Geboren, um der Beste zu sein

Philipp Dornhegge
04. Juli 201113:58
Novak Djokovic hat es geschafft: Nach dem Wimbledon-Sieg ist er die neue Nummer eins der WeltGetty
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Die Tenniswelt verneigt sich vor Novak Djokovic: Nach seinem beeindruckenden Wimbledon-Final-Sieg gegen Rafael Nadal ist der Serbe der beste Spieler der Welt. Platz eins in der Weltrangliste belegt dies. Es stellt sich jedoch die Frage: Hat der 24-Jährige das Zeug, zur Legende zu werden? Oder ist seine Regentschaft nur von kurzer Dauer?

Rafael Nadal schüttelt den Kopf. Gerade hat er Novak Djokovic mit seiner Top-Spin-Vorhand in die linke Ecke geschickt, es kam eine präzise Vorhand an die Grundlinie zurück. Nadal blieb dran, jagte die Kugel diesmal genau in die andere Ecke.

Djokovic war schon da und zog die beidhändige Rückhand herum, sein Konter erwischte den Spanier auf dem falschen Fuß. Plötzlich war er in der Defensive, musste selbst tief in die Ecken abtauchen und war irgendwann doch geschlagen.

Frust pur für Nadal, der es gewohnt ist, sowohl auf Sand als auch auf Rasen nach Belieben zu dominieren. Ballwechsel wie den beschriebenen gab es im Finale von Wimbledon reichlich.

Ballwechsel, in denen eins deutlich wurde: Rafael Nadal kann gnadenlos an die Wand gespielt werden. Nicht von jedem, nicht einmal von einigen. Aber von einem ganz bestimmt: von Novak Djokovic.

Saison 2011 rekordverdächtig

Im ersten Satz machte Nadal, wenn er über den zweiten Aufschlag gehen musste, zu gerade einmal 20 Prozent den Punkt. Mit anderen Worten: Konnte der Spanier nicht schon mit dem Service Druck machen und musste sich stattdessen auf eine Rally einlassen, hatte er ganz schlechte Karten.

"Novak hat nicht nur ein tolles Turnier hinter sich, sondern spielt insgesamt eine erstaunliche Saison", sagte Nadal nach der deutlichen 4:6, 1:6, 6:1, 3:6-Niederlage.

Freundliche Worte, die aber eine Untertreibung sind: Tatsächlich spielt Djokovic die beste Saison aller ATP-Profis in diesem Jahr, und darüber hinaus ist seine Bilanz von 48 Siegen bei nur einer Niederlage schon jetzt rekordverdächtig.

Dass es bei dieser einen Niederlage der besten Saisonleistung Roger Federers bedurfte, um Djokovic zu schlagen, ist bezeichnend. Der Sprung des 24-Jährigen auf Platz eins der Weltrangliste ist nur die logische Konsequenz aus seinen Auftritten.

Djokovic dominiert Nadal - und die ganze Tenniswelt

Djokovic dominiert dieser Tage nicht nur Nadal (5-0-Bilanz in dieser Saison): Er dominiert die Tenniswelt. Die Frage, die sich stellt, ist deshalb nicht, ob Novak Djokovic der beste Spieler der Welt ist. Die kann man ganz getrost und emphatisch mit Ja beantworten.

Die Frage ist vielmehr, ob die Leistungen des Serben nur ein Strohfeuer sind und Nadal oder ein anderer ihn bald schon wieder überflügeln werden, oder ob wir Zeuge einer dauerhaften Wachablösung sind und Djokovic vielleicht sogar der neue Roger Federer ist.

Eine definitive Antwort wird nur die Zeit geben können. Was man aber jetzt schon tun kann, ist sich anzuschauen, wie die Chancen des Djokers auf eine jahrelange Dauerregentschaft stehen.

Wilander: "Djokovic mental stark verbessert"

Kurzfristig ist ein Abrutschen kaum zu erwarten. Denn im Vorfeld der U.S. Open hat Djokovic relativ wenige Punkte aus dem Vorjahr zu verteidigen. Seine ärgsten Konkurrenten Rafael Nadal und Roger Federer jedenfalls kamen 2010 in Toronto und Cincinnati genauso weit oder weiter als der Serbe.

Und in Flushing Meadows hat er nach seinem Finaleinzug im Vorjahr zwar viel zu verlieren. Rafa Nadal aber ist der Titelverteidiger - und kann somit auch nichts gewinnen. Ein weiterer Vorteil: Von Verletzungen blieb Djokovic - wie Federer, aber im Gegensatz zu Nadal - bisher weitgehend verschont.

Auch langfristig steht es exzellent um Djokovic' Aussichten. Das meinen auch die Legenden des Sports: "Die mentale Komponente ist der entscheidende Faktor für seine enorme Verbesserung in diesem Jahr", meint etwa "Eurosport"-Experte Mats Wilander. "Vorher war er vielleicht eine 5 oder 6, inzwischen ist er eine glatte 10. Ihm macht niemand mehr etwas vor."

Ex-Wimbledonsieger Goran Ivanisevic gibt derweil zu bedenken: "Offensichtlich hat er seinen Aufschlag stark verbessert. Aber noch wichtiger ist, dass er viel aggressiver ist als in der Vergangenheit. Ich war früher oft der Meinung, dass er zu defensiv gespielt hat. Ganz sicher, weil er in der Hinsicht ohnehin schon der Beste der Welt war. Aber um die Nummer eins zu werden, muss man attackieren." Gegen Nadal, selbst ein exzellenter Konterspieler, hatte Djokovic die perfekte Mischung aus Verteidigung und Angriff gefunden.

Entdeckerin Gencic: "Ich war sicher, dass er es schafft"

Glaubt man Djokovic' Entdeckerin Jelena Gencic, wurde der Grundstein für die Karriere des Serben schon sehr früh gelegt: "Als er sechs Jahre alt war und zu mir ins Training kam, habe ich ihn gefragt: 'Hast Du Lust, die nächsten Jahre jeden Tag hart zu arbeiten? Manchmal wird es Spaß machen, manchmal werden Tränen fließen. Willst Du das?' Und er schaut mich an und sagt: 'Ja, ich will ein großartiger Spieler werden.' Er war erst sechs, aber er hatte bereits die Augen, das Herz und den Ansporn eines Champions. Er ist dazu geboren. Ich war mir vollkommen sicher, dass er es schaffen würde."

Es bis an die Spitze zu schaffen und dort zu bleiben, sind natürlich zwei verschiedene Paar Schuhe. Das weiß auch Thomas Muster, der selbst lediglich sechs Wochen auf Platz eins der Weltrangliste verbrachte: "Ab hier wird es nur noch schwerer für ihn, das muss Novak klar sein", so der Österreicher. "Alle werden ihn jagen. Aber man merkt ihm an, dass er sich toll entwickelt hat. Ich traue ihm alles zu."

Auch wenn man sich die Konkurrenz anschaut, sind die Vorzeichen für eine lange Regentschaft gut: Federers Karriere neigt sich langsam dem Ende zu. Obwohl der Schweizer nach wie vor auf hohem Niveau spielen kann, weiß niemand, ob er noch mal in der Lage sein wird, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen.

Rafael Nadals Spiel hat Djokovic, wie das Wimbledon-Finale erneut eindrucksvoll bewies, voll im Griff. Auf den weiteren Plätzen der Weltrangliste folgen Andy Murray, Robin Söderling, David Ferrer: Spieler, die gut sind, aber kaum das Zeug zum Grand-Slam-Champion haben.

Del Potro in Zukunft erster Herausforderer?

Juan Martin del Potro ist sicher einer, der Djokovic in Zukunft gefährlich werden könnte. Doch der 22-jährige Argentinier hat nach großen Verletzungssorgen noch einen weiten Weg vor sich, ehe er den Djoker wirklich angreifen kann.

Derzeit liegt der 1,98-Meter-Mann auf Platz 19 der Weltrangliste, mit seinem Auftritt gegen Rafa Nadal im Wimbledon-Achtelfinale hat er aber immerhin angedeutet, dass er auf dem Weg zu alter Stärke ist. Was del Potro allerdings fehlt - und was Djokovic zu einem Superstar macht, ist die besondere Ausstrahlung.

Deshalb kann man sich als Fan des Tennissports eigentlich nur wünschen, dass die neue Nummer eins noch eine Weile ganz oben bleibt. Tennis-Entertainer Mansour Bahrami bringt es auf den Punkt: "Er ist großartig für unseren Sport. Er ist nicht nur ein Champion, sondern hat Humor und Charisma. Seine Imitationen anderer Spieler sind legendär. Novak ist ein Siegertyp, und während er gewinnt, bringt er die Menschen zum Lachen. Das ist fantastisch."

"Ich werde nicht nachlassen"

Einer, der auch in Zukunft nicht lachen würde, wäre Rafael Nadal. Nach den French Open wurde der 25-Jährige noch als bester Sandplatzspieler der Geschichte gefeiert. Viele waren sogar der Meinung, dass er schon bald zum besten Spieler aller Zeiten aufsteigen könne.

Nur wenige Wochen später wird er fast wie ein alternder Champion angesehen, dessen Zeit der totalen Dominanz dank Roger Federer vor ihm und Novak Djokovic nach ihm viel zu kurz war. Er wird noch eine Weile um "seinen" ersten Platz kämpfen.

Geschenkt bekommen wird er ihn nicht: "Ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, ganz oben zu stehen", so Djokovic. "Jetzt, wo ich dieses Ziel erreicht habe, werde ich nicht nachlassen. Ich will das Gefühl, der Beste zu sein, so lange wie möglich genießen."

ATP: Die aktuelle Weltrangliste der Herren