Der Weltersatztorhüter: Wie der FC Bayern München von Sven Ulreich profitiert

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Trotz starken Leistungen muss Sven Ulreich vermutlich schon am Samstag im Tor des FC Bayern München dem wiedergenesenen Stammkeeper Manuel Neuer weichen. Klagen gibt es vom 35-Jährigen darüber keine, was ihn gepaart mit seinen sportlichen Qualitäten zum inoffiziellen Weltersatztorhüter macht.

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"Natürlich" ist ein Wort, das Sven Ulreich ziemlich gerne sagt. "Natürlich" freue er sich über jeden Einsatz, betonte er nach dem 3:1-Sieg des FC Bayern München gegen Galatasaray am Dienstag. "Natürlich" setze er sich aber auch wieder auf die Bank, sobald Stammkeeper Manuel Neuer einsatzbereit ist. Das wird vermutlich beim nächsten Spiel am Samstag gegen den SV Darmstadt 98 soweit sein.

Nach fast einem Jahr Pause soll der 37-Jährige dann sein lang ersehntes Comeback geben und den zwei Jahre jüngeren Ulreich auf dessen angestammten Bankplatz verdrängen. Trotz zuletzt starken Leistungen nimmt er das klaglos hin. "Ich kenne meine Rolle beim FC Bayern", sagt Ulreich. Über diese Kenntnis verfügt wohl so ziemlich jeder Ersatzkeeper der Welt. Anders als die meisten seiner Artgenossen kennt Ulreich diese Rolle aber nicht nur, er lebt sie auch, laut Trainer Thomas Tuchel "identifiziert" er sich sogar mit ihr.

Ulreich ist sozusagen der inoffizielle Weltersatztorhüter. Er ist ein wahres Geschenk für den FC Bayern und den ganz offiziell mehrmaligen Welttorhüter Neuer gleichermaßen. Rivalen sind die beiden nur formell, Freunde beschreibt ihren Beziehungsstatus besser. "Ich freue mich für ihn", betont Ulreich, angesprochen auf Neuers bevorstehendes Comeback. Man glaubt es ihm.

FC Bayern München, Galatasaray Istanbul, Champions League, Noten, Einzelkritik
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Wie Ulreich die Bayern-Bosse eines Besseren belehrte

Dabei könnte Ulreich aktuell durchaus Ansprüche stellen, seinen Posten im Tor zu behalten. Während Neuers Abwesenheit präsentierte er sich, abgesehen von einem Patzer gegen RB Leipzig, konstant stabil mit Ausreißern nach oben. Vor allem drei Paraden blieben in Erinnerung: In Kopenhagen gegen den Schweden Jordan Larsson, in Mainz gegen den Südkoreaner Jae-Sung Lee, in Istanbul gegen den Türken Kerem Aktürkoglu. Ulreich sicherte seiner Mannschaft damit wichtige Punkte, die schrillen Adjektive prasselten daraufhin nur so auf ihn ein. Joshua Kimmich fand es "gigantisch", Tuchel "sensationell".

Gewissermaßen belehrte Ulreich die Führungsriege des FC Bayern eines Besseren. Die hatte ihm diese Leistungen nämlich offenbar nicht so richtig zugetraut. Als sich Neuer im vergangenen Winter das Bein brach, war Ulreich nicht die erste zweite Wahl. Für neun Millionen Euro holte der FC Bayern lieber Yann Sommer von Borussia Mönchengladbach. Ulreich akzeptierte es, klagte nie. Nach einer durchwachsenen Rückrunde verabschiedete sich Sommer zu Inter Mailand.

Obwohl Neuers Comeback zu diesem Zeitpunkt schon absehbar war, suchte der FC Bayern wieder fieberhaft nach einem neuen Interims-Stammkeeper. Ulreich akzeptierte es, klagte nie. An einer Verpflichtung von Kepa Arrizabalaga seien die Münchner laut des Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen "dicht dran" gewesen, letztlich wechselte der Spanier aber doch vom FC Chelsea zu Real Madrid.

Erst als sich alle hochkarätigen Optionen zerschlagen hatten, setzten die Münchner auf Ulreich und holten mit Daniel Peretz einen talentierten Ersatzmann für den Ersatzmann. Ulreich stellte sich ins Tor und lieferte aus dem Stand ab.

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Uli Hoeneß kürte Sven Ulreich 2018 zum "Mann des Jahres"

Genau wie übrigens in der Saison 2017/18, als Neuer wegen eines Mittelfußbruches monatelang fehlte. Ulreichs konstant gute Leistungen wurden damals lediglich von einem schlimmen Fehler im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid überschattet. Klub-Patron Uli Hoeneß kürte ihn dennoch zu seinem "Mann des Jahres". Weil Neuer auch mal unter obskuren Dingen wie Schultereckgelenksprellungen litt, absolvierte Ulreich während seiner über sieben Jahre im Klub bereits beachtliche 98 Pflichtspieleinsätze.

Nach dem Triple-Gewinn 2020 verabschiedete er sich kurzzeitig zum Hamburger SV in die 2. Bundesliga. Eigentlich sollte Alexander Nübel zum Neuer-Nachfolger aufgebaut werden, doch der Plan scheiterte. Nübel wechselte im darauffolgenden Sommer per Leihe zur AS Monaco und zog mittlerweile zum VfB Stuttgart weiter, Ulreich kehrte bereits 2021 nach München zurück.

Übrigens auch auf Betreiben des damaligen Torwarttrainers und Neuer-Vertrauten Toni Tapalovic. Die Zuneigung war ganz beiderseits: Nachdem ihn Julian Nagelsmann Anfang des Jahres freistellen ließ, solidarisierte sich Ulreich genau wie Neuer mit Tapalovic. "Schade und nicht nachvollziehbar" nannte er die Entscheidung in einer für ihn ungewöhnlichen Deutlichkeit.

Zumeist gibt sich Ulreich nämlich betont diplomatisch. Auch wegen dieser Fähigkeit ist er ähnlich wie der stets gutgelaunte Ersatzstürmer Eric Maxim Choupo-Moting ganz unabhängig von seinen Einsatzzeiten ein entscheidendes Element des Münchner Mannschaftsgefüges. "Sehr, sehr wichtig" sei Ulreich laut Kimmich, "nicht nur wegen seines Könnens."

Der FC Bayern dürfte gut beraten sein, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag zu verlängern. Zumindest so lange Neuer Stammkeeper ist, ist Ulreich der perfekte Ersatz. Ach, sagte er in Istanbul: "Es ist noch lange Zeit, da fließt noch viel Wasser die Isar runter." In den "nächsten Wochen oder Monaten" sollen Gespräche geführt werden: "Wir werden uns bestimmt mal zusammensetzen." Bis dahin wird er viel auf der Bank sitzen. Natürlich.

FC Bayern München: Die nächsten fünf Pflichtspiele

DatumWettbewerbGegner
28. Oktober, 15.30 UhrBundesligaDarmstadt 98 (H)
1. November, 20.45 UhrDFB-Pokal1. FC Saarbrücken (A)
4. November, 18.30 UhrBundesligaBorussia Dortmund (A)
8. November, 21 UhrChampions LeagueGalatasaray (H)
11. November, 15.30 UhrBundesliga1. FC Heidenheim (H)