DOSB hat ein Fahnen-Problem

SID
Claudia Pechstein kämpft seit langem vor Gericht
© getty

Anderthalb Wochen vor der Eröffnungsfeier der Winterspiele in Sotschi werden die Rufe nach einer Fahnenträgerin Claudia Pechstein immer lauter. Sie bringen den DOSB in die Zwickmühle.

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André Lange weiß, wie es ist, mit der deutschen Fahne in der Hand in ein Olympiastadion einzulaufen. Vor vier Jahren wurde ihm diese Ehre zuteil, als er in Vancouver bei der Eröffnungsfeier das deutsche Team anführte. Am 7. Februar in Sotschi, da ist sich der viermalige Olympiasieger und erfolgreichste Bobpilot der Geschichte sicher, darf ihn nur eine einzige Person beerben: "Es kann keinen besseren Fahnenträger für Deutschland geben als diese großartige Kämpferin Claudia Pechstein."

Alles könnte so einfach sein für das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes, dem die alleinige Entscheidung in dieser Sache obliegt. Claudia Pechstein ist mit fünf Goldmedaillen Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin, sie bestreitet mit knapp 42 Jahren am Schwarzen Meer ihre sechsten Spiele, und dass die Eisschnellläuferin selbst in diesem Alter ihre zehnte Olympiamedaille holen wird, ist alles andere als ausgeschlossen.

"Ich würde es machen"

"Ich würde es machen, wenn ich gefragt werden würde", sagt Pechstein, wohl wissend, dass dies mehr als unwahrscheinlich ist. Denn der DOSB steht vor einem Dilemma. Pechstein und ihr heftig umstrittener Dopingfall haben dem deutschen und dem internationalen Sport eine tiefe Wunde zugefügt. Unter tatkräftiger Mithilfe der zutiefst gekränkten und kampfeslustigen Berlinerin eitert diese Wunde weiter fleißig vor sich hin. Und selbst, wenn er es wollte, der DOSB kann es sich nicht leisten, sie zu reinigen und zuzunähen.

"Wer die Fahne trägt, werden wir in Sotschi vor Ort entscheiden, nach bestem Wissen und Gewissen", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei der Vorstellung des Olympiakaders am vergangenen Donnerstag. Weitere Stellungnahmen von Verbandsseite soll es vor der offiziellen Bekanntgabe am 6. Februar nicht geben.

Richthofen lehnt Idee ab

Für Manfred von Richthofen ist die Sache jetzt schon klar: Eine Fahnenträgerin Claudia Pechstein wird es nicht geben. "Nach allem, was passiert ist, halte ich das für sehr, sehr problematisch, national und auch international", sagte der DOSB-Ehrenpräsident: "Sotschi ist sportpolitisch schon kompliziert genug. Auch wenn einige Wissenschaftler Vorwürfe gegen Pechstein ausgeräumt haben, polarisiert sie noch immer. In einer solchen Situation gibt man niemandem das Staatsemblem."

Für André Lange ist das, was für alle Sportpolitiker das Problem mit Pechstein darstellt, nur ein weiteres Argument für sie. "Auf keinen Fall", sagt Lange, sei die 2009 verhängte Zweijahressperre wegen erhöhter Blutwerte ein Hinderungsgrund: "So viel, wie da damals falschgelaufen ist, hat sie es jetzt umso mehr verdient."

Affront gegen den DOSB

Zumindest Lange und wohl nicht nur ihm müsste es der DOSB genau erklären, sollte er jemand anderen als Pechstein auswählen. Gerd Heinze etwa. "Für mich gibt es keinen Hinderungsgrund. Sie hatte eine Sperre, ja, aber keine Dopingsperre", sagt der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft.

Für den DOSB jedoch stellt nicht nur die Sperre Pechsteins als Problem dar, sondern auch ihr Verhalten danach. Ohne Rücksicht auf Verluste kämpft sie um ihre Rehabilitierung und nimmt gerne auch die Verbandsoberen aufs Korn. So wäre eine Nominierung Pechsteins beispielsweise ein Affront gegen den ehemaligen DOSB-Chef und heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach, den Pechstein wegen angeblich mangelnder Unterstützung in ihrem "Kampf um Gerechtigkeit" regelmäßig heftig attackierte.

Konfliktpotenzial vorhanden

Auch mit dem Eislauf-Weltverband ISU, den das angebliche Opfer Pechstein auf Zahlung von 3,5 Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt hat, würde es sich der DOSB verscherzen. Oder mit dem Internationalen Sportgerichtshof CAS und dem Schweizer Bundesgericht, die Pechsteins Zweijahressperre einst bestätigten.

Und möglicherweise auch mit seinem größten Geldgeber, dem Bundesinnenministerium - die Polizeihauptmeisterin Pechstein ist jedenfalls noch heute aus der Sportförderung der Bundespolizei ausgeschlossen. Schon die Tatsache, dass sich Hörmann diesbezüglich kürzlich für sie stark gemacht hat, überraschte viele - ein Fingerzeig auf eine Sensation bei der Eröffnungsfeier in Sotschi?

Auch potenzielle Konkurrentinnen verlieren kein schlechtes Wort über Pechstein. "Ich würde das total gerne machen, aber das entscheiden andere", sagt etwa Maria Höfl-Riesch und betonte, auch Pechstein habe "wahnsinnig große Erfolge gefeiert". Für Kombinierer Eric Frenzel sind Biathletin Andrea Henkel und eben Pechstein "Athleten, die die Fahne tragen sollten, sie sind die richtigen".

Angst "vor einem Shitstorm"

Es gibt aber auch andere Stimmen, die Zweifel aufkommen lassen, ob auf Fragen in Sachen Pechstein überhaupt authentisch geantwortet wird. Während sich Pechsteins Eisschnelllauf-Kollegin Stephanie Beckert, die seit Jahren kein Wort mehr mit ihrer ungeliebten Rivalin spricht, auf Anfrage nicht äußern wollte, wurde in einem anderen Fall das "kein Kommentar" begründet.

Mit Angst "vor einem Shitstorm und vor Pechsteins Freund". Matthias Große geht, das ist mittlerweile weithin bekannt, bei der Verteidigung seiner Lebensgefährtin alles andere als zimperlich zu Werke. Der DOSB hat Große übrigens offiziell für Sotschi akkreditiert.

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