assistant Coach Jama Mahlalela, allerdings ohne Körperkontakt. "Es gibt keinen Zeitplan. Er kommt zurück, wenn er bei 100 Prozent ist und die Ärzte grünes Licht geben", sagte Casey - es wird also noch einige Wochen dauern.

Der schwere Teil kommt noch

Die Zeit muss das Team nutzen, um auch ohne den Flügelspieler die defensive Identität neu zu entdecken. Da ist auch Casey gefragt, der zuletzt mit einem Frontcourt bestehend aus Valanciunas und Luis Scola experimentierte. Nicht gerade eine Ehrfurcht gebietende Macht in der Zone.

Vier Heimspiele stehen in der kommenden Woche an, genügend Zeit also, um die Defensivtaktiken, aber auch die Einstellung in Trainingseinheiten noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Am Montagabend gegen die Brooklyn Nets wird die Halle wohl zum 68. Mal in Folge ausverkauft sein: Die Fans glauben an das Team. Das Potenzial ist zweifellos da. "Wir haben große Fortschritte gemacht, aber letzten Endes geht es nur um Siege - um große Siege", gibt Ujiri die Richtung vor. "Das ist der schwere Teil."

Der Spielplan im Überblick

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