Die Stunde der Arbeitslosen

Von Florian Bogner
Spieler wie Stefan Wessels (oben, 3.v.l.) oder Bruno Custos (unten, Mitte) suchen nach einem Verein
© vdv

Die Transferperiode I ist Geschichte, nun schlägt die Stunde der vereinslosen Spieler. Spieler wie Nico Frommer, Stefan Wessels oder Marco Vorbeck halten sich derzeit in einem Trainingscamp der Spielergewerkschaft fit - bis der entscheidende Anruf kommt.

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Und plötzlich ist man arbeitslos. Der Arbeitgeber drückt einem die Papiere in die Hand, tschüss, ciao, mach's gut, und dann bleibt man sich selbst überlassen. Arbeitslos - 3,5 Millionen Menschen in Deutschland geht es derzeit so.

Darunter sind nach Schätzungen der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) auch rund 200 Profi-Fußballer, die zum Ende der Transferperiode I immer noch vereinslos sind. Zum Beispiel Nico Frommer. Der stieg mit dem VfL Osnabrück aus der zweiten Liga ab, danach wurde sein Vertrag nicht verlängert.

Sein erster Weg führte ihn deshalb zur VDV. Seit 2003 organisiert die Spieler-Gewerkschaft das sogenannte VDV-Trainingscamp, in dem sich vereinslose Spieler von Juli bis September fit halten können. Bis der eine Anruf kommt. Und die Erfolgsaussicht ist durchaus hoch.

"Manchmal geht der Fahrstuhl auch hoch"

"Achtzig Prozent der Spieler haben in den vergangenen Jahren neue Jobs gefunden", berichtet VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky nicht ohne Stolz. Roland Benschneider, Moses Sichone, Thorsten Judt oder Markus Anfang waren in den letzten Jahren im VDV-Camp zu Gast, kamen dadurch bei Vereinen unter. "Zwar meistens eine Klasse tiefer, aber manchmal geht der Fahrstuhl auch nach oben", sagt Baranowsky.

Auch dieses Jahr haben sich rund 100 Profis per Anmeldeformular für das Trainingscamp beworben. Pro Woche können 22 Feldspieler und vier Torhüter an der Sportschule Wedau in Duisburg trainieren. Dabei sein darf, wer am längsten VDV-Mitglied ist und zuletzt am höchsten gespielt hat. So wie Marco Vorbeck (zuletzt FC Augsburg), Stefan Wessels oder eben Frommer (beide zuletzt VfL Osnabrück).

Der Zeitplan ist dabei straff: Montag Einzug, zweimal Training pro Tag, am Freitag geht es wieder nach Hause. Man trainiert wie im Verein, nur dass das Handy permanent an ist. Die Spieler wohnen an der Sportschule, werden voll verpflegt, medizinisch betreut und können nebenher Seminare zum Thema Sportpsychologie, Ernährung oder Fitness besuchen. "Ich war überrascht, wie gut das hier alles organisiert ist", sagt Frommer, der bereits die vierte Woche im Camp ist. "Es ist alles viel professioneller, als ich mir das vorgestellt habe."

Sich zeigen gegen Köln, Schalke und Co.

Für das Trainingscamp müssen die Kicker nicht bezahlen, finanziert wird es durch Mitgliedsbeiträge der Spieler und Marketingmaßnahmen. Nur die Anfahrt tragen die Spieler selbst. Unter der Woche präsentieren sich die Kicker in Testspielen, zuletzt gegen den 1. FC Köln und gegen die zweiten Mannschaften von Schalke 04 oder Bayer Leverkusen. In Italien spielte man gegen den Erstligisten AS Livorno.

Weitere Vorteil des Camps: "Wer voll im Saft steht, hat nicht so viel Zeit nachzudenken", sagt Frommer. Außerdem können sich die Spieler auf der VDV-Homepage präsentieren, Vereine haben dort eine Übersicht, welche Spieler zu haben sind. Für interessierte Klubs und lizenzierte Spielerberater gibt es einen extra Login-Bereich mit Leistungs- sowie Kontaktdaten der Spieler.

Trotz des inzwischen guten Renommees des Camps zieren sich manche vereinslose Spieler dennoch, sich anzumelden. "Die Jungs outen sich ja in gewisser Weise und nehmen damit in Kauf, dass andere sagen: 'Ach, der hat auch keinen Verein?'", sagt Ingo Anderbrügge, einer der acht Trainer des Camps. Dies schrecke manchen Spieler ab.

Emden, Oggersheim, Sachsen Leipzig...

Auch Frommer hatte zu Beginn diese Ängste. "Natürlich offenbart man sich damit ein Stück und zeigt: Ich bin hilflos und suche einen Verein", so der 31-Jährige zu seinen Bedenken. Doch die allgemeine Hemmschwelle sinkt, weil Arbeitslosigkeit in Deutschland mittlerweile ein Massenphänomen ist.

"Arbeitslosigkeit kann eben jederzeit jeden treffen", sagt Baranowsky. Auch im Fußball gehen Vereine Pleite oder befinden sich in argen finanziellen Problemen. Die jüngsten Beispiele sind der Drittliga-Rückzug von Kickers Emden oder der Lizenz-Entzug von Vereinen wie FSV LU-Oggersheim oder Sachsen Leipzig.

"Oft sind es doch einfach unglückliche Umstände, wenn der Verein zum Beispiel einsparen muss oder umstrukturiert, die dazu führen, dass ein Spieler seinen Vertrag nicht verlängert bekommt", so Frommer. So wie das beim VfL Osnabrück der Fall war, dessen Abstieg und der anschließende Neuanfang dem VDV-Camp die Spieler Frommer, Wessels und Thomas Cichon zutrug.

Die heiße Phase beginnt jetzt erst

Vereine und Spielerberater stehen der Maßnahme VDV-Camp grundsätzlich positiv gegenüber. "Indem die Spieler sich hier anmelden, zeigen sie ja, dass sie nicht nur große Sprüche klopfen, sondern sich aktiv um ihre Karriere bemühen", sagt Anderbrügge. Und Frommer meint: "Wir sind bestimmt kein Haufen Schwervermittelbarer oder schwieriger Charaktere, im Gegenteil."

Dass die Transferliste seit letztem Dienstag geschlossen ist, ist für die vertragslosen Spieler ein Vorteil. Sie können auch während der Saison verpflichtet werden, ihre Zeit kommt jetzt. "Ich rate allen Spielern, im September oder Oktober Nägel mit Köpfen zu machen", sagt Baranowsky.

Manch Verein muss gerade jetzt wegen Verletzungen noch nachbessern oder hat bereits eine Trainerentlassung hinter sich. Dort kann sich der neue sportliche Leiter dann auch schnell mal noch für einen vertragslosen Spieler entscheiden. Nachfrage dürfte in den nächsten Wochen also genügend da sein.

Gestern Zweite Liga, heute Arbeitslosengeld II

Generell gilt für die Spieler im VDV-Trainingscamp aber eins: Besser gleich zuschlagen, bevor man am Ende leer ausgeht. Baranowskys Credo lautet deshalb: "Lieber zwei Schritte zurück machen, um dann wieder nach vorne zu kommen. Wer sagt, ich würde niemals in die Dritte Liga gehen, der riskiert viel."

In den vergangenen Jahren haben sich manche Spieler auch schon verpokert. "Wir hatten schon Spieler, die in der Zweiten Liga gespielt haben, dann aber bis in den Bereich von Arbeitslosengeld II abgerutscht sind", so der VDV-Geschäftsführer.

Doch selbst für die zwanzig Prozent Spieler, die Ende September immer noch ohne Verein dastehen und mit dem Gedanken spielen, die Schuhe an den Nagel zu hängen, bietet die VDV Auffangschutz. Laufbahncoach Frank Günzel ist bei der VDV für Profis, die eine Karriere nach der Karriere angehen wollen, Lotse und Ideengeber.

Er zeigt mit seinen Beratungen Lösungswege auf, "damit der Zug auf dem richtigen Gleis steht" (Baranowsky). Denn: "Ausgesorgt haben nur die wenigsten Profis." Existenzängste sind deshalb auch die größten Sorgen der vereinslosen Profis.

Frohe Kunde aus Südafrika

Was ist, wenn ich keinen Klub finde? Wie regle ich den Unterhalt meiner Familie? Was ist, wenn ich mich jetzt verletze? "Das sind normale, existenzielle Ängste. Man kommt schnell in eine Spirale rein und wird immer weiter runtergezogen", hat Baranowsky schon bei einigen Spielern beobachtet.

Auch deshalb wird das sportpsychologische Seminar während des Trainingscamp immer häufiger besucht. "Früher wurde das belächelt, heute gehört es zur Professionalität, sich auch in diesem Bereich coachen zu lassen", sagt Baranowsky.

Einen kühlen Kopf bewahren ist das Motto. Die Angebote gut zu sondieren, ist das eine, die richtige Wahl zu treffen, das andere. Auch hier hilft die VDV.

"Wir sind zwar nicht aktiv vermittelnd tätig, aber wenn ein Spieler sagt: 'Schaust Du Dir mal bitte das Vertragangebot an?' helfen wir natürlich", so der Geschäftsführer.

Rund 25 Spieler hat er schon untergebracht, weitere werden folgen. Die letzte Erfolgsmeldung kam am Mittwoch aus Südafrika. Dort hatte Thomas Cichon im Erstligisten Moroka Swallows einen neuen Verein gefunden.

Diese Spieler haben sich beim VDV-Trainingscamp angemeldet