Vor zehn Jahren tingelte P.J. Tucker durch Basketball-Europa, die Chance auf eine NBA-Karriere schien verflogen. In einer Saison bei Brose Bamberg erarbeitete sich der heutige Bucks-Forward aber eine neue Möglichkeit, in der Association durchzustarten - auch dank Shooting-Guru Stefan Weissenböck.
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Nach den ersten 83 P.J. Tucker-Minuten in der besten Basketballliga der Welt gab es wohl niemanden, der ernsthaft daran glaubte, dass der bullige, aber etwas zu kleine Forward etwa 15 Jahre später in den NBA Finals stehen und sogar eine wichtige Rolle spielen würde.
Diese ersten 83 Minuten verteilten sich auf 17 Spiele, die er in seiner Rookie-Saison im Trikot der Toronto Raptors absolvierte. Im Schnitt stand der 35. Pick im Draft 2006 pro Partie 4,9 Minuten auf dem Court, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Statt seinen NBA-Traum zu leben, degradierten die Kanadier ihn in die damalige D-League, wenig später wurde er entlassen.
"Schrecklich", fasste Tucker einige Jahre später seinen Einstand in der Association zusammen, "es war definitiv eine harte Zeit für mich." Seine Karriere in der NBA schien vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte.
Ein Trugschluss, wie sich später herausstellen sollte. Heute kämpft er als Starter der Milwaukee Bucks um die Championship, er prägte gemeinsam mit James Harden eine kleine Small-Ball-Revolution in Houston und hat knapp 50 Millionen Dollar durch das orangefarbene Leder eingenommen. Doch wie hat es dieser Anthony Leon Tucker geschafft, sein basketballerisches Schicksal auf links zu drehen?
Tucker in Bamberg: "Spezialaufgabe" für den Shooting-Guru
Die Spurensuche führt nach Oberfranken, genauer gesagt nach Bamberg. Dort landete P.J., wie er genannt wird (Abkürzung für seinen Spitznamen Pops Junior), schließlich nach sechs verschiedenen Stationen in Europa. Er lief in Israel auf, wo er den MVP-Award abstaubte, heuerte bei einem Aufsteiger in der ukrainischen Liga an, der eineinhalb Jahre später Bankrott ging, wechselte innerhalb eines Jahres dreimal das Team und versuchte es mit einem Abstecher nach Puerto Rico.
Doch auch als er im Sommer 2011 bei Brose Bamberg unterschrieb, lief zunächst nicht alles nach Plan. "Die Trennung war schon so gut wie abgemacht", sagt Stefan Weissenböck, damals wie heute Teil des Trainerstabs und für die Spielerentwicklung in Bamberg zuständig, im Gespräch mit SPOX. "Er selbst war unglücklich und der Verein war ebenfalls nicht glücklich mit ihm."
Doch trotz der Anlaufschwierigkeiten bekam Tucker eine weitere Chance - und die nutzte er, auch mit der Hilfe von Weissenböck. Der Österreicher, der in seiner eigenen aktiven Karriere 34-mal für die Nationalmannschaft auflief, ist mit kurzer Unterbrechung seit 2009 als Head of Player Development bei Brose angestellt. Er bekam vom damaligen Head Coach Chris Fleming die "Spezialaufgabe", mit Tucker an dessen Spiel zu feilen.
P.J. Tucker in Bamberg: Kein "Hokuspokus"
"Als er damals zu uns kam, war er wie ein wilder Stier, voller Kraft und Energie. Er war ein Ticken schneller und kräftiger als alle anderen, aber meistens gingen seine Aktionen schief", erinnert sich der heute 48-Jährige an unnötige Schrittfehler oder vergebene Korbleger seines Schützlings.
Weissenböck legte im Training den Fokus auf die Details: "Das war ihm am Anfang nicht geheuer, er war alles andere als begeistert, als ich ihn zum Korb mitgenommen und Layups mit ihm geübt habe: Finger spreizen, die Hand unter den Ball kriegen, die Füße ordentlich setzen und vor allem die Aufgaben langsamer, aber dafür extrem genau ausführen."
Der damals 26-Jährige musste zunächst zu seinem Glück gezwungen werden, aber als er merkte, wie er sich durch die Arbeit mit dem Brose-Coach weiterentwickelte, musste er nicht mehr zu zusätzlichen Individualeinheiten gedrängt werden. "So gewinnt man das Vertrauen eines Spielers. Wenn er sieht, dass du ihn weiterbringst, dann öffnet er sich", sagt Weissenböck.
Tuckers Fortschritte wurden vor allem beim Shooting offensichtlich, so etwas wie das Steckenpferd von Weissenböck. Als Shooting-Guru hat er unter anderem Maxi Kleber, Tomas Satoransky, Jakob Pöltl oder als Teilzeit-Individualcoach bei den Brooklyn Nets in den vergangenen Jahren auch Caris LeVert oder Jarrett Allen beim Wurf geholfen. Tuckers Entwicklung habe nichts mit "Hokuspokus" zu tun gehabt, vielmehr steckte eine Menge harter Arbeit dahinter. Aber: "Das Endergebnis war einfach umwerfend."
Bucks-Star Tucker in der BBL: "P.J. hat alles zerlegt"
In Zahlen ausgedrückt: In der D-League kam er auf eine Dreierquote von 28,6 Prozent und drückte nur selten von Downtown ab, einige Jahre später in Bamberg steigerte er seine Ausbeute auf 46,1 Prozent bei knapp zwei Versuchen pro Spiel.
"Stefan hat mir sehr geholfen mit meinem Wurf", sagte Tucker später gegenüber hoops.co.il. "Vor allem mit der Balance meines Wurfs. Er hat jeden Tag mit mir gearbeitet. Er hat gewiss einen Anteil daran, dass ich es zurück in die NBA geschafft habe." Auch wenn Weissenböck diese Lorbeeren teils von sich weist, denn: "Am Ende muss immer der Spieler den Ball reinwerfen."
Das gelang Tucker im Laufe der Saison 2011/12 in der BBL so gut, dass er die Bamberger zum ersten Threepeat der Klubgeschichte führte und schließlich sogar als Finals-MVP ausgezeichnet wurde. "P.J. hat alles zerlegt, dann waren wir Meister und auf einmal war er wieder weg", fasst Weissenböck die letzten Saisonmonate lachend zusammen.
Doch Tucker selbst hatte sich nicht nur spielerisch weiterentwickelt, er nahm aus seinen Europa-Jahren weitere wichtige Lektionen mit: "Ich habe gelernt, ein Profi zu sein. Wenn du da rübergehst und die Sache ernst nimmst, dann kannst du viel über das Spiel lernen."
Mit den Ehren als Deutscher Meister und Deutscher Pokalsieger wagte er den Schritt zurück über den großen Teich, über die Summer League erspielte er sich einen Vertrag bei den Phoenix Suns. Im Wüstenstaat etablierte er sich nach einigen Jahren Verzögerung endlich in der besten Basketballliga der Welt, nach viereinhalb Jahren ging es per Trade zu den Raptors, kurz darauf unterschrieb er bei den Houston Rockets.
P.J. Tuckers Statistiken für Brose Bamberg und in der NBA
Liga | Team | Saisons | G / MIN | Punkte | Rebounds | FG% | 3FG% |
BBL | Brose Bamberg | 1 | 44 / 27,4 | 16,2 | 7,1 | 58,4 | 47,5 |
NBA | Toronto Raptors | 2 | 41 / 16,9 | 4,1 | 3,7 | 42,0 | 40,0 |
NBA | Phoenix Suns | 5 | 377 / 29,0 | 8,0 | 5,9 | 43,3 | 34,7 |
NBA | Houston Rockets | 4 | 268 / 31,8 | 6,5 | 5,8 | 39,7 | 36,5 |
NBA | Milwaukee Bucks | 1 | 20 / 19,9 | 2,6 | 2,8 | 39,1 | 39,4 |
P.J. Tucker: Ein wichtiges Puzzleteil der Bucks
An der Seite von James Harden erlebte er seine erfolgreichsten Jahre, seine neue Gefahr von Downtown, sein bulliger Körper trotz der geringen Körpergröße von 1,96 Meter sowie sein unbändiger Einsatz machten ihn zu einem wichtigen Puzzleteil der Small-Ball-Rockets Ende der vergangenen Dekade. Und brachten ihm auch abseits seiner beeindruckenden Sneaker-Kollektion Ansehen in Liga-Kreisen ein.
"Er hat eine Nische für sich gefunden und diese Nische hat er perfekt bedient", lobt Weissenböck. "Allein dadurch, dass er seinen Wurf verbessert hat, hat er sich selbst die Tür zur NBA wieder geöffnet. Und für die Rockets war er in dieser Rolle extrem wichtig." Gleiches gilt nun auch für die Bucks.
Kurz vor der Trade Deadline sicherte sich Milwaukee die Dienste des heute 36-Jährigen, der mit seiner bissigen Defense in den Playoffs selbst Kevin Durant - so gut es eben ging - auf die Nerven ging. "Er ist lautstark, er ist ein Anführer, er treibt uns an, großartig zu sein", schwärmte Giannis Antetokounmpo zuletzt. "Er ist definitiv ein wichtiger Teil dieses Teams."
Die Bucks wissen neben dem sportlichen Aspekt auch die Charaktereigenschaften Tuckers zu schätzen, die ihn bereits in Bamberg auszeichneten. Seine Toughness hat in der Bierstadt in der Vergangenheit gefehlt. "Er ist ein wenig wild, aber nicht im negativen Sinne", betont Weissenböck. "Er hat seine Ecken und Kanten, aber die Spieler haben es geliebt, mit ihm zu spielen und mit ihm in die Schlacht zu ziehen. Das ist auch zehn Jahre später in Milwaukee zu sehen."
P.J. Tucker in den Finals: Einfluss hält sich (noch) in Grenzen
Sein Wille und seine Energie sind auch nach 15 Jahren im Profigeschäft noch ungebrochen, auch wenn man merkt, dass sein Körper bereits einige Kilometer abgespult und einige Gefechte gegen größere Bigs ausgetragen hat. In den bisherigen Finals hielt sich der Einfluss des Defensiv-Spezialisten ausgerechnet gegen sein Ex-Team noch in Grenzen.
In Spiel 1 schloss Deandre Ayton nach zahlreichen Switches dank seiner Größenvorteile hochprozentig über ihn ab. Gegen Chris Paul oder Devin Booker, den Tucker zu gemeinsamen Suns-Zeiten noch selbst anstachelte, besser zu werden, machte er seine Sache ordentlich, abmelden konnten er und die Bucks das Guard-Duo aber bisher nicht. Auf der anderen Seite des Courts strahlt Tucker abgesehen von ein paar Offensiv-Rebounds und vereinzelten Eckendreiern keine Gefahr aus.
Sein ehemaliger Wegbegleiter in Bamberger Tagen, als Tucker noch als Allrounder glänzte, ist sich dennoch sicher, dass er im Verlauf der Serie ein Faktor sein kann. "In Spiel 3 wird er wieder alles zeigen, jetzt werden die Weichen gestellt", sagt der Coach. "Wenn es 0-3 steht, kann ich mir nicht vorstellen, dass noch etwas passiert."
Tucker und die Bucks werden dies in der Nacht auf Montag (ab 2 Uhr live auf DAZN) natürlich zu verhindern versuchen. Für seinen Traum vom Titel bekommt er womöglich nicht nochmal eine zweite Chance.
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