Die deutsche Sturmkrise

Von Für SPOX.com in Ascona: Stefan Rommel
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© Getty

Ascona - Es gab eine Zeit im Leben von Mario Gomez, da beschenkte er alles und jeden um sich herum. 

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Den VfB Stuttgart vor einem Jahr mit dem Deutschen Meistertitel und der Verlängerung seines Vertrags bis ins Jahr 2012.

Der Heimatgemeinde seiner Großeltern Don Jose und Dona Torcuata inmitten der spanischen Sierra Nevada, dem verschlafenen 300-Seelen-Örtchen Albunan, schenkte er eine Straße, die zufälligerweise auch noch seinen Namen trägt.

Deutschland schenkte er eine neue Sturmhoffnung, vielleicht die größte seit Rudi Völler, weil so komplett, so wuchtig, so lernbereit und selbst in jungen Jahren schon so eiskalt vor dem Tor.

Auszeichnung und Last zugleich

Dass er sich selbst nach einer erneut fulminanten Saison in Bundesliga und Champions League mit jeder Menge Post europäischer Top-Klubs beschenkte, gehört zum Geschäft. Es ist Auszeichnung und Last zugleich. Aber das erfährt Gomez erst jetzt.

Mario Gomez' Weg zeigte bisher nur steil nach oben, anders kann man das nicht sagen. Bei seinem ersten großen Turnier galt es, die nächste Stufe zu zünden. Tore erzielen, auffallen, interessant machen vor den Augen der Welt.

Heraus kamen bisher ein vergeblich gegrätschter Versuch gegen Polen und eine Kerze, zwei Meter vor dem gegnerischen Tor der Österreicher abgefeuert - und natürlich nicht erfolgreich.

Erste echte Krise

Gomez nimmt sich die erste Krise seiner noch jungen Laufbahn. Und er nimmt sie sich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. "Der Mario hat im Moment nicht die Form, die wir von ihm kennen", sagte Joachim Löw.

Er gilt als großer Fan des Stuttgarters, aber auch dem Bundestrainer gehen die Argumente bald aus. "Er kann sein Können momentan nicht so umsetzen, wie wir es von ihm gewohnt sind."

Natürlich wird jetzt ständig darüber spekuliert, ob Gomez bei dem ganzen Hickhack um seine Person überhaupt bei der Sache sein kann. Gomez ist 22 Jahre alt, da hantiert man für gewöhnlich nicht mit Summen, die sich bei etwa 30 Millionen einpendeln.

"Ich habe mit ihm gesprochen und er hat mir versichert, dass ihn die ganzen Spekulationen um ihn nicht beeinflussen in seiner Leistung", sagt zwar Löw. Ob er das aber auch wirklich so meint?

Nicht angekommen bei der EM

Nicht erst nach seiner verpassten Großchance, einer "tausendprozentigen", wie Teamkollege Torsten Frings lakonisch und mathematisch nicht ganz korrekt feststellte, ist jedem klar, dass Gomez geistig nicht angekommen ist bei dieser EM. Wenigstens im Nachsetzen hätte er den Ball versenken müssen. Ein Gomez im Topform und frei von Ballast hätte Ball und Gegenspieler Garics über die Linie gewuchtet. Aber Gomez reagierte noch nicht einmal.

Nach seiner Erlösung durch Co-Trainer Hansi Flick nach 60 Minuten verbarg er sein Gesicht unter einem Aufwärmpulli, so wie es Tennisprofis immer machen bei den Seitenwechseln. Gomez ist zu clever, um nicht selbst zu wissen, dass er eine große und vielleicht auch seine letzte Chance verwirkt hat, bei dieser EM von Beginn an zu glänzen.

Störfeuer von außen

Aber ist es auch seine Schuld? "Bevor ein junger, hochbegabter Spieler zu einem großen Klub ins Ausland wechselt, ist es doch klar, dass sich der FC Bayern mit diesem Thema beschäftigt", sagte Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge der "Bild".

Es war der bisher letzte Angriff von außerhalb. Und auch wenn Rummenigge nur seinen Job macht und für seinen Verein das Beste rausholen will, treibt er doch die Spirale weiter voran, in die Gomez in der Zwischenzeit geraten ist.

Während es um die übrigen 22 Spieler im Kader relativ ruhig ist, erscheinen fast täglich neue Meldungen um Gomez und seine möglichen zukünftigen Arbeitgeber. Sein Berater Uli Ferber hat den Ernst der Lage mittlerweile erkannt und lässt sich zu keinen weiteren Kommentaren hinreißen. Nur: Dafür ist es viel zu spät.

Keine Harmonie mit Klose

Als großer Hoffnungsträger und mit einer Torquote von 0,875 Treffern pro Spiel ging Gomez in das Turnier, nach drei Partien droht ihm nun im großen Kampf gegen Portugal die Bank (Do., 20.30 Uhr im SPOX-Ticker).

Die Gomez-Krise ist auch die Krise des deutschen Angriffs. Miroslav Klose ist zwar wieder in jener Rolle aktiv, die er auch beim FC Bayern bekleidete: Als generöser Vorbereiter, aber vor dem Tor viel zu devot und in der derzeitigen Verfassung kein Torjäger im eigentlichen Wortsinne.

Das Zusammenspiel mit Gomez ist zu eintönig, immer wieder stoßen beide vertikal nach vorne, gekreuzt haben sie bisher kaum, sich vielmehr durch ihre unangepassten Laufwege selbst der Räume beraubt.

Podolski lobt sich selbst weg

Kevin Kuranyi schaffte es bisher trotz eines Null-Tore-Klose und eines Null-Tore-Gomez zu einem läppischen Zehn-Minuten-Kuranyi, mehr nicht. Offenbar sieht ihn Löw nicht als ernsthafte Alternative für die Startelf.

Oliver Neuville gereicht zu wertvollen Jokereinsätzen, 90 Minuten auf europäischem Topniveau sind für den 35-Jährigen aber mindestens 60 Minuten zu viel. Und da sich Lukas Podolski durch seine wunderbaren Auftritte im Mittelfeld fürs Erste quasi selbst von seinem angestammten Arbeitsplatz wegkomplimentiert hat, bleibt wenig Auswahl.

Durchhalteparolen von Löw

Also doch wieder Gomez gegen die Portugiesen? "Wir haben weiter Vertrauen zu ihm und glauben an ihn", sagt Löw. "Wir werden auf ihn bauen und auch im Laufe des Turniers noch von seiner Qualität profitieren." Klingt versöhnlich, aber ähnlich hat Löw auch schon über Bastian Schweinsteiger gesprochen - und ihn dann auf die Bank gesetzt.

Der Umworbene, Niedergeschlagene, Ernüchterte selbst wollte sich nicht zu seiner derzeitigen Form und Situation äußern. "Versteht mich doch bitte", sagte Gomez kurz den wartenden Journalisten nach dem 1:0 gegen Österreich.

Er hat die Zeichen der Zeit erkannt. Aber womöglich ist es jetzt zu spät.

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