Tradition ausgesetzt! Eine Problem-Position des FC Bayern München wird immer offensichtlicher

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Bei der Blamage gegen Eintracht Frankfurt offenbarte sich eine Problem-Position des FC Bayern München überdeutlich: die Außenverteidigung. Trainer Thomas Tuchel hat nur wenige Kandidaten - und die überzeugen zu selten.

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Es gab beim FC Bayern München mal Zeiten, in denen sich Außenverteidiger reihenweise für Beförderungen in die Spielfeldmitte empfahlen. Im Fußball gilt diese Verschiebung als Auszeichnung, hat man im Zentrum doch noch mehr Gestaltungsspielraum in alle Richtungen als auf den Außenbahnen.

Philipp Lahm und Joshua Kimmich avancierten einst von Flanken-Schlägern zu Mittelfeld-Strategen, David Alaba entwickelte sich zu einem tadellosen Innenverteidiger. Die aktuellen Außenverteidiger des FC Bayern sind von derartigen Entwicklungen weit entfernt, sie empfehlen sich statt für Zentrums- eher für Bankplätze.

Bei der 1:5-Blamage gegen Eintracht Frankfurt traf Trainer Thomas Tuchel die bemerkenswerte Maßnahme, bereits zur Pause beide Außenverteidiger auszuwechseln. Alphonso Davies und Noussair Mazraoui präsentieren sich in der ersten Halbzeit wirkungslos nach vorne und anfällig nach hinten, an mehreren Gegentoren hatten sie entscheidenden Anteil. Mazraoui ermöglichte das 0:1 beispielsweise mit einem völlig missratenen Klärungsversuch.

Ersetzt wurden sie durch Konrad Laimer und Raphael Guerreiro, die beide auch im Mittelfeld beheimatet sind, dort aber nicht an Joshua Kimmich und Leon Goretzka vorbeikommen. Durch den Doppelwechsel veränderte sich die Statik im Spiel des FC Bayern: Davies und Mazraoui hatten in Ballbesitz weitestgehend klassisch die Linien gehalten - Laimer und Guerreiro rückten regelmäßig in die zentralen Halbräume ein. Entscheidend besser wurden die Münchner dadurch nicht.

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FC Bayern: Tuchel klagte früh über die "große Lücke"

Die Vorkommnisse von Frankfurt stehen bezeichnend für die prekäre Situation auf dieser Position. Der FC Bayern ist auf den defensiven Außenbahnen dünn besetzt - und die wenigen Kandidaten überzeugen zu selten. Dabei hat der FC Bayern doch eigentlich eine wunderbare Außenverteidiger-Tradition. Anders als heute zeichneten die Münchner früher oft starke Zangen aus: Willy Sagnol und Bixente Lizarazu beim Champions-League-Sieg 2001, Lahm und Alaba 2013, Kimmich und Davies schließlich 2020 - auch wenn Kimmich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon fest in die Mitte gerückt war und lediglich für den verletzten Benjamin Pavard aushalf.

Apropos Pavard: Nach einer starken Saison verkaufte der FC Bayern den Rechtsverteidiger im Sommer aus Angst vor einem ablösefreien Abgang 2024 für 30 Millionen Euro an Inter Mailand. Josip Stanisic wechselte gleichzeitig per Leihe zu Bayer Leverkusen. Der FC Bayern könnte ihn nun gut gebrauchen, beim Bundesliga-Tabellenführer ist das Münchner Eigengewächs aber meist nur Reservist. "Es könnte besser laufen für mich persönlich", sagte Stanisic neulich.

Nominellen Ersatz für das abgewanderte Duo verpflichtete der FC Bayern im Sommer keinen, als Alternative sollte der ablösefrei geholte Laimer dienen. Tuchel war damit eher weniger einverstanden. "Die Situation sieht für uns nicht ganz glücklich aus", betonte er unmittelbar nach dem Schließen des Transferfensters. "Das ist jetzt schon eine große Lücke, die da klafft."

Links verteidigte in der bisherigen Saison meist Davies, rechts Mazraoui. Manchmal half Laimer aus und vereinzelt sogar Bouna Sarr. Er riss sich kürzlich aber das Kreuzband, dafür kehrte der zuvor verletzte Neuzugang Guerreiro zurück. In Frankfurt feierte der Portugiese seine Linksverteidiger-Premiere für den FC Bayern, gelegentlich half dort auch schon Mazraoui aus.

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Bei Bayer Leverkusen glänzen die Außenbahnspieler

Eine prägende Rolle nahm in dieser Saison noch kein Außenverteidiger ein. Gala-Vorstellungen sind nicht überliefert, nennenswert dagegen bereits grundsolide Auftritte wie die von Mazraoui und Laimer beim 1:0-Sieg gegen den 1. FC Köln vor zwei Wochen. Vor allem entscheidende Impulse im Offensivspiel lassen die Münchner Außenverteidiger weitestgehend vermissen.

Ein völlig anderes Bild zeichnet sich dagegen beim aktuellen Bundesliga-Spitzenreiter Bayer 04 Leverkusen. Auch wenn der Vergleich wegen des anderen Spielsystems etwas hinkt, ist die statistische Diskrepanz dennoch bemerkenswert. Leverkusens Außenbahnspieler Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong sind im 3-4-3 von Trainer Xabi Alonso absolute Schlüsselfiguren, beide verzeichneten in dieser Saison wettbewerbsübergreifend bereits je 15 Scorerpunkte.

Und die Bayern? Mazraoui hält bei vier Torbeteiligungen, wovon drei auf die Schützenfeste gegen den SV Darmstadt und den VfL Bochum entfallen. Laimer gelangen als Rechtsverteidiger eingesetzt zwei Scorerpunkte, Sarr einer. Davies startete zwar mit drei Assists in den ersten beiden Bundesligaspielen stark in die Saison, baute seitdem aber mindestens ebenso stark ab - es folgte kein einziger weiterer Scorerpunkt.

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Wie geht es mit Alphonso Davies weiter?

Gewissermaßen passt das zu seiner generellen Entwicklung: Davies' zu erwartenden Torbeteiligungen pro 90 Minuten sind seit 2021 rückläufig: Von einst 0,27 über 0,23 zu 0,15 in der aktuellen Saison. Seine Schwächen im Stellungsspiel und seine Streuung im Passspiel stellte der so flinke und dribbelstarke Davies bis heute nicht ab.

Tuchel nannte ihn zuletzt zwar "unumstrittenen Stammspieler", merkte aber auch an: "Er hat in allen Bereichen noch viel Luft nach oben, zum Beispiel im taktischen Verhalten gegen den Ball. Auch in Sachen Spielverständnis, wann er sich einschalten muss und wann nicht, dazu die Präzision seiner Flanken."

Gleichzeitig versucht Davies mit seinem Berater Nick Huoseh eine deutliche Erhöhung seines derzeitigen Gehalts von etwa neun Millionen Euro herauszuhandeln. Der Vertrag des 23-jährigen Kanadiers läuft 2025 aus, Real Madrid gilt als hochgradig interessiert.

Der FC Bayern schaut sich unterdessen seinerseits nach neuen Außenverteidigern um. Gehandelt werden unter anderem Arnau Martinez (20) vom spanischen Überraschungs-Klub FC Girona, Lutsharel Geertruida (24) von Feyenoord Rotterdam, Ferdi Kadioglu (24) von Fenerbahce und vor allem der flexibel einsetzbare Ronald Araujo vom FC Barcelona.

FC Bayern München: Die restlichen Spiele im Jahr 2023

DatumWettbewerbGegner
12. Dezember, 21 UhrChampions LeagueManchester United (A)
17. Dezember, 19.30 UhrBundesligaVfB Stuttgart (H)
20. Dezember, 20.30 UhrBundesligaVfL Wolfsburg (A)
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