Florenz mal anders

Von Für SPOX vor Ort: Stefan Rommel
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© Getty

Basel - Das Inferno brach über Köbi Kuhn schon bei der Pressekonferenz kurz nach dem Spiel herein.

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Unzählige lästige Nachfragen musste sich der Schweizer Nationaltrainer nach dem 0:4 gegen Deutschland gefallen lassen. Aggressive Fragesteller forderten Erklärungen für ein Spiel, wie es die Schweiz schon seit langem nicht mehr erlebt hat.

Alle Daten und Fakten zum Spiel.

Noch schlimmer dürfte für Kuhn aber der darauf folgende Morgen geworden sein. Die Gazetten überschlugen sich förmlich mit Horroszenarien im Hinblick auf die bald beginnende EM. "Wirr, konfus, chancenlos - die Blamage", schrieb der "Blick" und fragte: "Und Ihr wollt Europameister werden?"

Die Schweiz hat jetzt plötzlich ihr ganz persönliches Florenz. Ein Spiel wie ein Schlag ins Gesicht. Deutschland kennt das vom 1:4 in Italien im März 2006 nur zu gut.

Keine Experimente mehr

Was ein Glück für Joachim Löw, dass er nicht Köbi Kuhn heißt. Ähnliches hätte dem Bundestrainer in Deutschland nach einer verpatzten Generalprobe vor der Kader-Nominierung Mitte Mai wohl auch geblüht. Seine Jungs aber ersparten ihm einige ungemütliche Tage und Wochen.

Löw hat den Ernst der Lage erkannt und auf große Experimente, was Spielsystem und Taktik betrifft, verzichtet. Ganz im Gegensatz zu Kuhn, der zum erstenmal überhaupt mit einem 4-3-1-2 spielen ließ und seine wichtigste Figur, Tranquillo Barnetta, in die Zentrale hinter die Spitzen beorderte. Ein Fehler.

Der Leverkusener suchte fast die gesamte Dauer über seinen Platz, "seine" linke Seite wurde von Gelson Fernandez sträflich vernachlässigt. Im Zentrum bekam Barnetta gegen den starken Thomas Hitzlsperger oder zeitweise Michael Ballack keine Schnitte.

Die zwei Überraschungen

Das 4-4-2 der DFB-Elf sitzt, die Raute im Mittelfeld bei Ballbesitz bzw. die flache Vier bei Angriff des Gegners funktioniert. Das Konzept: Ballack oder Hitzlsperger sind die erste Anspielstation, die den Ball dann fast immer nach außen verteilen. Durch die Mitte ging erneut wenig.

Zwei Überraschungen hatte Löw dann doch parat. Heiko Westermann und Clemens Fritz. Westermann machte als Innenverteidiger einen guten Job, gab zeitweise sogar den letzten Mann und damit die Kommandos, wann und wie rausgerückt wird.

Fritz erhielt den Vorzug vor dem formschwachen Bernd Schneider, konnte seine Chance auf der rechten Mittelfeldseite aber nur bedingt nutzen, wählte bisweilen recht eigentümliche Laufwege. Vor allem aber die Abstimmung in der Rückwärtsbewegung mit Philipp Lahm passte einige Male nicht. Immer noch ein Grundübel.

Abstimmungsprobleme auf Außen

Noch auffälliger auf der linken Seite. Schweinsteiger und Jansen bekamen die komplette erste Halbzeit keinen Konsens hin. Drei-, viermal nutzten die Schweizer die Unachtsamkeiten in der Übergabe der Gegenspieler zum Pass in die Gasse.

Schweinsteiger ließ Jansen zudem auch ein paar Mal alleine gegen zwei Gegner, weil er zu weit in der Mitte rumturnte. Gegen eine Mannschaft wie die Schweiz mit dem zwar schnellen, aber überschaubar gefährlichen Stephan Lichtsteiner auf der rechten Abwehrseite geht das gut - gegen einen ordentlich marschierenden Verteidiger gibt's aber mächtig Probleme.

Nicht vergessen darf man auch, dass die deutsche Elf bei ausgeglichenem Spielstand einige Mühe hatte, Chancen herauszuspielen. Kaum ein Diagonalpass wurde versucht, um die Deckung der Gastgeber aufzureißen. Die letzten drei Treffer fielen nach Kontern - was wiederum ein großes Plus war.

Wie die jungen Fohlen

Bei Ballgewinn an der Mittellinie flutschte die Mannschaft quasi nur so durch die Schweizer Abwehr. Ein Spielmittel, das die Mannschaft unter Jürgen Klinsmann erlernt und jetzt offenbar perfektioniert hat.

Noch vor der WM merkte Chef-Scout Urs Siegenthaler in einem Interview an: "Im Konterspiel gibt es noch erheblichen Nachholbedarf. Wenn ein Steven Gerrard in der Vorwärtsbewegung des Gegners den Ball abfängt, dann rauscht der mit 800 km/h in den gegnerischen Strafraum."

Mario Gomez, Lukas Podolski und Kevin Kuranyi haben offenbar gut zugehört und die Angriffe beinahe gladbachesk ausgespielt.

So wurde der Abend nicht nur für Löw, sondern auch für Jens Lehmann zu einer runden Sache. Lehmann stand unter Druck und es ist den Schweizern hoch anzurechnen, dass sie auf die schwierige Situation Rücksicht nahmen und den 38-Jährigen kaum prüften.

Wieso der sich aber strikt verweigerte, das Spiel beim Abwurf schnell zu machen und dadurch die geforderten Konter einzuleiten, bleibt sein Geheimnis. Dieser kleine Makel blieb aber eine Marginalie an einem insgesamt überzeugenden Abend in Basel.

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