Ein Rivale zum Vorbild?

Der SV Werder Bremen steckt bis zum Hals im Abstiegskampf
© getty

Der SV Werder Bremen verliert auch gegen den Hamburger SV und muss sich immer intensiver mit dem Thema 2. Liga beschäftigen. Muss ausgerechnet der HSV nun als Vorbild herhalten?

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"Man hat gesehen, was wir leisten können", sagte Felix Wiedwald wenige Minuten nach Abpfiff des Nordderbys in eines der vielen Sky-Mikrofone. Gelogen hat der Torhüter der Werderaner sicher nicht, jeder der mitgereisten Zuschauer hat gesehen, was seine Mannschaft zu leisten im Stande ist. Positiv wie negativ.

Die erste Halbzeit dürfte mit zu den schlechteren gehören, die der SVW in dieser Saison gespielt hat. Das will etwas heißen, steht die Elf von Viktor Skripnik doch nunmehr auf dem Relegationsplatz und damit kurz vor dem Absturz in die zweite Liga. Bremen fand schlicht seine Balance nicht, bekam keinen Zugriff auf die Angriffe der Gastgeber und musste zusehen, wie Flanke um Flanke im eigenen Strafraum zum Sinkflug ansetzte.

Was Wiedwald aber eigentlich meinte, war die zweite Hälfte seines Teams. Diese war bei weitem nicht so schlecht, wie das Ergebnis vermuten lässt. Bremen war gut. Nicht sehr gut, nicht drückend überlegen, aber sicher gut. Die Chancen waren da, nicht nur vom Torschützen Anthony Ujah.

Pizarro und die schwere Last

Eine der größten Chancen, wahrscheinlich die größte der Partie, hatte ausgerechnet Claudio Pizarro auf dem Fuß. Es hätte der Knackpunkt an diesem Freitagabend werden können. Der Anschlusstreffer. Gerade in eine Phase hinein, in der Werder Liter für Liter Oberwasser bekam und sich anschickte, dem HSV richtig ungemütliche 35 Minuten zu verschaffen.

Es trat also ausgerechnet Pizarro zum Elfmeter an. Selbst herausgeholt, selbst verschossen. Sein Versuch war nicht mehr als eine Rückgabe, Drobny hielt sie fest. Warum? Weil Pizza plötzlich die ganze Last spürte. Die Last, die auf den Schultern von Thomas Eichin liegt, die Last, die auf den Schultern von Viktor Skripnik liegt. Er trug Kilo um Kilo mit an den Punkt und war am Ende so schwach, dass der Ball nur auf das Tor zurollte.

Ihm könnte all das egal sein. Pizarro geht bald in Rente, seine Karriere wird nicht an einem Abstieg gemessen werden. Doch sein Herz schlägt grün-weiß. Er leidet mit, er macht sich Gedanken, die andere nicht mal beginnen zu denken. Drei Spiele stehen noch an und man kann sich gewiss sein, dass der 37-Jährige alles aus sich herausholen wird.

"So ist Fußball"

Typen wie ihn wird es brauchen, um dem Strudel der 2. Liga noch zu entgehen. Immer stärker hat dieser Werder Bremen im Griff. Drei Spiele noch, um sich irgendwie loszureißen. Womit Wiedwald und der Satz "Man hat gesehen, was wir leisten können", wieder eine Rolle spielen.

Denn, wie Skripnik feststellte, die zweite Hälfte war durchaus einer Bundesliga-Mannschaft würdig: "In der zweiten Halbzeit habe ich nur eine grün-weiße Mannschaft gesehen. Was genau in der ersten Halbzeit war, weiß ich auch nicht. So ist Fußball. Wir hatten Chancen für zwei, drei Spiele, machten aber die Tore nicht."

Das große Problem von Werder bleibt allerdings das seit Jahren gleiche. Wer regelmäßig zwei Gegentore hinnehmen muss, wird immer Schwierigkeiten beim Punktesammeln haben. Nach fünf Minuten traf Lasogga, von da an wurde Bremen schon mehr oder weniger gezwungen, offensiver zu agieren.

(K)eine Frage des Trainers

Dass der Mannschaft dann an vielen Stellen die Qualität abgeht, ist kein Geheimnis. Das Geld sitzt nicht locker, manche Investition ging schlicht daneben. Bremen hat eine ordentliche Truppe zusammen, darf sich allerdings auch nicht über individuelle Aussetzer in der Defensive beschweren und ebenso wenig große Kreativmomente in der Offensive erwarten, die nicht von Pizarro ausgehen.

Diese Mannschaft kann Spiele wie gegen Bayern oder Wolfsburg, in denen sie reagieren statt agieren muss. Dann geht es blitzschnell in die Tiefe, viele Schüsse und viele Chancen sind das Ergebnis. Doch liegt Bremen einmal hinten, wird das schnelle Umschalten schwerer, das eigene, gegen Bayern sehr starke, hohe Pressing nutzloser. Das eigene Ballbesitzspiel ist geprägt von einfachen Fehlern und Ballverlusten in nicht gut abgesicherten Zonen.

Eine Frage des Trainers, so könnte man meinen. Meint man aber in Bremen nicht. "Eichin hat das klar gesagt, daran ändert sich nichts", stellte Marco Bode auch nach dem Spiel gegen den HSV klar. Skripnik bleibt, daran wird nicht gerüttelt. Dass er sich selbst mit seiner Emotionslosigkeit am Seitenrand keinen Gefallen tat, wusste er wohl schon, als er die Hände in die Taschen steckte.

Kontrolle oder Emotion

Skripnik versuchte in einer schwierigen Situation Ruhe auszustrahlen, sich nicht nur auf das Emotionale zu beschränken, wie es viele Konkurrenten im Keller handhaben, sondern mit gespielter Kontrolle die tatsächliche Kontrolle wieder zu erlangen, die die Mannschaft in den letzten Wochen aus der Hand gegeben hat.

Das krasse Gegenstück zu dem, was der Hamburger SV auf der anderen Seite aufbot. Bruno Labbadia schafft es auch fast ein Jahr nach der überstandenen Relegation, sein inneres Feuer für den HSV auf die Mannschaft zu übertragen. Wer Lasogga jubeln sah, sah irgendwo dahinter auch Labbadia mit leuchtenden Augen durch das Wildparkstadion hüpfen.

Skripnik ist nicht Labbadia. Aber er hat das gleiche Feuer in sich, wenn auch für einen anderen Verein. Am kommenden Spieltag geht es gegen den VfB Stuttgart, es könnte das entscheidende Duell um den Platz vor oder nach dem Strich werden, der einen in die Relegation schickt.

Vielleicht wäre Skripnik gut beraten, zu diesem Spiel das Feuer auflodern zu lassen. Zwei Tage frei gibt er seinen Spielern nach dem Nordderby. Das ist Kalkül, sie sollen den Kopf freibekommen vom Druck des Abstiegskampfes. Doch sobald sie zurückkehren, ist dieser ungebrochen wieder vorhanden. Warum also nicht ein Ventil schaffen? Jeden Spieler kämpfen lassen? Für die Zukunft. Die eigene, wie auch die von Werder Bremen.

Hamburg - Bremen: Die Statistik zum Spiel

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