NBA

Alles andere als die Nummer 1

Von Philipp Jakob
Anthony Bennett (M.) verbrachte die meiste Zeit der Saison auf der Bank der Cavaliers
© getty

Anthony Bennett kam als Nummer-1-Pick des Draft 2013 in die Liga - ebenso überraschend wie kritisch beäugt. Das Spiel gegen die Pacers am Sonntag (ab 21 Uhr im LIVE-STREAM) wird er mit einer Knieverletzung wahrscheinlich verpassen. Der nächste Tiefpunkt in dieser Seuchensaison für den Kanadier.

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"With the first Pick in the 2013 NBA draft the Cleveland Cavaliers select... Anthony Bennett." Mit diesen Worten sorgte der damalige Commissioner David Stern für die erste Überraschung einer wilden Draft-Nacht 2013. Nicht nur Nerlens Noel war sichtlich verdutzt, sondern eigentlich auch jeder NBA- und College-Experte.

"Ich habe nicht besonders viel von Anthony Bennett gesehen, aber das was ich gesehen habe, sah nicht unbedingt nach einem Nummer-1-Pick aus. Bizarre Wahl!", lies zum Beispiel "ESPN"-Analyst Skip Bayless via "Twitter" verlauten.

Mit dieser Meinung war er nicht alleine. Bennett wurde vor dem Draft zwar als ein möglicher Top-10, vielleicht sogar Top-5-Pick gehandelt, doch dass der Kanadier als erster Prospect auf die Bühne gerufen wird, damit hatte keiner gerechnet.

Noch nicht einmal Bennett selbst. Überrascht, sprachlos und dennoch stolz genoss der damals 20-Jährige diesen einzigartigen Abend - der allerdings sein persönlicher Höhepunkt des Sommers und der kommenden Monate bleiben sollte.

Kein Basketball im Sommer

Bereits im Mai musste sich der 2,03 Meter große Forward einer Operation an der Schulter unterziehen und wurde dementsprechend zu einer mehrmonatigen Pause gezwungen. "Nach meiner Operation musste ich den ersten Monat komplett ruhen. Im zweiten Monat konnte ich nichts machen, im dritten Monat konnte ich nichts machen. Ich habe eigentlich den ganzen Sommer gechillt", gab Bennett zu.

Wie sehr das einem jungen Basketballer Schaden kann, war in der Pre-Season deutlich zu sehen. Zum einen hatte der 21-Jährige nicht die Möglichkeit, an seinem Spiel zu arbeiten, sich zu verbessern und sich auf die härtere Gangart in der NBA einzustellen. Zum anderen war Bennett zum Start der Saison schlicht und einfach nicht fit.

Mit fast 10 Kilogramm zu viel auf den Rippen kam er in sein erstes Trainingslager in der NBA - nicht die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Saison. Das war aber bei Weitem nicht das größte Problem, mit dem der Rookie zu kämpfen hatte.

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Keine Energie

Wie Cavs-Coach Mike Brown im Oktober mitteilte, leidet der Kanadier an Asthma und dem Schlafapnoe-Syndrom. Das bedeutet, dass Bennett immer wieder mit Atemstillständen während des Schlafs zu kämpfen hat, was sich durch eine hohe Tagesmüdigkeit und gelegentlichem Sekundenschlaf bemerkbar macht.

In Folge dessen war der Top-Pick selbst nach kurzen Trainigseinheiten schnell ausgelaugt. Zum Leidwesen seines Coaches: "Jedes mal, wenn ich ihn sehe, ringt er nach Luft. Das macht mich müde. Ich habe ihm gesagt, dass er Bescheid geben soll, wenn er ausgewechselt werden muss. Ansonsten schaue ich ihn nicht an."

Auswechseln ist dabei ein gutes Stichwort, denn Bennett kam in den ersten drei Monaten der Saison nur sehr sporadisch zum Einsatz - wenn überhaupt. Im November stand der 21-Jährige nur 11,1 Minuten auf dem Parkett, im Dezember waren es sogar nur 9,5 Minuten pro Partie. 12 Mal wurde er gar nicht eingesetzt.

Kein Platz für Bennett

Es half natürlich nicht besonders, dass Bennett bis Ende Januar nur durchschnittlich 2,4 Punkte und 2,3 Rebounds auflegte und desaströse 25,9 Prozent aus dem Feld und 14,3 Prozent von der Dreierlinie traf. In dieser Zeit schaffte es der Nummer-1-Pick nicht ein einziges Mal, die 10-Punkte-Hürde in einer Partie zu knacken.

Normalerweise gibt es zwei Möglichkeiten, einem schwächelnden, jungen Spieler in einer so schwierigen Phase zu helfen. Eine mögliche Herangehensweise wäre es, Bennett einfach ins kalte Wasser zu schmeißen, ihm viel Spielzeit zu geben, ihn Erfahrungen sammeln zu lassen und so seine Entwicklung voranzutreiben.

Für Cleveland war dies aber keine Option. Mit großen Playoff-Hoffnungen in die Saison gestartet, war einfach kein Platz und keine Zeit für Bennett und dessen Probleme. Die logische Konsequenz: Eine Reise in die D-League. Oder?

NBA-Bank statt D-League

Viele Experten hatten eigentlich genau damit gerechnet und vermutet, dass Bennett danach mit gesteigertem Selbstvertrauen und einem dünneren Bauch den Cavaliers im Kampf um die Playoffs weiterhelfen könnte.

Auch der Forward selbst war offenbar einem Engagement bei den Canton Charge nicht abgeneigt: "Ich habe gehört, dass es Shabazz Muhammad wirklich geholfen hat. Solang es mir hilft, ich bin dabei!" Doch zu diesem Schritt kam es nie.

Coach Mike Brown und Ex-GM Chris Grant ließen Bennett weiter auf der NBA-Bank schmoren. Er solle die NBA kennenlernen, hieß es in der Begründung - zumindest in der offiziellen. Nicht wenige vermuten, dass die Cavaliers sich aus einem ganz anderen Grund gegen einen Auftritt von Bennett in der D-League entschieden haben.

Ein Versagen des Front-Office?

In gewisser Weise wäre ein solcher Schritt nämlich ein Eingeständnis des Versagens. Noch nie in der Geschichte der NBA hat ein Nummer-1-Pick in der D-League gespielt. Grant würde damit zugeben, am Draft-Day die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Äußerst peinlich, da gleichzeitig Victor Oladipo, Michael Carter-Williams und Trey Burke starke Leistungen zeigten.

Allen voran der Rookie der Magic wird wahrscheinlich noch lange Zeit wie ein Geist über Bennetts Kopf schweben. Einige Experten hätten den 21-Jährigen gerne an der Seite von Kyrie Irving gesehen. Mit Dion Waiters von der Bank kommend hätte man theoretisch ein extrem starkes Backcourt-Trio vorzuweisen gehabt.

Jetzt scheint es aber so, als ob die Fans in Cleveland sich für einige Jahre mit einem positionslosen, kranken Bennett herumschlagen müssen. Für die Vier ist der Kanadier eigentlich zu klein, für die Drei ist er nicht athletisch genug. Sein Wurf von Downtown ist eigentlich recht gut, aber bei Weitem noch nicht so konstant, um die gegnerische Verteidigung auseinanderzuziehen.

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Endlich gute Leistungen

Immerhin: Schlechter werden seine Leistungen auf dem Court wohl nicht mehr werden - können sie eigentlich auch gar nicht. Mit einem PER von 6,8 liegt Bennett auf Platz 317 von 322 NBA-Spielern, die in dieser Saison mindestens 500 Minuten auf dem Parkett standen.

Außerdem gab es in der laufenden Saison schon einige Lebenszeichen des 21-Jährigen zu bewundern. Zum Beispiel am 11. Februar. Nachdem er sich in den Spielen zuvor schon deutlich verbessert zeigte, dominierte er in knapp 30 Minuten die Sacramento Kings, erzielte 19 Punkte (6/9 FG) und holte sich 10 Rebounds.

"Anthony Bennett hat uns kräftig in den Arsch getreten", zeigte sich auch Kings-Coach Mike Malone von dessen Leistung beeindruckt. "Ich bin mir sicher, Chris Grant sitzt jetzt lächelnd zu Hause und das zu Recht. Sein Nummer-1-Pick kam heute auf's Feld und hat ein Career-High in Punkten und Rebounds aufgelegt."

Auch wenn sich Grant über diese Leistung gefreut haben dürfte, für ihn kam sie zu spät. 5 Tage zuvor wurde er von den Cavaliers entlassen und musste sein Büro räumen - unter anderem aufgrund fragwürdiger Entscheidungen in der Free Agency und dem Draft.

Erneuter Rückschlag

Das dürfte Bennett aber relativ egal sein, denn er hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Nach weiteren, recht guten Leistungen gegen die Sixers (10 Punkte und 11 Rebounds) und die Spurs (14 Punkte) musste der Rookie am 8. März den nächsten herben Rückschlag hinnehmen.

Gegen die New York Knicks verletzte er sich an der Patellasehne im linken Knie und die Cavs gaben an, dass Bennett wohl für drei Wochen ausfallen wird. Bisher ist er noch nicht zurückgekommen und eine baldige Rückkehr ist auch eher fragwürdig. Eventuell wird er diese Saison gar nicht mehr zum Einsatz kommen können.

Hoffnungsvolle Zukunft

Vielleicht ist das auch gut so. Denn dann könnte Bennett diese Seuchensaison mit all dem Spott, dem Pech, den widrigen Umständen in einem katastrophalen Cavs-Team und die leidvolle Off-Season endlich abhaken.

Ein wenig Ruhe und Entspannung wird dem 21-Jährigen mit Sicherheit gut tun, sodass er im Sommer intensiv an seinem Spiel arbeiten und sich entwickeln kann. Denn an Einstellung, Einsatz und Kampfeswillen scheint es bei Bennett nicht zu mangeln, immerhin verlor er während der Saison um die 13 Kilogramm Körpergewicht.

Seine Leistungen zuletzt lassen zumindest hoffen. Nach einem wilden Jahr mit einigen Höhen und noch viel mehr Tiefen kann man ihm eigentlich nur wünschen, dass es 2014/15 besser läuft.

Anthony Bennett im Steckbrief

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