Dieser Triumph gehört Julian Nagelsmann: Erkenntnisse zum Sieg des DFB-Teams in Frankreich

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Dank einer begeisternden Leistung hat die deutsche Nationalmannschaft in Frankreich gewonnen und Hoffnungen auf eine erfolgreiche EM geschürt. Der Triumph hängt eng mit den mutigen Entscheidungen von Trainer Julian Nagelsmann zusammen.

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Es ist einer der simpelsten, aber auch ehrlichsten Fangesänge. Es ist ein Fangesang, der pure Zufriedenheit vermittelt - und insofern natürlich seit langer, langer Zeit nicht mehr bei einem Spiel der deutschen Nationalmannschaft zu hören war. An diesem Samstagabend in Lyon schallte es kurz vor Abpfiff aber aus dem kleinen Auswärtsblock unter dem Dach hinein in die riesige Arena: "Oh, wie ist das schön!"

Tatsächlich war es wunderschön, was die deutsche Nationalmannschaft da auf den Rasen gezaubert hatte. Wann war es eigentlich letztmals schöner? Nach all den Negativ-Erlebnissen der vergangenen Jahre und Monate, nach den verkorksten Turnieren, nach den beiden verheerenden Pleiten in den Prestige-Duellen mit der Türkei und Österreich zum Abschluss des verheerenden Jahres 2023 präsentierte sich das DFB-Team in Lyon wie verwandelt.

Deutschland verteidigte stabil, ließ den Ball souverän laufen, griff spektakulär an - und gewann auswärts 2:0 gegen die nominell stärkste Nationalmannschaft der Welt, die noch dazu ziemlich in Bestbesetzung angetreten ist. Im viertletzten Test vor der Heim-EM schürte das Team von Trainer Julian Nagelsmann erstmals echte Hoffnung auf ein erfolgreiches Turnier (und schob gleichzeitig die Störgeräusche um den Ausrüster-Wechsel beiseite).

"Wir wollten Lebensfreude versprühen, das haben wir getan", lobte Nagelsmann. "Am Ende bin ich sehr zufrieden, gerade mit der Art und Weise. Kompliment an die Mannschaft, es war schön anzuschauen." Zuzuschreiben ist dieser Triumph zu großen Teilen auch dem Bundestrainer selbst: Seine Herangehensweise und seine mutigen Entscheidungen zahlten sich aus.

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DFB-Team: Toni Kroos glänzt bei seinem Comeback

Nagelsmann nominierte für die letzte Länderspielphase vor der EM einen runderneuerten Kader. Ohne arrivierte Reservisten, die sich über ihr Reservisten-Dasein beklagen könnten. Dafür aber mit einer klaren Startelf und vielen hungrigen Debütanten. Jedem Spieler erklärte der Bundestrainer vorab die ihm angedachte Rolle genau. Außerdem nahm er die Fans mit, indem er seine Startelf-Pläne auch öffentlich kommunizierte. Nach Jahren des wilden Personal-Geschachers ist wieder eine Linie erkennbar.

"Wir haben eine ganz andere Rollenverteilung, eine ganz klare Hierarchie in der Mannschaft", lobte Niclas Füllkrug. "Das tut jeder Mannschaft gut, das ist gesund und hilft uns." Die wohl wichtigste Figur in dieser neuen Hierarchie ist der 34-jährige Toni Kroos, den Nagelsmann aller öffentlichen Kritik zum Trotz nach dreijähriger Abstinenz zu einem Comeback überredet hat.

Gegen Frankreich dauerte es exakt acht Sekunden, bis Kroos erstmals seine ganze Klasse bewies. Mit einem tollen Pass bediente er Florian Wirtz, der das schnellste Tor der DFB-Geschichte erzielte. Kroos verlieh dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft eine zuletzt vermisste Ballsicherheit und sammelte dabei beeindruckende 146 Ballkontakte. "Seine Leistung war herausragend gut", lobte Nagelsmann. Bei seiner Auswechslung kurz vor Schluss applaudierten sogar die französischen Fans.

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Julian Nagelsmann löst Deutschlands Mittelfeld-Puzzle

Im Zuge von Kroos' Comeback schaffte Nagelsmann Historisches: Er löste das vermeintlich unlösbare Mittelfeld-Puzzle der Nationalmannschaft und brachte sämtliche vermeintlich inkompatible Protagonisten in einer funktionierenden Startelf unter.

Kroos bekam mit Robert Andrich einen defensivstarken Nebenmann. Bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt harmonierten die beiden erstaunlich gut. Joshua Kimmich gefiel unterdessen als rechter Verteidiger. Obwohl er das eine oder andere Laufduell verlor, hatte er mit Kylian Mbappé den aktuell wohl unangenehmsten Gegenspieler der Welt weitestgehend unter Kontrolle.

Nur Ilkay Gündogan fremdelte etwas in seiner neuen Rolle auf der Zehn. Sein Einfluss auf das Spiel war begrenzt, was aber auch daran lag, dass sich seine beiden so unfassbar talentierten Nebenmänner Jamal Musiala und vor allem Florian Wirtz unerhört in den Vordergrund drängten. Nagelsmanns "Zauberer" zauberten standesgemäß, am schönsten vor Kai Havertz' Treffer zum 2:0. Gut möglich, dass Gündogans Klasse gegen tiefstehende Gegner auf der Zehn besser zur Geltung kommen wird.

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Deutschland spielte erstmals nach zehn Spielen wieder Zu-Null

Während Nagelsmann seine Startelf weiträumig umbaute und im Vergleich zur Pleite gegen Österreich auf sieben Positionen änderte, setzte er in der Innenverteidigung erneut auf Antonio Rüdiger und Jonathan Tah. Die beiden spielten in allen fünf Partien unter Nagelsmann durch. Genau wie die zahlreichen Umstellungen, sollte sich auch dieses Vertrauen auszahlen. Rüdiger und Tah hatten entscheidenden Anteil daran, dass Deutschland erstmals nach zehn Länderspielen mit mindestens einem Gegentor wieder die Null hielt.

Etwas unsicher wirkte in der Viererkette bisweilen einzig Debütant Maximilian Mittelstädt. Für den neuen Mannschaftsgeist spricht aber, dass ihn anschließend dennoch mehrere Protagonisten ungefragt lobten. "Es ist absolut hervorzuheben, wie abgeklärt es Maxi Mittelstädt in seinem ersten Länderspiel gemacht hat", betonte beispielsweise Kroos.

Möglicherweise testet Nagelsmann am Dienstag gegen die Niederlande links hinten mit David Raum oder Benjamin Henrichs einen anderen Kandidaten. Im Sturm könnten Niclas Füllkrug oder Deniz Undav statt Kai Havertz beginnen. "Geplant sind nicht viele Veränderungen", betonte Nagelsmann. "Wir haben die Rollengespräche geführt mit einer gewissen Idee, dann müssen wir sie auch durchführen." Abgesehen vom noch ausstehenden Comeback Manuel Neuers könnte dieser oh wie schöne 2:0-Sieg gegen Frankreich die Geburt einer vielversprechenden EM-Startelf gewesen sein.

Frankreich vs. Deutschland - 0:2

Tore

0:1 Wirtz (1.), 0:2 Havertz (49.)

Aufstellung Frankreich

Samba - Koundé (61. Clauss) , Pavard, Upamecano, L. Hernández (61. T. Hernández) - Tchouaméni (74. Fofana), Zaïre-Emery (61. Camavinga), Rabiot, Dembélé, Mbappé - Thuram (61. Giroud)

Aufstellung Deutschland

ter Stegen - Kimmich, Tah, Rüdiger, Mittelstädt - Kroos (89. Anton), Andrich - Wirtz (71. Müller), Gündogan (71. Führich), Musiala (80. Füllkrug) - Havertz (80. Undav)

Gelbe Karten

Mbappé (69.) / Andrich (69.)