Erinnerungen an Prag

Von Für SPOX.com bei der EM: Stefan Rommel
deutschland-portugal-jubel-600_514x297

Ascona - Es war noch keine Sekunde gespielt im Basler Jöggeli, da grinste Michael Ballack schon schelmisch.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der Kapitän stand kurz vor dem Anpfiff auf dem Platz und raunte seinen Nebenleuten Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger noch eben ein "Habt Spaß!" zu.

Spaß haben? In einem EM-Viertelfinale? Gegen Portugal? Ein verwegener Plan von Ballack.

Ebenso wie der von Joachim Löw, der sich, in seiner Bewegungsfreiheit und seinem Einfluss auf das Team von der UEFA eingeschränkt, hinter einer dicken Plexiglasscheibe im VIP-Bereich des St.-Jakob-Parks wiederfand.

Befreit aufgespielt

Aber offenbar gefiel sich die deutsche Mannschaft gegen Portugal in ihrer Außenseiterrolle. So sehr, dass sich Löw zu einem riskanten Manöver hinreißen ließ und sein festgezurrtes 4-4-2-System in ein variableres 4-2-3-1 wandelte.

Die Stimmung im Jöggeli, wie der Basler sein Stadion im Stadtteil St. Jakob liebevoll nennt, war beseelt von einer ungekannten Freiheit, die die Fesseln des bis dato schwerfällig wirkenden deutschen Spiels auf leichte Art und Weise sprengte.

"Die Mannschaft hat schon gegen Österreich hervorragend reagiert, obwohl der Druck immens war. Heute hat man gesehen, was in der Mannschaft steckt, wenn sie befreit aufspielt", erkannte Ballack den reizvollen Vorzug der Underdog-Rolle.

Einmal Orientierung verloren

Gegen die sichtlich verblüfften Portugiesen bestimmte die deutsche Mannschaft die ersten 30 Minuten, die Tore von Bastian Schweinsteiger (22.) und Miroslav Klose (26.) waren die zwangsläufige Folge einer hoch konzentrierten Leistung.

Erst danach erwachte der Gegner aus seiner Schockstarre, die deutsche Mannschaft verlor etwas den Faden - und einmal völlig die Orientierung. In der 40. Minute erlebte das deutsche Spiel einen einzigen, dafür aber sehr bösen Rückfall.

Zuerst vertändelte Ballack den Ball am gegnerischen Strafraum, dann verpasste Hitzlsperger das taktische Foul, Podolskis Unachtsamkeit riss ein Loch im Mittelfeld. Simao stieß hinein und bediente Cristiano Ronaldo, der davon profitierte, dass Per Mertesacker falsch zum Ball stand. Ronaldos abgewehrten Schuss verwandelte Nuno Gomes dann im zweiten Versuch.

"Deutschland einfach besser"

Ballack, der Lächler, machte das 3:1 (62.), von diesem Rückschlag erholte sich der Favorit bis zur Schlussphase nicht mehr. Helder Postigas Tor kam viel zu spät (87.) "Ich bin natürlich enttäuscht und frustriert. Ich habe versagt und nicht das gehalten, was ich dem Verband versprochen habe: das Halbfinale!", sagte Luiz Felipe Scolari, der zum letzten Mal für Portugal auf der Bank saß.

Aber auch der künftige Chelsea-Coach musste zugeben: "Deutschland war in den entscheidenden Szenen einfach die bessere Mannschaft."

Erinnerungen an Prag

Deutschland nutzte die Melancholie im portugiesischen Spiel eiskalt aus. Zuletzt trat die Mannschaft in der EM-Qualifikation in Prag gegen Tschechien so dominant und zielgerichtet auf. Das war im März 2007. Das bis dato beste Spiel der Ära Löw.

"Der Glaube ist alles. Sonst ist so etwas nicht möglich. Die Mannschaft hat heute an sich geglaubt und viel Mut gezeigt", lobte Philipp Lahm seine Kollegen und sich.

Und Schweinsteiger jubelte: "Wir haben die beste Mannschaft aus dem Turnier gekegelt. Heute haben wir mit den deutschen Tugenden und mit Herz gespielt."

Eine große Spaßgesellschaft

Die letzte wirklich brenzlige Situation ereignete sich auf der Tribüne, wo Conny Lehmann einen leichten Schwächeanfall hatte. Vor lauter Aufregung vermutlich. Die schnell herbei geeilten DFB-Ärzte aber hatten die Situation schnell im Griff.

So durfte dann auch die 35-Jährige mit ihrem Mann und den anderen Spielern feiern. Völlig losgelöst, im Stile von Tennisspielern, die nach einem gewonnenen Turnier einfach mal in die Zuschauerränge klettern und sich bei ihren Liebsten bedanken.

Schweini rückte seiner Freundin auf die Pelle, Poldi legte einen Mini-Strip hin wie einst Fabio Cannavaro und warf seine Hose ins Publikum.

Offenbar fand EM-Maskottchen Flix das so witzig, dass er den Münchener verspottete. Anders ist Podolskis Reaktion nicht zu deuten: Erst rempelte er den Guten an, dann rang er ihn wie ein Catcher zu Boden.

Die deutsche Mannschaft war eine einzige große Spaßgesellschaft. Eine, die jetzt auch ganz nach oben will. "Jetzt wollen wir mehr", sagte der für 90 Minuten beförderte Co-Trainer Hansi Flick. Auch er hatte ein dickes Grinsen auf den Lippen.

So diskutierten die mySPOX-User nach dem Spielende

Artikel und Videos zum Thema