Schlägt das Imperium zurück?

Arne Pieper
12. Dezember 201610:04
Serena Williams könnte in Melbourne mit Steffi Graf gleichziehengetty
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Mit den Australian Open steht das erste Highlight des Jahres steht vor der Tür. Vor dem Turnierstart blickt SPOX durchs Hawk-Eye und nimmt die Damenkonkurrenz unter die Lupe. Serena Williams könnte den historische Bestmarke von Steffi Graf einstellen. Vika Azarenka ist zurück und Angelique Kerber will endlich den nächsten Schritt machen.

SPOXDie Topfavoritin

Auch im zarten Alter von 34 Jahren führt in der Damenkonkurrenz kein Weg an Serena Williams vorbei. Um ein Haar hätte sie in der vergangenen Saison zum ganz großen Wurf ausgeholt und zum ersten Mal seit Steffi Grafs Siegeszug 1988 alle vier Majors in einem Jahr gewonnen. Ausgerechnet die ungesetzte Roberta Vinci machte Williams jedoch einen Strich durch die Rechnung und schmiss die Nummer eins im Halbfinale der US Open völlig überraschend aus dem Turnier.

Nach dem letzten Grand Slam des Jahres wurde es ein wenig ruhiger um die Amerikanerin, die sich mal wieder mit zahlreichen Verletzungen herumplagen musste. Zuletzt wollte sie den Hopman Cup zur Vorbereitung auf das erste Highlight des Jahres nutzen, wurde jedoch von einer Knieentzündung ausgebremst. Bereits im ersten Match des Mixed-Turniers gab Williams mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. "Mein Körper fühlt sich großartig an", beruhigte sie wenige Tage später ihre Fans und erklärte, dass ihr lädiertes Knie bis zum Start in Melbourne vollständig genesen sein wird.

Ob wir in Melbourne tatsächlich eine zu 100 Prozent fitte Serena sehen werden, darf aber zumindest bezweifelt werden. Ändert das etwas an ihrer Favoritenrolle? Die klare Antwort: Nein. In der Vergangenheit gab es kaum ein Turnier ohne irgendwelche Wehwehchen, gestört hat sie das auf dem Weg in die Geschichtsbücher jedoch fast nie. Daher gilt auch in diesem Jahr: Gerät der Serena-Zug im Verlauf des Turniers ins Rollen, ist sie kaum aufzuhalten und kann sich im Prinzip nur selber schlagen.

Die Australian Open sind zudem eines ihrer erklärten Lieblingsturniere, bereits sechs Mal setzte sich Williams in Melbourne die Krone auf. Der seit 2008 eingesetzte Plexicushion-Belag passt gut zu ihrem Spiel und könnte ihr den Weg zum nächsten Rekord ebnen: Mit bisher 21 gewonnenen Grand Slams ist die Nummer eins nur noch einen Titel von Steffi Graf entfernt und könnte mit der Grande Dame des deutschen Tennis gleichziehen.

Die Titelverteidigerin

Titelverteidigerin ist ebenfalls Williams, werfen wir daher mal einen Blick auf ihre Auslosung. Im ersten Match wartet mit Camila Giorgi eine durchaus anspruchsvolle Gegnerin auf die Nummer eins der Setzliste. Die junge Italienerin hat sich bis auf Platz 35 des Rankings vorgearbeitet, wartet auf der großen Bühne allerdings noch auf den Durchbruch. Nach einem deutlich einfacheren Zweitrundenmatch (Hsieh oder Stapenko) könnte mit Anna Karolina Schmiedlova in der dritten Runde die erste gesetzte Gegnerin auf Williams treffen. Die 21-Jährige Slowakin klettert in der Weltrangliste eifrig nach oben und könnte zumindest für ernsthafte Gegenwehr sorgen.

Die zweite Woche könnte für Williams mit einem Duell gegen ihre gute Freundin Caroline Wozniacki starten. Ebenfalls möglich ist ein Achtelfinale gegen Sara Errani. Beide hatten dem Power-Tennis der Amerikanerin in den Matches der letzten Jahre kaum etwas entgegenzusetzen. Die Italienerin gewann von bisher neun Aufeinandertreffen kein einziges Mal, die Dänin lediglich eins von zehn Duellen.

Schon im Viertelfinale könnte es in diesem Jahr zum Blockbuster gegen Maria Sharapova kommen, die in Melbourne nur an Position fünf gesetzt ist. Die Russin ist so etwas wie Williams' Lieblingsgegnerin, die Siegesserie hält bereits seit unglaublichen 17 Spielen. Der letzte Sieg von "Masha" gegen ihre Dauerrivalin datiert aus dem Jahr 2004.

Letztes Jahr

Die deutschen Damen haben ihre Erinnerungen an das Turnier 2015 hoffentlich tief vergraben. Kerber und Co. erlebten im vergangenen Jahr ein wahres Fiasko und schieden der Reihe nach in der ersten Woche aus. Sabine Lisicki, Andrea Petkovic und Angelique Kerber scheiterten allesamt an ihren machbaren Auftakthürden, Mona Barthel erwischte es in Runde zwei. Begünstigt von einem leichten Draw schaffte es nur Julia Görges ins Achtelfinale, dort war sie gegen Ekaterina Makarova völlig chancenlos.

Die spätere Siegerin spazierte bis auf ein enges Match gegen Garbine Muguruza durch das Turnier und traf im Finale mal wieder auf Sharapova. Die Russin war in der zweiten Runde um ein Haar an der Qualifikantin Panowa gescheitert, fightete sich danach aber bis ins Endspiel.

Der Shootingstar des letztjährigen Turniers war die Amerikanerin Madison Keys. Die 19-Jährige beeindruckte die Fans mit ihrem aggressiven Tennis und ließ unter anderem Petra Kvitova keine Chance. Erst im Halbfinale war im Generationenduell gegen Williams Endstation.

Die Deutschen

Nach den bescheidenen Ergebnissen bei den Majors der Vorsaison soll im Jahr 2016 alles besser werden. Angelique Kerber haute zum Jahresbeginn gleich mal eine Kampfansage raus: "Mein Ziel ist es, etwas Großes zu holen. Ich will voll angreifen, es soll bei den wichtigen Turnieren endlich krachen." Beim ersten Vorbereitungsturnier in Brisbane ließ sie ihren Worten auch gleich Taten Folgen und marschierte bis ins Finale. Dort war Angie gegen die wiedererstarkte Victoria Azarenka allerdings nahezu chancenlos. Die Befürchtung, dass es für den allerletzten Schritt auch weiterhin nicht reichen wird, bleibt bestehen.

Ganz andere Töne schlug dagegen Andrea Petkovic ein. Nach ihrer überraschenden Depressionsbeichte legte sie vor ein paar Tagen mit Sätzen wie "Ich spiele Tennis - das bringt keinen weiter im Leben" oder "Glück existiert doch nur, weil es Unglück gibt" nochmal nach. Ob sie derzeit mental in der Lage ist, ihr bestes Tennis zu spielen, ist äußerst zweifelhaft. Mit Kulichkova und anschließend Niculescu oder Pereira warten in den ersten Runden zumindest verhältnismäßig einfache Aufgaben.

In einer Sinnkrise steckt Sabine Lisicki nicht, dafür sucht die 26-Jährige seit einer gefühlten Ewigkeit nach ihrer Form. Beim Hopman Cup bekam sie kein Bein auf die Erde und blieb in ihren drei Matches ohne Satzgewinn. Dank des guten Draws kann man trotzdem vorsichtig optimistisch sein und zumindest auf ein Drittrundenmatch gegen Venus Williams hoffen.

Für Mona Barthel könnte schon in der zweiten Runde gegen die junge Französin Caroline Garcia eng werden, anschließend wartet mit Muguruza eine der Topfavoritinnen. Auch Julia Görges könnte in der zweiten Runde mit Pliskova bereits ein schwerer Brocken erwischen. In der Vorbereitung konnte "Görgi" immerhin eine ganze Menge Selbstvertrauen tanken, beim Turnier in Auckland kam sie dank starker Leistungen bis ins Finale.

Dark Horse

Zugegeben etwas unüblich, eine zweimalige Siegerin der Australian Open als Dark Horse zu bezeichnen, aber nach ihrem Karriereknick schlüpft Victoria Azarenka genau in diese Rolle. Seit ihrem Triumph 2013 spielte die Weißrussin äußerst unkonstant und wartete zweieinhalb Jahre auf ihren nächsten Turniersieg. Zu allem Überfluss wurde sie immer wieder von Verletzungen geplagt und rutschte zwangsläufig aus den Top 20.

Wie aus dem Nichts ist "Vika" jetzt plötzlich zurück im Geschäft und legte einen furiosen Start ins neue Jahr hin. In Brisbane walzte sie als ungesetzte Spielerin alles nieder, was sich ihr in den Weg stellte. Ohne Satzverlust holte sie sich den Titel, in ihren fünf Matches gab Azarenka insgesamt nur 17 Spiele ab.

Sollte sie in Melbourne da weitermachen, wo sie in Brisbane aufgehört hat, gehört Azarenka sogar zum engeren Favoritenkreis. Das mögliche Achtelfinale gegen Garbine Muguruza könnte zu einem der spektakulärsten Matches des Turniers werden.

SPOX

Upset Alert

Beim Blick auf die Auslosung ist Agnieszka Radwanska womöglich vor Schreck das Butterbrot aus der Hand gefallen. Schon in der zweiten Runde könnte es die an vier gesetzte Polin mit keiner Geringeren als Eugenie Bouchard zu tun bekommen. Nach ihrer Saison voller Pleiten, Pech und Pannen ist die 21-Jährige bis auf Rang 47 im WTA-Ranking abgerutscht und geht daher ungesetzt ins Turnier.

Die Kanadierin bekam nach ihrem kometenhaften Aufstieg ihr Spiel zuletzt einfach nicht mehr zusammen. Nach zahlreichen Pleiten gipfelte ihr Seuchenjahr bei den US Open, als sie in der Umkleidekabine stürzte und sich eine Gehirnerschütterung zuzog. Jetzt ist "Genie" nach vier Monaten Pause wieder zurück und kann offenbar endlich an ihre alte Form anknüpfen. Beim Vorbereitungsturnier in Hobart machte sie einen bärenstarken Eindruck und zog bis ins Finale ein. Dort musste sie sich Alize Cornet aber dann doch deutlich mit 1:6 und 2:6 geschlagen geben.

Besonders gefährlich ist für Radwanska die Tatsache, dass Bouchard in Melbourne frei und ohne jeden Druck aufspielen kann. Sie geht nach eigener Aussage "mit null Erwartungen" ins Turnier. Genau das könnte sie enorm gefährlich machen.

Verletzte soweit das Auge reicht

Nicht nur Serena Williams hat es im Vorfeld des Turniers erwischt, auf der WTA-Tour hagelte es in den letzten Wochen verletzungsbedingte Absagen. Mit Sharapova (Unterarm), Halep (Knöchel), Muguruza (Fuß) und Kvitova (Krankheit) zogen zahlreiche Topspielerinnen ihre Teilnahmen zurück. Auch Kerber (Magen-Darm-Infekt) und Barthel (Rücken) konnten in der vergangenen Woche nicht an den Start gehen.

Die Absage der Weltranglistenzweiten Halep führte sogar zu einem handfesten Streit. Die Rumänin hat sich inzwischen einen zweifelhaften Ruf erarbeitet und ist bekannt dafür, bei Turnieren kurz vor Beginn zurückzuziehen. Die Italienerin Sara Errani wollte ihr die Probleme mit dem Knöchel nicht abkaufen und wütete bei Twitter: "Wie viele Auslosungen möchte sie noch in Unordnung bringen? Nur um das zu wissen." Der Hintergrund: Errani war zuvor klar an Belinda Bencic gescheitert, hätte das frühe Duell gegen die Schweizerin aber vermieden, wenn Halep rechtzeitig abgesagt hätte.

Einfachster Draw

Die Losfee hat es mit Kerber in diesem Jahr gut gemeint. In den ersten drei Runden sollte für Deutschlands Topspielerin wenig anbrennen, der erste richtige Prüfstein wartet in Person von Timea Bacsinsky im Achtelfinale. Die junge Schweizerin ließ im letzten Jahr mit der Halbfinalteilnahme bei den French Open aufhorchen, kam auf Hartcourt aber noch nie über die dritte Runde hinaus.

Auf die Topfavoritin Williams könnte Kerber erst in einem möglichen Finale treffen. Vorher müsste sie allerdings illustere Namen wie Muguruza oder Azarenka (Viertelfinale) und Halep (Halbfinale) aus dem Turnier nehmen.

Schwerster Draw

Nicht nur Radwanska hat es hart erwischt, vor allem für Sharapova ist bei der Auslosung der Worst Case eingetreten. Zum Aufwärmen geht es gegen die aufstrebende Nao Hibino, nach zwei weiteren Runden wartet mit Bencic das Wunderkind der Tennisszene.

Die unrühmliche Auszeichnung "schwerster Draw" verdient sich die Russin aber durch den äußerst unglücklichen Umstand, dass sie als Nummer fünf der Setzliste bereits im Achtelfinale auf Serena Williams treffen könnte. Ohne ein brandneues Rezept ist für die 28-Jährige dann wohl schon im Achtelfinale Schluss.

Geschichtsstunde

Wir drehen die Zeit 28 Jahre zurück und blicken auf den Beginn des bis heute unerreichten Siegeszugs einer gewissen Stefanie Graf. Die damals 18-Jährige machte bei den Australian Open 1988 den ersten Schritt zum bislang einzigen Golden Slam der Geschichte, bestehend aus den vier Grand Slams und der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Seoul.

Nach jahrelanger Dominanz durch Martina Navratilova reiste Graf mit ihrem ersten Grand-Slam-Titel in der Tasche als neue Nummer eins der Welt nach Melbourne. Sie marschierte nahezu unangetastet durch die erste Woche, im ersten echten Kräftemessen sah die an fünf gesetzte Titelverteidigerin Hana Mandlikova im Viertelfinale ebenfalls kein Land.

Im Halbfinale kam es gegen die sechs Jahre ältere Claudia Kohde-Kilsch zum deutschen Duell. Auch hier ließ Graf nichts anbrennen und schickte die damalige Nummer acht mit 6:2, 6:3 nach Hause. Im Anschluss verlor Navratilova überraschend gegen ihre Landsfrau Chris Evert, weshalb das erhoffte Finalduell der großen Rivalinnen ausblieb. Im letzten großen Finale ihrer Karriere konnte auch Evert der dominanten Vorhand ihrer Gegnerin zu wenig entgegensetzen, mit einem ihrer vielen Netzangriffe nutzte Graf schließlich ihren ersten Matchball zum 6:1, 7:6.

Die Weltrangliste der Damen im Überblick