Zwischen Wahnsinn und Weltrekord

SID
Sven Hannawald, zweimaliger Skiflug-Weltmeister, ist begeistert von der Anlage in Vikersund
© Getty

Oben auf dem "Monsterbakken" von Vikersund spricht aus vielen Gesichtern die nackte Angst. Wenn die jungen Männer dann auf der größten Schanze der Welt unten im Jubel der faszinierten Zuschauer angekommen sind, explodieren bei den sonst so schweigsamen Helden die Gefühle und Worte. Dazwischen liegen manchmal über acht unbeschreibliche Sekunden zwischen Himmel und Erde, in denen der menschliche Traum vom Fliegen beinahe Wahrheit wird.

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"Diese Schanze da ist so groß, sie erlaubt Flüge bis 250 Meter", erzählt Sven Hannawald der Nachrichtenagentur dapd vor der WM: "Da wird man so geil, dass man sich selbst übertrumpft". Er kann das wie kein zweiter beschreiben, schließlich war er gleich zweimal Skiflug-Weltmeister.

Einmal davon vor zwölf Jahren in Norwegen. Damals ging bei einem Traumflug auf 214,5 Meter im Training durch den Landedruck der Ski einfach so kaputt. Er hatte Glück und blieb unverletzt. Letzten Sonntag beim Fliegen in Oberstdorf stürzte der Slowene Peter Prevc bei der Schanzenrekordweite von 225,5 Metern und zog sich gleich mehrere Bänderrise in der Schulter zu.

Es ist genau diese Gratwanderung zwischen Wahnsinn und Weltrekord, die Springer wie Fans so fasziniert. "Vor jedem Fliegen ist Angst und Respekt da. Man hat weiche Knie", erzählt Martin Schmitt: "Aber das ist nur Selbstschutz. Beim Fliegen bist zu irgendwo nur Passagier." Die Kräfte im Flug sind so groß, "dass es einem fast die Schuhe auszieht", wie Bundestrainer Werner Schuster das beschreibt. Dafür müsse man einen Schuss Kaltschnäuzigkeit und Brutalität mitbringen.

Beim Fliegen werden die sonst so autarken Helden der Lüfte zu Herdentieren, Ärzte empfehlen wegen der unglaublichen psychischen Belastung zusätzlichen Schlaf.

120 Stundenkilometer auf 11,5 Zentimeter breiten Flughilfen

Das Tempo in der Luft auf zwei nur 11,5 Zentimeter breiten Flughilfen liegt bei bis zu 120 Stundenkilometern, der Puls geht hoch bis 180, der Adrenalinaustoß erreicht wie bei Menschen in Todesangst oder Jetpiloten vor der Landung das Vierfache des normalen Wertes - aber Fakten können diese Momente auf den Spuren von Ikarus schwerlich erklären. Sven Hannawald hat das mal als "Landung auf dem Mars" beschrieben, andere als "ein Gefühl wie beim Orgasmus".

Das Glücksgefühl steigt natürlich mit der Weite, und Vikersund ist die Schanze, wo bei der WM bis Sonntag der erste Mensch über 250 Meter fliegen soll. Im vergangenen Jahr schraubte der Norweger Johan Remen Evensen den Weltrekord auf 246,5 Meter, doch die mit Millionenaufwand vergrößerte Anlage lässt noch weitere Flüge zu.

"Der Mensch strebt halt immer nach mehr", sagt Martin Schmitt dazu: "Irgendwann werden sie auch irgendwo 270 oder 300 Meter springen." Verrückt - aber genauso muss man wohl sein, um die Angst zu besiegen und für ein paar Sekunden wie ein Vogel zu fliegen.

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