Juventus: Die Suche nach der Kontinuität

Von Christian Bernhard
Diego und Urgestein Alessandro Del Piero: Juves neue und alteingesessene Kreativität
© Getty

Alles ist bereit für den Showdown zwischen Juventus Turin und dem FC Bayern. Die Bianconeri haben mit dem Sieg gegen Meister Inter viel Selbstvertrauen getankt und so scheinbar die Krise der vergangenen Wochen hinter sich gelassen. Auch die Statistik spricht klar für die Italiener. Trotzdem ist in Turin nicht alles eitel Sonnenschein, denn es fehlt an Kontinuität.

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Man muss sehr lange in den Geschichtsbüchern stöbern, bis man auf eine entscheidende Heimniederlage von Juventus Turin im Europokal trifft.

In der Saison 1998/1999 lagen die Bianconeri im Halbfinal-Rückspiel gegen Manchester United durch einen Doppelpack von Pippo Inzaghi bereits nach elf Minuten mit 2:0 in Führung.

Die Red Devils schlugen aber eiskalt zurück, Andy Cole markierte sieben Minuten vor Spielende den 3:2-Siegtreffer und sorgte so für eisiges Schweigen im Stadio delle Alpi. Das Ende der Geschichte ist bekannt, besonders bei den Bayern-Fans.

Nur fünf Niederlagen in 57 CL-Heimspielen

Jetzt steht der FCB selbst vor der Auswärtshürde Turin - und die Statistiken machen nicht wirklich Mut: In der Champions League hat Juve in 57 Heimspielen nur fünf Niederlagen kassiert, von den insgesamt 186 Europapokalspielen vor heimischem Publikum gingen sogar nur 13 verloren.

Oder um es mit den Worten von Gianluigi Buffon nach dem Sieg gegen Inter zu sagen: "In den entscheidenden Spielen sind wir immer da."

Der Sieg gegen den Meister und großen Rivalen aus Mailand hat viel Enthusiasmus und Überzeugung in die eigenen Mittel zurückgebracht. Trainer Ciro Ferrara sagte direkt nach dem Schlusspfiff: "Ein Unentschieden gegen Bayern interessiert uns nicht. Wir wollen gewinnen."

Im Hause Juve scheint wieder die Sonne - vor wenigen Tagen sah das allerdings noch ganz anders aus.

Für Ferrara wurde es bereits eng

Vor dem Super-Duell gegen Inter hatte es in Bordeaux und Cagliari zwei Pleiten in Serie gegeben, Ferrara stand bereits unter Druck. Bei einer Pleite gegen Inter hätten die Scudetto-Pläne bereits zu den Akten gelegt werden können - und dem Trainer wäre noch ein heftigerer Gegenwind ins Gesicht geweht.

Del Piero, Buffon, Chiellini und Co. ließen ihren Coach aber nicht im Stich und überzeugten vor allem kämpferisch. Juve bot dem großen Rivalen aus Mailand in jeder Hinsicht die Stirn - ein klares Signal, auch für die Bayern.

"Der Sieg ist auch ein Verdienst von Ferrara, der uns die nötige Gelassenheit und Überzeugung in unsere Mittel zurückgegeben hat", stellte sich Buffon demonstrativ vor Ferrara.

Neuer Trainer, neue Führung, neues Spielsystem

Jener Ferrara, der zwei Spieltage vor Ende der vergangenen Saison das Kommando bei den Bianconeri übernommen hatte.

Das Juve-Urgestein, dass zusammen mit den Vereinsoberen Jean-Claude Blanc, Giovanni Cobolli-Gigli und Alessio Secco die Turiner in eine helle Zukunft führen sollte - weg von den Skandalen um Luciano Moggi und Co., die 2006 zum Zwangsabstieg geführt hatten.

Und der eine neue Spielweise mitbrachte: Nicht mehr das klassische 4-4-2 mit Hauptaugenmerk auf das Verhindern von Toren.

Nein, fußballerische Kreativität hieß das neue schwarz-weiße Zauberwort. Ein 4-3-1-2 sollte die Turiner auf ein neues spielerisches Niveau hieven, Dreh- und Angelpunkt sollte Diego werden.

Der Ex-Bremer schlug zu Beginn auch wie eine Bombe ein und verzauberte in den ersten drei Spieltagen ganz Italien.

Viele Verletzungen erschweren Ferraras Weg

Doch das Hoch des Brasilianers war schnell vorbei, genau wie das von Juve. Schon bald stotterte der Angriffsmotor: Das neue Spielsystem war eben noch nicht so richtig in den Köpfen und Beinen der Spieler angekommen und die vielen Verletzten machten die Anpassung auch nicht leichter.

Außer Mauro Camoranesi, Amauri, Buffon (spielt allerdings bereits seit Monaten mit einem kaputten Meniskus und droht gegen den FCB auszufallen) und Giorgio Chiellini, der ausgerechnet für das Spiel gegen die Bayern wegen einer Wadenverletzung ausfällt, waren alle Stammspieler mehr oder weniger lang verletzt.

Vor allem die Offensive traf es richtig hart. Deshalb musste Ferrara bald umstellen und seine Elf im 4-2-3-1-System auflaufen lassen.

Obwohl dort mit Diego, Camoranesi und zuletzt Alessandro Del Piero die drei technisch stärksten Juve-Spieler hinter der Spitze agierten, hakte es im Spiel nach vorne - auch weil Diego sich zu oft nach hinten fallen ließ, um sich die Bälle früh zu holen.

Dafür gab es auch einen Rüffel von Ferrara. Außerdem ist Del Piero links hinter der Spitze nicht in seinem Element, er fühlt sich als Stürmer.

Abwehr ist anfällig

Ein weiteres (untypisches) Problem: die Verteidigung. In der letzten Saison unter Trainer Claudio Ranieri spielte die Abwehrreihe sehr hoch, teilweise auf Höhe der Mittellinie, und war das Prunkstück des Teams - auch ohne die großen Namen Cannavaro und Grosso, die im Sommer zur Mannschaft stießen.

Seit Ferrara auf der Bank sitzt, spielt das Team offensiver - die Abwehr ist aber weiter nach hinten gerückt und lies über die gesamte bisherige Saison zu viele Chancen zu. Oft schon rettete Buffon, nachdem seine Vorderleute gepennt hatten.

Nach den zwei Niederlagen in Bordeaux und Cagliari wurde das 4-2-3-1 fallengelassen, es ging zurück zum ursprünglichen 4-3-1-2.

Mit Erfolg, wie der Sieg gegen Inter bewiesen hat. Mit der Rückkehr von David Trezeguet hat Ferrara jetzt noch eine zusätzliche Variante im Angriff.

"Wir haben eine neue Mentalität und viel verändert"

"Seit ich bei Juve bin (Sommer 2002, Anm. d. Red.), ist das die Mannschaft, die den besten Fußball spielt. Wir haben eine neue Mentalität und viel verändert, deshalb brauchen wir Zeit", sagt Camoranesi.

Und Kontinuität. In fast jedem Interview mit Juve-Spielern oder Verantwortlichen taucht dieses Wort auf. "Wir müssen konstant so spielen, wie in den ersten Spielen der Saison", fordert Cannavaro.

"Wir müssen jetzt so weitermachen, denn in den letzten zwei Jahren hat uns die Kontinuität gefehlt", legt Claudio Marchisio nach. Alle Beteiligten lechzen nach den alten Erfolgen. "Das Gefühl, etwas zu gewinnen, fehlt mir sehr", gibt Buffon unumwunden zu.

Inter-Sieg Beginn einer Serie?

Geht es nach den Juve-Spielern, war der Sieg über Inter der Anfang. Nicht mehr.

"Erst in ein oder zwei Wochen können wir sagen, ob der Erfolg gegen Inter einen Sinn hatte", sagt Del Piero.

"Eine Sache haben wir aber mit Sicherheit gelernt: Wenn wir uns aufreiben, aggressiv agieren und konzentriert sind, tun wir uns um einiges leichter. Jetzt wollen wir uns nicht mehr stoppen lassen." Auch, oder erst recht nicht von den Bayern.

Juventus Turin im Steckbrief