Aus der Regionalliga zum heimlichen Gewinner der DFB-Gala gegen Frankreich: Wie Robert Andrich an der Seite von Toni Kroos überzeugte

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Dass Toni Kroos und die beiden Zauberer Jamal Musiala und Florian Wirtz bei Deutschlands beeindruckendem 2:0-Sieg gegen Frankreich dermaßen glänzen konnten, lag auch an Robert Andrich. Mit dem 29-jährigen Leverkusener hat Bundestrainer Julian Nagelsmann den langersehnten Stabilisator im defensiven Mittelfeld gefunden.

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Robert Andrich schaute finster hinter seinem Bart hervor und sprach in etwa so, wie er vorher Fußball gespielt hatte. Es ging um eine Szene in der 68. Minute, Andrich war mit Kylian Mbappé aneinandergeraten. Er, der Leverkusener bei seinem zweiten Länderspieleinsatz, habe ihm, dem aktuell wohl besten Fußballer der Welt, Mbappé "ein kleines Zeichen mitgeben" wollen.

Andrich foulte Mbappé durchaus rüde, dieser keilte im Fallen mit den Füßen aus und traf Andrich unter der linken Achsel. Beide bekamen Gelb. "Ich glaube schon, dass man da definitiv über Rot nachdenken kann", sagte Andrich später in Richtung Mbappé. "Wenn er die bekommt, habe ich alles richtig gemacht."

Sowohl auf dem Platz als auch bei seiner Stellungnahme nach dem Spiel strahlte Andrich in Lyon genau das aus, was Bundestrainer Julian Nagelsmann von ihm erwartet, was dem DFB-Team so lange gefehlt hatte. Kettenhund, Aggressive Leader, Abräumer, Raubein, Staubsauger: Es gibt viele ganz wunderbare Bezeichnungen für diese Rolle, die Andrich ausfüllte.

Klar, am ergiebigsten gefeiert wurde Rückkehrer Toni Kroos - sogar von der Gegenseite. Die französischen Fans applaudierten ihm bei seiner Auswechslung, laut Aurélien Tchouaméni habe Kroos "das Gesicht dieser Mannschaft sofort verändert". Kroos dominierte mit einer beeindruckenden Eleganz und sammelte neben einem Assist weitere 145 Ballkontakte. Weiter vorn glänzten Jamal Musiala und Florian Wirtz.

Für die nötige Absicherung sorgte unterdessen Robert Andrich. Er avancierte zum heimlichen Gewinner dieses beeindruckenden, Euphorie-schürenden 2:0-Sieges gegen Frankreich.

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DFB-Team: Robert Andrichs beschwerlicher Weg in Deutschlands Startelf

Andrich ist ein klassischer Spätstarter, nach Jahren in der Regionalliga und der 3. Liga debütierte er erst mit 24 in der Bundesliga. Bei Union Berlin spielte er zwar auch mit Kroos zusammen, aber nur mit Tonis Bruder Felix. Im Alter von 26 Jahren wechselte der gebürtige Potsdamer erstmals zu einem Spitzenklub. Gesetzt war er bei Bayer Leverkusen seitdem aber nur phasenweise: In der aktuellen Saison gibt Trainer Xabi Alonso an der Seite von Granit Xhaka meist Exequiel Palacios den Vorzug, sofern der Argentinier fit ist.

Julian Nagelsmann aber sah in Andrich genau das Profil, das seinem Mittelfeld fehlte. Der Bundestrainer berief Andrich schon bei seinen ersten beiden Kader-Nominierungen im Herbst, wechselte ihn aber erst im vierten Spiel erstmals ein, bei der 0:2-Pleite gegen Österreich. "Die 30 Minuten von meinem Debüt haben glaube ich Eindruck hinterlassen", sagte Andrich selbstbewusst in Lyon.

Nach dem Tiefpunkt von Wien überdachte Nagelsmann seine Pläne: Er überredete Kroos zu einem Comeback, schob Ilkay Gündogan auf die Zehn, beorderte Joshua Kimmich nach rechts hinten und strich Leon Goretzka aus dem Kader. Offen blieb zunächst einzig die Planstelle des absichernden Sechsers neben Kroos. Weil der beim FC Bayern München zuletzt so glänzend aufgelegte Aleksandar Pavlovic krankheitsbedingt absagen musste, blieben Nagelsmann als Alternativen Pascal Groß von Brighton & Hove Albion sowie eben Andrich. Er entschied sich für den Leverkusener.

"Es ist immer ein bisschen schwierig, wenn du in so eine Mannschaft rein kommst. Die Mannschaft selber hat noch nicht die Handschrift, dann kam Toni dazu. Wir haben noch nicht so viele Einheiten zusammen gehabt", erklärte Andrich. "Am Anfang muss man sich finden: In welchen Räumen bewegt er sich? In welchen Räumen musst du dich dann dementsprechend bewegen? Das sind Sachen, die Zeit brauchen. Die Zeit haben wir aber nicht." Also klappte es eben sofort: "Ich glaube schon, dass es über 90 Minuten sehr, sehr gut zwischen uns beiden aussah."

Robert Andrich: Statistiken der Saison 2023/24 bei Bayer Leverkusen

PflichtspieleSpielminutenToreAssistsGelbe Karten
321.908244
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Robert Andrich setzte im deutschen Spiel auch eigene Offensiv-Impulse

Tadellos erfüllte Andrich die Kernaufgabe, seinen Nebenmann abzusichern und dem deutschen Spiel eine physische, aggressive Note zu geben - bestens ersichtlich beim Duell mit Mbappé. "Er ist ein unfassbarer Spieler. Ich halte ihm den Rücken frei, damit er sich voll entfalten kann", sagte er am Dienstag über Kroos. Mehr klärende Aktionen als Andrich verzeichnete nur der ebenfalls starke Abwehrchef Antonio Rüdiger.

Darüber hinaus setzte Andrich aber auch erstaunlich viele eigene Offensiv-Impulse. Wenn sich Kroos beim Spielaufbau links neben die beiden Innenverteidiger fallen ließ, besetzte Andrich den Halbraum rechts vor ihm. Er sammelte 113 Ballaktionen, die zweitmeisten nach Kroos. Außerdem spielte Andrich die zweitmeisten Pässe ins Angriffsdrittel (13) und wagte drei Abschlüsse. Stark war auch seine Passquote von 90,1 Prozent.

Deutschland hielt gegen Frankreich erstmals nach zehn Spielen mit mindestens einem Gegentor wieder die Null, ausgerechnet gegen eine der gefährlichsten Offensivabteilungen der Welt. Explizit lobte Nagelsmann das defensive "Gesamtkonstrukt". Mit Blick auf das zweite Testspiel gegen die Niederlande am Dienstag (20.45 Uhr) und auch die EM-Startelf ganz generell will Nagelsmann an diesem Gesamtkonstrukt kaum etwas ändern, das betonte er in Lyon einmal mehr.

Andrich dürfte seinen Platz nach nur einem Startelf-Bewerbungsschreiben vorerst sicher haben. Seiner eigenen Vorzüge ist er sich dabei durchaus bewusst. So erfrischend selbstbewusste wie er sein Duell mit Mbappé, sein Debüt gegen Österreich und das Premieren-Zusammenspiel mit Kroos bewertete, so selbstbewusst sprach er auch über seine eigene Rolle: "Ich strahle vom Profil her etwas aus, was der Mannschaft helfen kann." Er wolle "Energie rüberbringen" und "mit Mentalität der Mannschaft Sicherheit zu geben."