"Natürlich kann eine ein Grand Slam gewinnen"

Von Interview: Alexander Mey
Das DTB-Quartett: Andrea Petkovic, Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Julia Görges (v.l.)
© Getty

Deutschland hat 2011 im Damentennis ein Fräuleinwunder erlebt. Mit Andrea Petkovic, Sabine Lisicki, Julia Görges und US-Open-Sensation Angelique Kerber sind vier Mädels Weltspitze. Zufall oder logische Konsequenz? Eintagsfliegen oder Dauerbrenner? SPOX sprach mit DTB-Teamchefin Barbara Rittner über Stärken und Schwächen jeder Einzelnen, Grand-Slam-Titel, Fed Cup und den Unterschied zu den Herren.

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SPOX: Dass Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und Julia Görges in diesem Jahr das deutsche Damentennis aus dem Dornröschenschlaf geweckt haben, wussten wir schon länger. Aber wo kam bei den US Open plötzlich Angelique Kerber her?

Barbara Rittner: Das hat mich auch überrascht. Ich habe ihr zwar immer viel zugetraut und ihr gesagt, dass sie das, was die anderen drei erreicht haben, auch schaffen kann, aber mit so einem Durchbruch zu diesem Zeitpunkt war überhaupt nicht zu rechnen. Das freut mich wahnsinnig.

SPOX: Wo war Kerber denn in den letzten Monaten und warum hat es jetzt Klick gemacht?

Rittner: Am spielerischen Vermögen lag es auf jeden Fall nicht. Das hatte ganz viel mit der Person Angelique Kerber zu tun, die mit sich selbst nicht im Reinen war. Sie hatte eigentlich ein sehr gutes Jahr 2010, hat aber trotzdem immer mit sich gehadert. Sie konnte nie den Moment genießen, weil sie nie zufrieden war. In diesem Punkt hat sich nun etwas verändert. Was sicher auch damit zu tun hat, dass sie erwachsener geworden ist. Der Wechsel in die Tennisakademie nach Offenbach hat ihr sehr gut getan. Die neuen Leute und andere Trainingsschwerpunkte haben ihr neues Selbstvertrauen gegeben.

SPOX: Sehen Sie bei Kerber oder einer der drei anderen Eintagsfliegen-Gefahr?

Rittner: Die haben mittlerweile alle die nötige Erfahrung und Konstanz, um sich da oben festzusetzen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die Gesundheit mitspielt. Wenngleich die Messlatte jetzt sehr hoch liegt. Man sollte nicht den Fehler machen, die Mädels nur noch nach Grand-Slam-Halbfinals oder Turniersiegen zu beurteilen.

SPOX: Wem trauen Sie denn am ehesten diese Halbfinals und Turniersiege zu?

Rittner: Andrea Petkovic ist auf diesem hohen Niveau die konstanteste. Dreimal Viertelfinale bei Grand Slams, das ist sehr eindrucksvoll. Auch Sabine Lisicki ist nach ihrer schweren Verletzung schon wieder erstaunlich konstant. Julia Görges hat noch ein bisschen mit den gestiegenen Ansprüchen zu kämpfen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie damit klarkommt. Bei Angelique Kerber muss man sehen, wie sie diesen unglaublichen Erfolg verdaut.

SPOX: Klingt nach einer goldenen Generation im Damentennis.

Rittner: Als ich 2005 zum DTB gekommen bin und diese damals 16-, 17-jährigen Mädchen gesehen habe, habe ich sofort gesagt, dass alle vier großes Potenzial haben. Es ist ein Glück, solche Spielerinnen zu haben. Das werden wir nicht alle zwei Jahre erleben. Aber es ist auch kein Zufall, dass sie alle nun dort stehen, wo sie stehen. Dadurch, dass alle ungefähr gleich alt sind und oft miteinander trainieren, entsteht eine Art Sogwirkung. Die eine sieht, was die andere erreicht hat, und denkt sich: "Das kann ich doch auch!"

SPOX: Dabei ist Tennis doch eigentlich eine Einzelsportart.

Rittner: Ich sehe das als Zusammenspiel aus individuellem Basistraining und der Gemeinschaft. Es ist bis heute meine Philosophie beim DTB, immer wieder die Spielerinnen zusammen zu ziehen und viel mit ihnen zu reden. Es soll eine Nähe entstehen, die dazu führt, dass sich die einen an den Erfolgen der anderen hoch ziehen anstatt neidisch zu sein. Im Fall der vier aktuell so erfolgreichen Mädels muss ich aber auch loben, dass alle gelernt haben, sehr professionell zu arbeiten. Sie haben sich ihre eigenen Teams gebaut, die sehr gute Arbeit leisten.

SPOX: Wie definieren Sie Ihre Rolle im Umgang mit dem Quartett?

Rittner: Ich bin eine Beraterin im Hintergrund. Da ich alle von klein auf kenne, herrscht zwischen uns ein gewisses Vertrauensverhältnis. Ich kenne ihre Stärken und Schwächen - sowohl spielerisch als auch persönlich - und sie kennen meine. Das ist so, wenn man von Kindesbeinen an miteinander arbeitet. Ich weiß eben auch so manches aus ihrem Privatleben...(lacht) Wir haben einen sehr ehrlichen Umgang von Frau zu Frau.

SPOX: Wenn wir beim Spielerischen bleiben: Wo sehen Sie bei Petkovic, Lisicki, Görges und Kerber noch Schwächen?

Rittner: Petkovic kann ihren Aufschlag noch um einiges effektiver einsetzen, um mehr freie Punkte zu bekommen. Und sie verfällt zu oft in das stereotype Schießen von der Grundlinie. Sie kann auch alles andere, muss aber noch disziplinierter taktische Spielzüge anwenden. Lisicki hat eigentlich einen sehr starken Aufschlag, bei den US Open kam aber genau diese Stärke zu wenig konstant. Daran muss sie arbeiten. Ansonsten bringt sie spielerisch alles mit und hat eine der besten Spielübersichten. Ihre Fitness muss sie nach der langen Verletzung auch noch weiter aufbauen. Görges muss lernen, ihr Spiel auf unterschiedliche Beläge anzupassen und geduldiger zu sein. Auf Sand funktioniert ihr Spin sehr gut, aber auf Hartplatz ist es manchmal noch schwieriger. Kerber hat beim Aufschlag noch einiges zu tun, der ist manchmal noch zu vorsichtig. Sie könnte mit ihrem guten Volley auch noch häufiger ans Netz gehen. Aber ansonsten hat sie bei den US Open keine großen Schwächen gezeigt.

SPOX: Nicht nur bei den US Open sondern das ganze Jahr über hat man gesehen, dass es momentan keine Dominatorin im Damentennis gibt. Perfekte Voraussetzungen für das deutsche Quartett, oder?

Rittner: Stimmt. In der Vergangenheit gab es immer eine Graf, eine Seles, eine Hingis oder zuletzt die Williams-Schwestern, als sie noch gesund waren. Die waren alle eine Klasse für sich. Das sehe ich im Moment nicht. Da gewinnt eine Stosur die US Open, die sowohl Petkovic als auch Lisicki und Görges schon geschlagen haben. Daran sieht man: Es ist ein guter Zeitpunkt und natürlich kann eins unserer Mädels ein Grand Slam gewinnen.

SPOX: Gewinnt Deutschland 2012 auch den Fed Cup?

Rittner: (lacht) Darauf werde ich sehr oft angesprochen. Wir haben auf jeden Fall das Potenzial, den Fed Cup zu gewinnen, und das ist auch unser Ziel. Natürlich ist die Konkurrenz sehr stark, und wenn wir die erste Runde gegen Tschechien mit der Wimbledon-Siegerin Kvitova verlieren, ist das Geschrei groß. Aber wenn bei uns alle gesund bleiben und ich hoffentlich die Qual der Wahl habe, können wir mit unserem Teamgeist sicher ein Wörtchen mitreden.

SPOX: Erfreuliche Aussichten, die die Herren überhaupt nicht haben. Was machen Sie bei den Damen besser?

Rittner: Ich finde, dass die Herren auch großes Potenzial haben. Vielleicht fehlt manchmal einfach nur der nötige Biss. Das ist aber eine Sache, auf die mein Kollege Patrick Kühnen wenig Einfluss hat. Vielleicht sollte man bei den Herren mal darüber nachdenken, schon mit den Jugendlichen enger zusammenzuarbeiten, so wie wir das bei den Damen machen. Ich kannte meine Mädels und habe an ihnen festgehalten, als ich beispielsweise gefragt wurde: "Was willst du nach dem Kreuzbandriss denn noch mit der Petkovic?" Ich stehe zu meinen Mädels, in guten und in schlechten Zeiten.

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