"Das kann nicht im Interesse der Sportart sein"

Von Interview: Fabian Swidrak
Sven-Sören Christophersen wurde in Berlin zu einem der erfolgreichsten Bundesliga-Torschützen
© Getty

Bei den Füchsen Berlin hat er sich zu einem der besten Bundesliga-Torschützen entwickelt. Und auch in der Nationalmannschaft hat er eine wichtige Rolle: Sven-Sören Christophersen. Im SPOX-Interview spricht er über die Kräfteverhältnisse in der HBL, Belastungsprobleme im Handball, Geld aus Katar und private Pläne für die Zukunft.

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SPOX: Herr Christophersen, das Wichtigste gleich vorneweg: Wie geht es Ihnen nach Ihrem Außenbandanriss im Champions-League-Spiel gegen Zagreb am vergangenen Wochenende?

Sven-Sören Christophersen: Ich versuche mich bestmöglich mit der Situation zu arrangieren. Die Behandlung durch unsere medizinische Abteilung läuft bereits und ich versuche, so schnell wie möglich wieder fit zu werden. Man kann also sagen, dass es mir den Umständen entsprechend gut geht.

SPOX: Sie werden wohl bis zum Ende des Jahres ausfallen. Ist sogar die Weltmeisterschaft im Januar ernsthaft in Gefahr?

Christophersen: Das wird der Heilungsverlauf zeigen, aber natürlich will ich mit nach Spanien fahren. Näheres dazu wird sich wahrscheinlich in den nächsten zwei Wochen klären.

SPOX: Nach Uwe Gensheimer wären Sie bereits der zweite wichtige Spieler, der die WM verpasst. Dabei lief es für die Nationalmannschaft zuletzt ohnehin nicht ganz rund. Wo liegen die Probleme?

Christophersen: Vor allem in der kurzen Zeit, die man zusammen ist. Wir kommen gut miteinander aus, aber es bedarf einer gewissen Einspielzeit. Es gab ja schon ein paar gute Ergebnisse, nur an der Konstanz mangelt es noch.

SPOX: Sie sind einer der wenigen Nationalspieler, der bei einem Bundesliga-Klub echter Leistungsträger und Führungsspieler ist. Setzen die Teams in der Bundesliga zu wenig auf deutsche Spieler?

Christophersen: Ich kann grundsätzlich schon verstehen, dass die Vereine zunächst auf Leistung setzen und nicht nach der Nationalität der Spieler schauen. Wir stehen alle in der Pflicht und müssen sehen, dass wir wieder leistungsfähiger werden. Ich glaube nicht, dass es an den einzelnen Charakteren liegt.

SPOX: Ergebnisse wie das gegen Montenegro (27:31-Niederlage) jagen den anderen Top-Nationen vermutlich keine Angst ein. Mangelt es der deutschen Nationalmannschaft international an Respekt?

Christophersen: In Ehrfurcht erstarrt derzeit sicher keiner vor uns. Aber das ist auch nicht Sinn und Zweck der Geschichte. Es gibt noch drei Testspiele vor der WM in Spanien und damit ein paar wenige Tage, in denen man gemeinsam Dinge erarbeiten kann. Die taktische Auslegung ist in den Vereinen eine andere als in der Nationalmannschaft. Es ist nicht einfach, das auf Knopfdruck umzustellen.

SPOX: Peter Rauchfuß, Schiedsrichterwart des Deutschen Handballbundes, hat sich zuletzt erneut über die hohe Belastung im Spitzenhandball beklagt. Wie stehen Sie zu Ihrem Terminkalender?

Christophersen: Der ist voll. Wobei mir ein Pflichtspiel deutlich mehr Spaß macht als eine Trainingseinheit. Das ist meine Herangehensweise, aber man könnte sicher darüber nachdenken, den Spielplan zu entzerren. Man hat allerdings so viele Interessengemeinschaften, die man überhaupt erst an einen Tisch bringen muss. Keiner will zurückstecken und jeder will seinen Euro verdienen. Die Belastung geht aber definitiv auf Kosten der Qualität der Spiele.

SPOX: Wo würden Sie ansetzen?

Christophersen: Der klassische Vorschlag wäre natürlich, die zwei großen Turniere nur noch alle vier Jahre im Wechsel zu veranstalten. Wir waren nicht bei Olympia dabei, das ist schlimm genug und alle waren zu Recht enttäuscht deswegen, aber andererseits hat man sonst zwei große Turniere in einem Jahr. In welcher Sportart hat man das schon, zusätzlich zu einem geregelten Ligabetrieb? Man sieht ja, dass viele gute und auch wirklich arrivierte Kräfte ihre Teilnahme an den Turnieren absagen müssen, weil sie sonst einfach nicht durch die Saison kommen. Das kann nicht im Interesse der Sportart sein.

SPOX: In der Bundesliga nähern wir uns langsam dem Ende der Hinrunde. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Christophersen: Spielerisch haben wir sicherlich noch Steigerungspotenzial, aber die Ergebnisse gehen in Ordnung. Wir stehen im oberen Tabellendrittel und haben zuletzt gute Spiele abgeliefert.

SPOX: Heiner Brand hat vor einigen Wochen gesagt, dass er die Chance, dass der THW Kiel nicht deutscher Meister wird, für extrem gering hält. Sehen Sie das ähnlich?

Christophersen: Erst einmal bin ich froh, dass es keine zweite Saison gibt, in der der THW ohne Punktverlust Meister wird. Den Rest muss man abwarten. Kiel befindet sich in einem kleinen Umbruch, das macht sie etwas anfälliger. Aber insgesamt ist das Jammern auf hohem Niveau. Kiel hat eine Vormachtstellung, da brauchen wir nicht diskutieren. Zuletzt haben Sie diese im Spiel gegen die Rhein-Neckar Löwen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

SPOX: Sie spielen auf das Unentschieden gegen den THW Kiel zu Saisonbeginn an. Der erste Punktverlust der Kieler nach über 40 Spielen. Wie waren die Reaktionen aus der Liga auf den Achtungserfolg?

Christophersen: Ich glaube, alle in der Liga haben das gerne gesehen. Es macht Kiel etwas menschlicher. In großen Jubel sind wir aber nicht ausgebrochen. Wir können das sehr gut einordnen. Es wäre der Liga zu wünschen, dass es länger spannend bleibt als noch im vergangenen Jahr.

SPOX: Ihrer Mannschaft räumen sie noch Steigerungspotenzial ein. Wie zufrieden sind Sie denn bisher mit ihrer eigenen Leistung? Teamintern führen Sie die Torschützenliste an und auch im Bundesliga-Ranking stehen Sie gut da (Rang 13).

Christophersen: Ich habe immer den Anspruch an mich selbst, in meiner Mannschaft ein Führungsspieler und Leistungsträger zu sein. Dabei wird man natürlich auch an Toren gemessen und deshalb versuche ich, da präsent zu sein.

SPOX: In den letzten Jahren haben sich die Füchse Berlin zu einer echten Top-Adresse im deutschen Handball entwickelt. Wann reicht es denn zum ersten großen Wurf, sprich einem Titel?

Christophersen: Wir hatten zuletzt zwei Jahre, in denen wir nahe an unserem Leistungsoptimum gespielt haben. In einer Stadt wie Berlin ist die Erwartungshaltung unglaublich groß. Aber hier denkt keiner an einen Titel, so vermessen sind wir nicht. Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem wir uns an Titeln messen lassen sollten.

SPOX: Sie haben Ihre Bundesliga-Karriere beim TBV Lemgo begonnen und in der Saison 2007/08 noch einmal dort gespielt. Derzeit steht Ihr Ex-Klub in der Bundesliga auf einem Abstiegsrang. Leiden Sie mit?

Christophersen: Ich kenne natürlich den ein oder anderen Spieler aus der Nationalmannschaft. Der TBV ist derzeit arg gebeutelt vom Verletzungspech. Ich drücke ihnen auf jeden Fall die Daumen und bin davon überzeugt, dass sie den Abwärtstrend noch stoppen können. Die Region in Ostwestfalen ist so handballbegeistert und war über Jahre hinweg eine Hochburg. Es wäre schade, wenn das zusammenbricht.

SPOX: Wie im Fußball spielt auch im Handball das Geld eine immer größere Rolle. Kim Andersson beispielsweise soll nach seinem Abschied aus Kiel ein Angebot aus Katar gehabt haben. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Christophersen: Ich weiß natürlich um die Geschichte mit den Geldgebern in Paris. Es ist immer fragwürdig, wenn ein solches Engagement nur von kurzer Dauer ist. Dann schadet es dem Sport mehr, als es ihm hilft. Letztlich ist es aber schön, wenn sich möglichst viele Investoren für unsere Sportart interessieren. Es muss unser Ziel sein, das Produkt Handball und auch die Bundesliga immer weiter zu entwickeln. Ganz wichtig ist dabei die Nachhaltigkeit. Wir profitieren in Berlin nach wie vor von einigen großen und vielen kleineren Sponsoren.

SPOX: Mit Malaga hat man im Fußball ein Beispiel, bei dem das Projekt Scheich fast schief gegangen wäre. Der Verein stand im Sommer kurz vor dem Bankrott.

Christophersen: Die Risiken sollten den jeweils Verantwortlichen bewusst sein. Es ist deren Aufgabe, Investition und Risiko abzuwägen. Man sollte solche Investitionen vielleicht nicht als Fundament ansehen und das Geld eher für Bereiche verwenden, die nicht gleich das ganze Haus zum Einsturz bringen, wenn sie wegfallen.

SPOX: Auch die WM 2015 wurde nach Katar vergeben. Finden Sie es gut, solchen Staaten eine Chance zu geben oder gehören solche Turniere in die großen Sport-Nationen?

Christophersen: 2015 geht es ja um eine Weltmeisterschaft. Auch wenn wir in Europa sicherlich am erfolgreichsten sind, können wir die Sportart nicht nur für unseren Kontinent beanspruchen.

SPOX: Da gäbe es aber auch außerhalb von Europa einige Staaten, die mehr Sportkultur vorzuweisen haben als Katar.

Christophersen: Natürlich ist so eine Vergabe auch immer eine Finanzfrage und man muss abschätzen, ob man sich vom Geld locken lassen sollte. Wenn die Infrastruktur vor Ort gut genug ist und sich Katar bei einer fairen Bewertung aller Bewerbungen als bester Kandidat herausgestellt hat, kann man so ein Turnier auch dorthin vergeben. Wir Spieler wünschen uns natürlich vor allem volle Zuschauerränge bei den Spielen. Da bestehen schon Zweifel, ob es die in Katar geben wird.

SPOX: Apropos Ausland. Ihr Vertrag in Berlin läuft noch bis zum Sommer 2015. Bisher haben Sie nur bei deutschen Klubs Handball gespielt. Die Bundesliga gilt zwar als die beste Liga der Welt, würde es Sie dennoch reizen, irgendwann im Ausland zu spielen?

Christophersen: Das ist genau einer der Punkte, warum ich so gerne in Deutschland spiele. Du trittst in jedem Spiel an und kannst verlieren. Es gibt immer wieder Überraschungen. Was ich an einem Engagement im Ausland interessant fände, wäre eine neue Kultur und eine andere Sprache kennen zu lernen. Rein sportlich reizt mich aber nach wie vor die Bundesliga am meisten.

SPOX: In einem Interview haben sie gesagt, sie wären eventuell Sportjournalist geworden, wenn es mit der Karriere als Profisportler nicht geklappt hätte. Sehen Sie sich nach Ihrer aktiven Karriere bei den Medien?

Christophersen: Da befinde ich mich gerade noch in einer Findungsphase und gehe verschiedenste Gedankenmodelle durch. Ich weiß noch nicht genau, wo es hingeht. Ich bin auch froh, dass ich rein vom Alter her noch ein paar Jahre vor mir habe. Vorstellen kann ich mir aber auf jeden Fall, dem Sport, in welcher Funktion auch immer, erhalten zu bleiben.

SPOX: Im Journalismus hätten Sie gegenüber Außenstehenden sicherlich einen Vorteil im Umgang mit den Sportlern, da Sie sich gut in deren Situation hineinversetzen könnten.

Christophersen: Absolut, das macht einen großen Unterschied. Ob es später aber wirklich Journalismus wird, weiß ich noch nicht. Mir ist auch da die Nachhaltigkeit extrem wichtig. Ich will nicht erst vier, fünf Anläufe brauchen, um das zu finden, was mir Spaß macht.

SPOX: Mit 27 müssen Sie sich ja noch nicht festlegen, sondern haben noch eine ganze Weile Bedenkzeit.

Christophersen: Natürlich, aber es ist trotzdem vernünftig, sich jetzt schon seine Gedanken darüber zu machen. Ich war schon immer ein sehr reflektierter Mensch und will das auch bei meiner Zukunftsplanung bleiben.

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