"Der Samstag ist irrelevant"

Sheffield-FC-Präsident Richard Tims bei seinem Besuch vor der Dortmunder Südtribüne
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SPOX: Absolut.

Tims: Und genau dies muss beispielsweise auch im Bewusstsein der Leute in Sheffield verankert werden. Der Samstag ist irrelevant für den Erfolg des Klubs. 80 Prozent unserer über 50.000 Social-Media-Follower kommen gar nicht aus England. Das zeigt, dass sie nicht primär an unseren Ergebnissen interessiert sind, sondern vor allem an der Geschichte unseres Klubs.

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SPOX: Irgendwann muss die Frage kommen: Wie kann man sich überhaupt sicher sein, dass der Sheffield FC der älteste Klub der Welt ist?

Tims: Es gibt zahlreiches Belegmaterial dafür, dass bei uns der allererste Fußballklub gegründet wurde. Wir haben aber den Fußball nicht erfunden. 1857 wurde Fußball in England bereits auf Dörfern und in Universitäten gespielt, auch in China und Italien wurden Bälle gekickt. Was aber unsere Gründungsväter, der Weinhändler William Prest und der Rechtsanwalt Nathaniel Creswick, taten: Sie haben abseits des in sich geschlossenen Universitätsfußballs einen allgemeinen Regelkatalog aufgestellt - einzig und allein mit der Absicht, Fußball zu spielen. Diese Regeln sind noch immer Grundlage unseres heutigen Spiels. Außerdem haben wir vor zwei Jahren einen neuen historischen Schatz entdeckt: das Original-Tagebuch von Nathaniel Creswick, welches wir aktuell noch sichten und studieren.

SPOX: Ist das der Unterschied zwischen den Sheffield-Regeln und denen der Uni Cambridge, die bereits 1848 eingeführt wurden?

Tims: Genau. In Sheffield verbot man beispielsweise das Handspiel, führte Freistöße, Eck- und Kopfbälle ein und befestigte das Tor an festen Stangen. An der Uni Cambridge spielte man dagegen nur unter sich. Das tat man in Sheffield auch, allerdings nur bis 1860. Dann wurde der Hallam FC gegründet - der zweitälteste Verein der Welt - und wir spielten gegen sie. Deshalb ist diese Partie, die jedes Jahr aufs Neue ausgetragen wird, das erste Derby der Welt. 1863 gab es dann schon rund 20 Teams in ganz England, alle rund um Sheffield. Manche davon gibt es heute noch: Notts County, Worksop Town oder Stoke City.

SPOX: Dennoch wurden die Sheffield-Regeln nicht sofort im ganzen Land anerkannt.

Tims: In London gründete man die FA und die spielte nach den Cambridge-Regeln. Sheffield war damals beim ersten Meeting mit vier Vertretern dabei, entschied sich aber, der FA London nicht beizutreten. Als wir 1867 in London unser erstes Spiel außerhalb Sheffields antraten, spielte man aber sowohl nach den Sheffield-Regeln, als auch nach den Cambridge-Regeln.

SPOX: Zurück zur Gegenwart: Wie kam es eigentlich zur Kooperation mit Borussia Dortmund?

Tims: Die beim BVB bekannten Filmemacher Marc Quambusch und Jan-Henrik Gruszecki besuchten uns für eine Dokumentation über die Geschichte des Fußballs. Als sie zurück nach Dortmund flogen, teilten sie dem Verein mit, er müsse doch eine Beziehung zum ältesten Fußballklub der Welt eingehen. Zumal die beiden Städte Sheffield und Dortmund erstaunliche Parallelen aufweisen: Beide haben etwas mehr als 550.000 Einwohner und sind für Bier, Stahl und Fußball bekannt. Die beiden haben sofort verstanden, dass es ohne Sheffield FC vielleicht keinen BVB geben würde. Letztlich haben wir sie vielleicht auch ein wenig dazu inspirieren können, die Gründungsgeschichte ihres eigenen Klubs zu verfilmen. Ein tolles Projekt, zwei gute Typen.

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SPOX: Eine Delegation der Borussia kam dann auf einen Besuch vorbei, als der BVB Ende 2013 in London gegen den FC Arsenal spielte.

Tims: Bereits im Sommer fand ein erstes Treffen in Dortmund statt. Wir haben uns unterhalten und ausgetauscht. Für uns war es dann entscheidend zu erkennen, ob es Gemeinsamkeiten in den Philosophien beider Klubs gibt und ob eine glaubwürdige Basis für kreative Fußballprojekte besteht. Nach einer ersten Kennenlernphase habe ich Sheffield FC und mich dann im Rahmen eines Bundesligaspiels vor der Südtribüne vorstellen dürfen - für unseren Klub eine große Ehre. Im Vorfeld des Derbys gegen Hallam gab es zudem ein Spiel zwischen von Lars Ricken angeführten BVB-Fans und einer Sheffield-Auswahl. Ebenfalls ein großes Fest.

SPOX: Welchen Effekt hatte diese Kooperation?

Tims: Wir konnten Aufmerksamkeit wecken. Nur so geht es. Unser Ziel ist es, dass Fußballfans aus aller Welt unsere noch verborgene Geschichte entdecken - und einmal in ihrem Leben nach Sheffield reisen, ein Spiel von uns sehen, ein Bier mit uns trinken und die Geschichte weitertragen. Wir wissen, dass es nicht ausreicht, den Leuten lediglich zu erklären, warum wir der älteste Fußballverein der Welt sind. Es geht vielmehr um soziale und historische Fußballprojekte, die wir bereits initiiert haben und weiterführen möchten. Aber auch um Fakten, wie dass wir unseren Spielern in 157 Jahren Vereinsgeschichte noch nie ein Gehalt gezahlt haben, damit sie für uns spielen. Wir sprechen die sozialen Aspekte im Fußball an, das Miteinander oder auch den Konflikt zwischen Romantik und Kommerzialisierung. In Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, dass unser Verein und unsere Geschichte Bestand haben und sich der Fußball nicht von seinen Wurzeln entfernt.

SPOX: Zu den Projekten, die bereits laufen, gehört die 2010 gegründete "Sheffield FC Foundation". Was hat es damit auf sich?

Tims: Der gesamte Verein basiert mittlerweile auf unserer eigenen Stiftung. Damit wollen wir den Status des Klubs als gemeinschaftlichen Amateurverein beschützen und bewahren sowie eine Institution abseits des Profifußballs erschaffen, an der sich künftige Pioniere des Amateurfußballs orientieren können. Wir wollen sicherstellen, dass die ursprüngliche, soziale Idee vom Fußball erhalten bleibt: Menschen fit und aktiv zu halten, die in Freund- und Gemeinschaft auf und abseits des Rasens zusammen agieren. Unsere Schlagworte sind Integrität, Respekt, Gemeinschaft.

SPOX: Zudem rief man den "Club of Pioneers" ins Leben, durch den eine Art Stammbaum des Fußballs entstehen soll.

Tims: Richtig. Vertreter unseres Vereins waren in der ganzen Welt unterwegs, um in den einzelnen Ländern die jeweils ältesten Fußballklubs aufzuspüren. Wir wollen die ältesten, noch bestehenden Vereine jedes Landes unter einem Dach vereinen und miteinander vernetzen, um den Pionier-Geist von früher in der Gegenwart weiterzuleben. Auch hier ist eines der Ziele, bekannter zu machen, dass 1857 der Fußball, wie wir ihn heute kennen, auf den Weg gebracht wurde. Die Stiftung organisiert Turniere für Fans und Kinder und engagiert sich in sozialen Projekten - dies soll bei allen im "Club of Pioneers" aufgenommenen Vereinen der Fall sein. Bislang sind unter anderem der FC St. Gallen, FC Genua, Recreativo Huelva und aus Deutschland der FC 1888 Germania Berlin mit dabei.

SPOX: Herr Tims, wo soll der Verein in fünf bis zehn Jahren stehen?

Tims: Sportlich wollen wir wenn möglich jedes Spiel gewinnen - aber nur im Einklang mit unserer Geschichte. Wir wollen uns immer treu bleiben. Unsere große Vision jedoch ist es, das erste Spielfeld des Sheffield FC und seiner Gründerväter zurück zu erobern: das Feld von Olive Grove. Wir wollen in den nächsten Monaten und Jahren unser Netzwerk dazu nutzen, um unter anderem über Crowd-Funding Geld zu sammeln und gemeinsam mit unseren Freunden in Sheffield das echte "Home of Football" aufzubauen - eine Heimat und Pilgerstätte für alle Profis, Amateure und Fans. Das könnte eines Tages vielleicht so etwas wie das historische und zugleich moderne Mekka des Fußballs sein.

Seite 1: Tims über seinen Werdegang, ein Treffen mit Laporta und Ziele des Klubs

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