Ricken: "Durchschnitt reicht nicht mehr"

Von Interview: Jochen Tittmar
Lars Ricken (l.) begann wie Jürgen Klopp im Juli 2008 mit seiner Arbeit bei Borussia Dortmund
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SPOX: Im Vergleich zu Ihrer Zeit als Spieler hat sich der Nachwuchsbereich runderneuert. Individualisierung ist das Stichwort, für jeden Bereich gibt es mittlerweile einen hauptamtlich Verantwortlichen. Inwiefern garantiert dieser Aufwand, dass die ausgebildeten Nachwuchskicker auch langfristig eine Verstärkung für die Profimannschaft darstellen?

Ricken: Eine Garantie kann es nicht geben. Es kommt häufig auf die Qualität der ersten Mannschaft an. Zu Zeiten von Bert van Marwijk haben sehr viele Jugendspieler bei den Profis gekickt, da wir eben finanziell nicht auf Rosen gebettet waren und im Mittelmaß der Liga mitgeschwommen sind. Jetzt bestehen die Profis aus Nationalspielern und sind amtierender Doublegewinner. Die Schere ist also deutlich größer geworden und man braucht als Spieler eine ganz andere Qualität, um bei uns für ganz oben in Frage zu kommen. Durchschnitt reicht nicht mehr.

SPOX: Warum also diesen Aufwand betreiben und Spieler für die Konkurrenz ausbilden, wenn der Großteil später gar nicht im BVB-Trikot aufläuft?

Ricken: Dass ein Spieler den Verein wechselt, kann man leider nie ausschließen. Wir glauben ja an jeden Einzelnen und hoffen, dass wir ihn zum Stammspieler bei den Profis ausbilden können. Andererseits besteht aus Abgängen, die dann in anderen Ligen zum Einsatz kommen, auch ein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit: In den letzten fünf Jahren hat keine Mannschaft so viele Spieler für die deutschen Bundesligen ausgebildet wie Borussia Dortmund.

SPOX: Hat die Profiabteilung aufgrund des aktuellen Erfolgs noch die Zeit, Jugendspieler an den Profikader heranzuführen?

Ricken: Natürlich, das bleibt gerade trotz des Erfolges ein Hauptaugenmerk. Wir sind ja sehr gut damit gefahren, auf Identifikation stiftende Spieler zu setzen. Marcel Schmelzer, Nuri Sahin und Mario Götze wurden bei uns ausgebildet, Kevin Großkreutz und Marco Reus sind Dortmunder Jungs. Es hat sich so in der Verbindung zwischen Publikum und Mannschaft ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Wir sehen also zu, dass immer wieder solche Spieler nachkommen, um diesen Zustand zu erhalten.

SPOX: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bemühte kürzlich deutliche Worte und kritisierte die Jugendarbeit in Dortmund. Gerade die U 17 und U 19 seien für ihn tabellarisch nur "2. Liga".

Ricken: Was die nackten Tabellenstände angeht, stimme ich ihm hundertprozentig zu. Es wird für unsere U 19 schwer, um die Meisterschaft mitzukämpfen, wenn wie angesprochen herausragende Spieler wie Dudziak, Ducksch oder Günter in diesem Jahrgang fehlen. Es fehlt uns noch die Breite, um dies zu kompensieren. Wir sind mit dem sportlichen Abschneiden sehr unglücklich, klar.

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SPOX: Watzke meinte auch, es gäbe nur wenig, was für gute Jugendarbeit spricht. Was spricht denn aus Ihrer Sicht dafür?

Ricken: Er hatte das ja wie gesagt mehr auf die Tabellenstände bezogen. Lässt man die einmal außer Acht, dann stimmt bei uns die Richtung: Wir sind der Ausbildungsverein Nummer eins in Deutschland. Unsere zweite Mannschaft ist neben der aus Stuttgart die einzige Zweitvertretung eines Bundesligaklubs in der 3. Liga. In der aktuellen U-21-Nationalmannschaft spielen mit Lasse Sobiech, Daniel Ginzcek, Marc Hornschuh, Tolgay Arslan und Antonio Rüdiger fünf Akteure, die beim BVB ausgebildet wurden. Da könnte man auch Mario Götze noch hinzunehmen. Mit Dudziak, Ducksch und Günter spielen zudem mit die größten deutschen Talente im U-19-Bereich bei uns.

B-Junioren: Die Tabelle der Bundesliga West

SPOX: Aus den U-16- und U-17-Jährgängen stellt der BVB jedoch nur einen Spieler an die beiden Nationalmannschaften ab.

Ricken: Das ist richtig, das wird sich aber bereits zur neuen Saison ändern. Das hängt mit unserem neuen Jugendhaus zusammen, das auf dem Trainingsgelände entstehen wird. Der Verein geht gewissermaßen in Vorleistung: Aktuell haben wir ein Haus, in dem zehn Spieler untergebracht werden können. Das ist unterer Durchschnitt in der Bundesliga. Das neue Gebäude wird 20 bis 22 Plätze bieten, so dass wir damit deutsche und ausländische Nationalspieler verpflichten können, an die wir zuvor gar nicht denken durften. Das macht uns zuversichtlich, dass wir in diesen Jahrgängen zukünftig wieder mehrere Nationalspieler stellen.

SPOX: Vielleicht kommen die ja dann auch aus Münster. Mit dem SC Münster 08 ist der BVB im Dezember 2011 eine Kooperation eingegangen. Wie geht man da vor?

Ricken: Es sollen im Idealfall Win-Win-Situationen für beide Seiten entstehen. Dieser Verein leistet eine herausragende Jugendarbeit und wir wollen vermeiden, dass wir interessante Spieler aus Münster vorschnell von ihrem Heimatverein loseisen. Die interessanten Spieler schnuppern stattdessen immer mal wieder beim BVB rein und nehmen regelmäßig am Training teil. Es macht ja keinen Sinn, einen talentierten Elfjährigen ständig ins Auto zu setzen und die 80 Kilometer pendeln zu lassen. Die Münsteraner Jugendtrainer haben dazu auch die Möglichkeit, bei uns Hospitationen zu absolvieren und sich mit unseren Trainern auszutauschen.

SPOX: Aber wenn der BVB einen Jugendspieler aus Münster verpflichtet, dann wird der SC finanziell ausbildungsentschädigt, oder?

Ricken: Selbstverständlich, wir wollen mit der Kooperation ja kein Geld sparen. Die Arbeit des Gegenübers soll dann schon auch finanziell honoriert werden.

SPOX: Zum Abschluss eine übergreifende Frage: Oliver Bierhoff plant den "Fußball Campus", einen Ort, an dem sämtliche Elitemannschaften einschließlich der A-Nationalmannschaft untergebracht werden sollen. Das Ziel: Synergien schaffen, Wissen bündeln und dieses zurückfließen lassen in die Vereine. Was halten Sie davon?

Diskussionen um den Fußball Campus: Renaissance einer betagten Idee

Ricken: Ich habe zu meiner Zeit als Jungnationalspieler bereits das Vorbild im französischen Clairefontaine kennen gelernt. Das war sehr imposant, die gesamte Infrastruktur war an einem Ort gebündelt. So sind die Voraussetzungen ideal, um enge Synergien zu schaffen. Das erleichtert die Zusammenarbeit untereinander und man befindet sich in einem permanenten Prozess der Weiterentwicklung - bis hinunter in die Jugend-Nationalmannschaften. Als Nationalspieler hätte ich eine solch zentrale Anlaufstelle auf jeden Fall super gefunden und ich habe auch jetzt nichts dagegen. Mal sehen, wie sich der DFB entscheiden wird.

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