Tausche Esel gegen Sandsack

Von Bastian Strobl
Eduard Gutknecht (l.) begann neben seiner Boxkarriere eine Ausbildung zum Industriemechaniker
© Getty

Zwei Boxer, ein Ziel: die Weltmeisterschaft. Am Samstag boxen Eduard Gutknecht (gegen Lorenzo di Giacomo) und Dominik Britsch (gegen Ryan Davis) im Vorfeld des WM-Kampfes von Marco Huck in München. Ein gebürtiger Kasache und ein Schwabe, deren persönliche und sportliche Karrieren sich über die Jahre hinweg immer mal wieder kreuzten und doch so grundverschieden begonnen haben.

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Im Leben eines jeden jungen Sportlers gibt es einen entscheidenden Moment. Einen Knackpunkt, der alles verändert. Bei Muhammad Ali war es einst der Diebstahl seines Fahrrads. Michael Jordan trieben dagegen die ständigen Niederlagen gegen seinen älteren Bruder Larry an, die ihn zum besten Basketballer aller Zeiten werden ließen. Der Rest ist Geschichte.

Einen solchen Status wird Eduard Gutknecht vermutlich nie erreichen. Und doch hat auch der heute 29-Jährige sein Schlüsselerlebnis. Es war der 9. Dezember 1995. Ein kalter, verschneiter Winterabend. Einen Tag vor dem zweiten Advent. Die Familie Gutknecht, erst in jenem Jahr aus Weißrussland nach Deutschland gekommen, hat sich im Wohnzimmer versammelt. Der Geburtstag der Mutter wollte schließlich standesgemäß gefeiert werden.

Und doch blickte der damals 13-jährige Eduard lieber wie gebannt auf den familieneigenen Flimmerkasten. "An diesem Abend boxte Axel Schulz gegen Francois Botha. Dieser Kampf hat in mir ein Feuer entfacht. Damals habe ich mir gesagt: Ich will Boxer werden", erzählt Gutknecht im Gespräch mit SPOX.

Lieber Schach als Boxen?

Im selben Jahr kam auch Dominik Britsch zum Boxen. Mit acht Jahren. Zu früh? Keineswegs, immerhin hatte der in Bad Friedrichshall geborene Schwabe schon damals eine Handvoll verschiedener Sportarten ausprobiert. Von Turnen und Fußball über Tennis und Handball bis zu Judo und Karate war keine Sportart vor dem Multitalent sicher.

Doch dass er irgendwann zum Boxen kommen sollte, war eigentlich schon seit seiner Geburt wie in Stein gemeißelt. "Mein Vater war ein erfolgreicher Amateurboxer. Seine alten Kollegen haben zum Aufwärmen immer Fußball gespielt. Da war ich immer dabei, und bin dann einfach auch beim richtigen Training geblieben", erinnert er sich.

Nur die Frauen in der Familie Britsch sahen seine neue große Liebe mit Argwohn. Gerade der Großmutter wäre es lieber gewesen, wenn ihr kleiner, süßer Enkel weiter im Schachklub seine Gegner in die Mangel genommen hätte.

Fünf Esel als Fahrradersatz

Eduard Gutknecht in seiner kasachischen Einöde wäre wohl froh gewesen, in diesem Alter überhaupt irgendeinen Sportklub um die Ecke zu gehabt zu haben: "Als Kind merkt man die schwierigen Umstände gar nicht. Für meine Eltern war es sicherlich was anderes, aber ich habe meine Kindheit einfach genossen."

Fußbälle gab es schließlich auch in der ehemaligen Sowjetunion, und statt mit dem Fahrrad herumzukurven, ritt Klein-Eduard einfach auf Eseln durch das Dorf. "Ich hatte schon als kleines Kind fünf Stück", sagt er schmunzelnd.

Gutknecht: Zu ehrgeizig für eine Mannschaftssportart

Von denen musste er sich allerdings verabschieden, als sich seine Familie 1993 nach Weißrussland und zwei Jahre später nach Deutschland aufmachte. Dank Botha und Schulz hatte er allerdings schon bald neue Spielkameraden. Eine Mannschaftssportart kam für Gutknecht dennoch nie in Frage: "Im Gegensatz zu meinen Mitspielern beim Fußball war ich immer sehr fleißig und ehrgeizig. Deswegen war mir relativ schnell klar: Eine Einzelsportart muss her."

Und da der Vater seinem Sohnemann nur selten einen Wunsch verwehrte, hing kurze Zeit später ein Sandsack bei Gutknechts. Und den traktierte Eduard so oft es ihm neben der Realschule möglich war.

Der Lohn: Eine Amateurkarriere mit insgesamt 157 Kämpfen. Erfahrungen, die er nicht missen will, obwohl es "eine anstrengende Zeit" war. "Ich war ja nicht auf einem Sportinternat, sondern habe neben dem Boxen noch meine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht", so Gutknecht, der sich damit ein zweites Standbein aufgebaut hat.

Britsch: Schulpraktikum bei Sauerland

Auch Dominik Britsch hatte mit einer solchen Doppelbelastung zu kämpfen, wenn auch auf einer anderen Ebene. Bis zur Oberstufe war er ein guter, normaler Schüler, der eben eine große Leidenschaft zum Boxen hegte. Doch dann kam die elfte Klasse. Es kam ein Pflichtpraktikum. Es kam Sauerland. Ohne lange darüber nachzudenken, hatte sich Dominik bei dem prestigeträchtigen Boxstall für ein einwöchiges Praktikum beworben. Und wurde genommen.

"Ich hätte nie gedacht, dass das alles so schnell geht. Ich habe einige Amateurkämpfe auf DVD chronologisch zusammen geschnitten und zu Sauerland geschickt. Am nächsten Tag wurde ich dann schon angerufen", erzählt Britsch.

Der kleine Junge aus Neckarsulm machte sich also auf die Reise ins große Berlin. Kaum angekommen, stand er beim Sparring auch schon keinem Geringern als Markus Beyer gegenüber. Und überzeugte offenbar, denn in den folgenden Sommerferien durfte er wiederkommen. Seitdem hieß es für ihn: Training, Training, Training. Während seine Abi-Kollegen noch träumten, ging es für Dominik noch vor der ersten Stunde ins Gym.

Soziales Engagement neben der Karriere

Doch es zahlte sich aus. 2006 unterschrieb er mit bestandenem Abitur in der Tasche seinen ersten Profivertrag, natürlich bei Sauerland, und machte da weiter, wo er bei seiner Amateurkarriere aufgehört hatte. Nach 23 Profikämpfen steht bei ihm immer noch eine makellose Bilanz zu Buche.

Doch Britsch wusste schon in jungen Jahren, dass es ein Leben neben dem Sport gibt. Nicht zuletzt deswegen hat er seinen Schulabschluss gemacht, nicht zuletzt deswegen wird er in den nächsten Jahren ein Studium beginnen und nicht zuletzt deswegen engagiert er sich für soziale Projekte.

"Ich bin Pate der Aktion 'Wir helfen Afrika'. Zudem unterstütze ich eine Organisation, die kranke und behinderte Kinder ermutigt, Sport zu treiben", erklärt Britsch. Für ihn ist der Sport nicht nur ein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung: "Jeder sollte Sport machen. Man fühlt sich einfach besser. Und gerade kranke Kinder können durch solche Aktivitäten wieder mehr Spaß am Leben bekommen."

WM-Niederlage gegen Stieglitz

Während Britsch durch diese Projekte den Kontakt zum Nachwuchs pflegt, braucht Gutknecht nur in seine eigenen vier Wände zu schauen: "Meine Frau und unsere zwei Kinder sind der Grund, warum ich mich Tag für Tag quäle. Ich will ihnen ein schönes Leben bieten können. Sie sind meine Motivation."

Und sein Rückhalt. Gerade nach der deutlichen Niederlage in seinem bisher einzigen WM-Kampf gegen Robert Stieglitz war es seine Familie, die ihn wieder aufbaute. Denn "eigentlich war ich gegen Stieglitz im letzten Jahr in einer Top-Verfassung. Aber ich war zu dickköpfig und konnte meine Taktik während des Fights nicht ändern."

Ein Problem, dass seit seinem Wechsel von Spotlight Boxing zu Sauerland Anfang 2011 nun Trainerlegende Ulli Wegner in den Griff bekommen soll. Mit Erfolg: Im Mai wurde Gutknecht Europameister. Der erste internationale Titel für ihn, nachdem er zu Amateurzeiten auf der großen Bühne immer auf der Zielgeraden den Kürzeren zog.

Das Ziel: Weltmeister in fünf Jahren

Das soll sich in den nächsten Jahren nun endgültig ändern. Sowohl bei Gutknecht, als auch bei Britsch, die sich am liebsten in fünf Jahren mit dem großen Gürtel um die Hüften sehen würden.

"Schließlich will ich nicht wie Evander Holyfield oder Roy Jones jr. noch mit Mitte 40 im Ring stehen", so Gutknecht.

Oder, um es mit den Worten seines schmunzelnden Stallkollegen auszudrücken: "Mein Vater wird mich schon aus dem Ring prügeln, wenn ich nicht wissen sollte, wann Schluss ist." Das wäre dann wohl ein Knackpunkt der etwas anderen Art.

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