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Die Reinkarnation der Twin Towers

Haruka GruberSPOX
29. März 201313:21
Twin Towers II: Tim Duncan (r.) hat mit Tiago Splitter wieder einen klassischen Brettspieler neben sichgetty
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Die imposanteste Ära der NBA setzt sich diese Saison fort: San Antonio lehrt die Liga das Fürchten und ist hinter den Miami Heat das zweitbeste Team. Die früher langweiligen Spurs transformierten sich zu einer effizienten Offensiv-Maschinerie - angeführt von Tony Parker und den neuen Twin Towers. Die Taktik-Analyse mit Ex-Bundestrainer Dirk Bauermann, amtierender Coach der polnischen Nationalmannschaft und des litauischen Top-Klubs Lietuvos Rytas, vor dem Spitzenspiel gegen Miami, das SPOX in der Nacht von Sonntag auf Montag um 1 Uhr for FREE im LIVE-STREAM zeigt.

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Teil I: Tony Parker - der meist unterschätzte Superstar

Ein Märchen: Anfangs in den USA belächelt und von Gregg Popovich aussortiert, erst nach dem Rat eines Praktikanten doch noch von den San Antonio Spurs spät in der ersten Runde gedraftet worden und mittlerweile dreifacher NBA-Champion. Ein Märchen allerdings, bei dem der Protagonist auf die Würdigung seiner selbst noch warten muss.

Tony Parker ist zwar fünffacher All-Star und der Finals-MVP von 2007, dennoch dürfte er der meist unterschätzte Superstar der NBA sein. "Tony kommt seit Jahren viel zu schlecht weg. Wenn es gerecht zugehen würde, gehört er absolut in die Diskussion um den MVP-Award", sagt Dirk Bauermann.

Die im Vergleich wenig auffälligen Statistiken von 21,0 Punkten und 7,6 Assists im Schnitt seien verantwortlich für die Ignoranz ihm gegenüber. Bauermann: "Tony übernimmt bei den Spurs sehr viele Funktionen, die nicht in Zahlen zu erfassen sind. Mich beeindruckt vor allem die taktische Reifung. Anfangs kannte er nur eine Richtung: stramm nach vorne. Mittlerweile kontrolliert er das Tempo und beschleunigt oder verlangsamt zum richtigen Zeitpunkt. Genauso hat er das Timing perfektioniert, wann er als Point Guard passorientiert spielt oder wann er aggressiv selbst den Wurf sucht. Sein Gefühl für den Moment ist einzigartig." (siehe Diashow)

Ohne den 30-Jährigen und dessen überlegte Spielweise wäre es nicht denkbar gewesen, dass sich die Spurs von der einst langweiligen Setplay-Mannschaft zu der neben Miami beeindruckendsten Offensiv-Maschinerie wandelte. San Antonio erzielt die viertmeisten Punkte (104,3), trifft am zweitbesten aus dem Feld (48,6 Prozent) und drittbesten von der Dreierlinie (38,3 Prozent) und verteilt die meisten Assists (25,1).

Und Parker ist der Ausbund jener fast schon beängstigenden Effizienz. Sein Punkt- und Assistschnitt mögen gegenüber LeBron James oder Kevin Durant nur mäßig beeindrucken, aussagekräftiger sind dafür seine Wurfquoten: Er trifft für einen Spielmacher sensationell gute 54 Prozent. Auch die 38,3 Prozent von der Dreierlinie sind für einen früher unbeständigen Schützen beeindruckend.

Für Bauermann ein Beweis seines "hervorragenden Entscheidungsverhaltens": "Parker nimmt extrem selten schlechte und überhastete Würfe. Selbst wenn die Shot Clock runtertickt, analysiert er die beste Option. Und was man nicht vergessen darf: Er ist ein geborener Scorer. Mit seinem zur Perfektion trainierten Floater kann er selbst gegen deutlich größere Gegenspieler hochprozentig punkten." (siehe Diashow)

Der Floater ist Parkers Signature Move - und zugleich ein Ausdruck seiner Ungewöhnlichkeit. "Normalerweise ist der Floater eine Waffe der amerikanischen Guards, die den Wurf seit früher Jugend auf dem Freiplatz imitieren. In Europa wird von den Basketball-Vereinen der Floater selten vermittelt, daher beherrschen ihn nur wenige." Mit dem Franzosen Parker als Ausnahme, der nicht nur wegen des Floaters die beiden Basketball-Welten vereint wie kein anderer.

Bauermann: "Was mich an Parker fasziniert: Der Großteil der Basketballer kennt nur eine Art zu spielen, entweder NBA- oder FIBA-Basketball. Er hingegen passt sich beliebig an. Man könnte meinen, dass es ihm in Europa schwerer fällt. Durch das Fehlen der defensiven 3-Sekunden-Regel kann der Gegner die Mitte einfach zumachen. Und das Ziehen wird ohnehin behindert, weil das Handchecking eines Verteidigers anders als in der NBA nicht kategorisch verboten ist. Und durch das kürzere und schmalere Spielfeld ist von vornherein weniger Platz zum Attackieren. Was macht also Parker? Er verwandelt sich einfach zu einem anderen Spieler: Er zieht weniger und agiert mehr von außen - und kontrolliert dennoch die Offensive. Diese Anpassungsfähigkeit ist unglaublich."

In der NBA würden durch die Regel-Unterschiede seine Stärken noch besser zur Geltung kommen: "Zum Beispiel muss er anders als in Europa aus Pick'N'Roll-Situationen nicht sofort den freien Mann suchen, weil der Platz so eng ist. Stattdessen geht er ein paar Schritte vor- und rückwärts und wartet ab, ob er es selbst versuchen oder lieber passen soll. Im Grunde ist jemand, der so gut mit dem Ball umgeht und einen so tiefen Körperschwerpunkt besitzt, in der NBA nicht zu stoppen."

Teil I: Tony Parker - der meist unterschätzte Superstar

Teil II: Das Geheimnis der Spurs-Defense

Teil III: Twin Towers Duncan/Splitter

Teil IV: Der Bench Mob

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Teil II: Das Geheimnis der Spurs-Defense

Selbst für einen Kauz kam das Gezeter überraschend. "Wir wollten den Fokus in den letzten zweieinhalb Wochen auf die Verteidigung legen, aber das hat nichts gebracht. Ich muss wohl eine andere Sprache lernen oder Gott weiß was machen. Ich bin sehr enttäuscht, wie wir Defense spielen. Letztes Jahr hatten wir nur mittelmäßig verteidigt, wobei wir dieses Jahr zu den besten zwei, drei Teams gehörten, bis wir uns dazu entschieden, das einfach wegzuschmeißen. Ich bin wirklich beunruhigt und tief enttäuscht", sagte Spurs-Coach Gregg Popovich Mitte März.

Was die Frage aufwirft: Ist Popovichs Kritik an seinem Team ein Indiz dafür, dass sich die Spurs mittlerweile zu sehr über die Offensive definieren? Nein, sagt Bauermann: "Man sollte die Worte nicht überbewerten. Vor allem in der Verteidigung müssen Trainer daran arbeiten, dass es kein Nachlassen gibt. Spieler neigen immer dazu, in der Defense nicht genug zu investieren. Daher muss man sich hin und wieder öffentlich beschweren, um entgegenzuwirken."

Vielmehr sei San Antonio weiterhin ein Vorbild für jedes andere NBA-Team: "Die Spurs sind als Kollektiv sehr sicher in den Defense Schemes und in der Rotation, wer wem aushilft. Sie besitzen seit Jahren eine kollektive Identität, die jeder Neuzugang annimmt. Jeder weiß genau, was er zu tun hat, wenn ein Gegenspieler die Pick'N'Roll-Situation sucht oder über die Grundlinie zum Korb zieht." (siehe Diashow)

Die kollektive Identität wird vorgelebt durch die Führungsspieler: Duncan gehört ohnehin zu den besten Verteidigern der NBA-Geschichte, doch auch der in der Defense meist unterschätzte Parker geht mit Fleiß voran.

"Tony hat super schnelle Hände und antizipiert gut. Er und Duncan haben die Verteidigungssysteme wie mit der Muttermilch aufgesogen und automatisiert abgespeichert. Diese beiden stehen genauso für den Spurs-Basketball wie Gregg Popovich. Sie geben die Messlatte vor, an der sich der Rest der Mannschaft orientieren muss", sagt Bauermann. (siehe Diashow)

Mit Erfolg: Trotz der schnellen und offensiven Spielausrichtung gehört San Antonio zu den besseren Verteidigungsmannschaften. Bei den gegnerischen Punkten, der gegnerischen Wurfquote, der gegnerischen Dreierquote und den Blocks liegen die Texaner immerhin unter den Top Ten. Bei den Steals und defensiven Rebounds reicht es sogar für die Top Five.

Auch ein Verdienst der beiden eher Namenlosen in der Starting Five: Die Flügelspieler Kawhi Leonard und Danny Green beschränken sich im Angriff vor allem auf das Treffen des offenen Dreiers, in der Verteidigung hingegen sollen sie sich einem Berserker gleich an den Gegenspieler hängen. (siehe Diashow)

Bauermann: "Leonard und Green bringen aufgrund ihrer athletischen Fähigkeiten alles mit, was man als guter Verteidiger benötigt. Und bei den Spurs finden sie die richtige Umgebung, um taktisch richtig geschult zu werden. Sie könnten bald zu den Elite-Verteidigern der NBA gehören, wenn sie es nicht schon sind."

Teil I: Tony Parker - der meist unterschätzte Superstar

Teil II: Das Geheimnis der Spurs-Defense

Teil III: Twin Towers Duncan/Splitter

Teil IV: Der Bench Mob

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Teil III: Reinkarnation der Twin Towers

Seit über einer Dekade wiederholt sich die immer gleiche Debatte, wenn die All-Star-Teams gewählt werden sollen: Ist Tim Duncan ein Center oder ein Power Forward? In den ersten Jahren bildete er als Power Forward an der Seite von Center David Robinson die berüchtigten Twin Towers, nach dessen Rücktritt allerdings verschwammen die Grenzen zusehends. Zumal in dieser Saison eine Kategorisierung weiter erschwert wird - durch die Reinkarnation der Zwillingstürme.

Etwas überraschend kehrte Popovich von der Grundformation "Vier außen, einer innen" aus dem Vorjahr ab und bietet nun bevorzugt zwei klassische Brettspieler auf: Duncan - und Tiago Splitter, zwar seit drei Spielzeiten in San Antonio, aber erst jetzt unabkömmlich. Der Brasilianer versteht sich wie Duncan als ein Big-Man-Hybrid, der sich je nach Spielsituation und Aufstellung gleich wohl fühlt auf der Center- oder Power-Forward-Position. (siehe Diashow)

"Es ist sehr interessant, was Popovich macht. Tiago fiel die Umstellung vom europäischen Basketball auf die NBA schwer. Er macht den Eindruck, als ob er das unbedingte Vertrauen spüren muss. Das hat er jetzt und er entwickelt sich hervorragend", sagt Bauermann.

Splitter sei wie geschaffen als Partner für Duncan, weil der 28-Jährige für den bald 37-jährigen die strapaziösen Aufgaben übernehmen könne: "Splitter macht mehr die Drecksarbeit. Mit seiner Athletik und Mobilität kann er offensiv und defensiv die Pick'N'Roll-Situationen für Duncan übernehmen. Offensiv, weil er nach dem Block-Stellen sich schnell abrollen kann und so Duncan Platz verschafft. Defensiv, weil er den ersten Schritt mitbringt, um nicht bei jedem Switch entblößt zu werden." (siehe Diashow)

Außerdem habe Splitter sich deutlich verbessert: Im körperlichen Bereich ("Er hat eindeutig zugelegt und ist durchsetzungsfähiger") und im taktischen Verständnis: "Ich erinnere mich noch an ein Euroleague-Spiel zwischen Bamberg und Tau Ceramica. Ich konnte Tiago drei Mann an den Hals hetzen und er gab den Ball dennoch nur unwillig weiter. Er spielte damals sehr eindimensional. Heutzutage hat er die Wichtigkeit von Ball Movement verstanden. Das kann besonders bei großen Spielern manchmal etwas dauern", sagt Bauermann. (siehe Diashow)

Zuletzt verbesserte Splitter seinen Assistschnitt von 1,1 (Februar) auf 2,6 (April) - und das bei fast gleicher Spielzeit. Splitters Bedeutung ist trotz moderater Statistiken bei Punkten (10,5) und Rebounds (6,2) immens. Eine Zahl drückt dies aus: Wenn Splitter auf dem Court steht, erzielt San Antonio in dieser Saison 415 Punkte mehr als der Gegner. Duncan liegt hinter ihm (+398), nur Parker (+417) weist eine bessere Bilanz auf.

"Das könnte damit zusammenhängen, dass Splitter besonders effektiv ist, wenn Duncan auf die Bank geht und für ihn ein klassischer Stretch Four wie Matt Bonner reinkommt. Dann spielt Splitter als einziger am Brett und die Spurs formieren sich nach dem 'Vier außen, einer innen'-Muster. Mit seinen Qualitäten beim Pick'N'Roll und den Passfähigkeiten ist Splitter die perfekte Lösung als Center", sagt Bauermann.

Eine perfekte Lösung, die jedoch ihren Preis haben wird. Nach Saisonende könnte Splitter ein Restricted Free Agent werden - und die Spurs müssen das Gehalt von aktuell 4 Millionen Dollar ordentlich erhöhen, wollen sie die eine Hälfte der Twin Towers nicht verlieren.

Teil I: Tony Parker - der meist unterschätzte Superstar

Teil II: Das Geheimnis der Spurs-Defense

Teil III: Twin Towers Duncan/Splitter

Teil IV: Der Bench Mob

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Teil IV: Der Bench Mob

Es war eine Ode an die Gemeinschaft und an Gregg Popovich. Wer verstehen will, wie es dem Spurs-Coach gelungen ist, in der 16. Saison in Folge in die Playoffs einzuziehen und in der Ära 4 NBA-Titel und im Schnitt über 70 Prozent aller Regular-Season-Spiele zu gewinnen, muss nur die Leistungen in der ersten März-Hälfte betrachten. Parker pausierte wegen einer Knöchelverletzung für 8 Spiele, doch selbst ohne ihren wichtigsten Mann gewann San Antonio 6 dieser Partien.

Was noch mehr beeindruckte: Obwohl die Gegner teils hochkarätig waren und eben Parker fehlte, fiel San Antonio in der Spanne bei den Quoten aus dem Feld (50 Prozent) und von der Dreierlinie (37 Prozent) nicht vom Saisonschnitt (48,6 FG und 38,3 3P) ab.

Bauermann: "Das ist absolut erstaunlich, aber es zeigt die Fähigkeit von Gregg Popovich, jedem Ergänzungsspieler die nötige Sicherheit zu geben. Amerikanische Trainer sagen oft: 'You have to be a star in your role.' Heißt: Man muss vor allem ein Star sein in der Rolle, die einem zugedacht ist. Das ist bei den Spurs der Fall."

Hilfreich: Die angedachten Rollen sind tatsächlich so ausdifferenziert, dass sich nicht nur die Starting Five sowie Sixth Man Manu Ginobili über die Wertigkeit bewusst sind, sondern jeder Ergänzungsspieler. Bei den Big Men gibt es die verschiedensten Typen: Matt Bonner trifft den offenen Dreier (43,1 Prozent), DeJuan Blair ist der klassische Brett-Arbeiter und Boris Diaw paart seinen zuverlässigen Distanzwurf (39,7 Prozent) mit Spielintelligenz (2,4 Assists) und neu entdeckter Lust am Verteidigen (3,3 Rebounds). (siehe Diashow)

"Bei den Spurs ist es kein Zufall, wie viele unterschiedliche Typen von der Bank kommen. Die Variabilität ist extrem wichtig, um neue Impulse zu setzen und auf jede Wendung reagieren zu können. Bei anderen NBA-Teams gibt es teilweise vier, fünf Spieler mit den gleichen Stärken und Schwächen", sagt Bauermann.

Augenscheinlich: Während die Key-Reserves auf den großen Positionen vermeintlich abgehalfterte NBA-Veteranen wie eben Bonner und Diaw sind, kommen auf den kleinen Positionen Backups ins Spiel, denen eine Karriere in der besten Liga der Welt nicht zugetraut wurde: Nando De Colo wurde 2009 erst als 53. gezogen und in Europa und kurz der D-League geparkt. (siehe Diashow) Cory Joseph, später Erstrunden-Pick von 2011, musste ebenfalls in die D-League. Patty Mills nahm wie De Colo am Draft 2009 teil, hörte seinen Namen ebenfalls spät (als 55.) und musste sich in Australien und China andienen. Und Gary Neal wartete 2007 beim Draft gar vergeblich auf Beachtung und wurde von Popovich in Europa entdeckt.

"Dass zeigt, wie gut sich Popovich im internationalen Basketball auskennt. Ich hatte in der Vergangenheit vor allem mit De Colo und Mills zu tun. Sie bekommen derzeit die Aufgaben, die ihnen angemessen ist. De Colo hat mit Frankreich gegen unsere Nationalmannschaft nie Bäume ausgerissen, jedoch ist er ein hoch veranlagter Combo Guard. Nach einer weiteren Eingewöhnungszeit wird man viel von ihm hören, er kann den gleichen Weg wie Splitter gehen", sagt Bauermann.

"Mills ist ebenfalls klasse. Was mir gefällt: In jeder Auszeit steht er als erster auf und klatscht jeden ab. Solche Bankspieler können eine Mannschaft positiv beeinflußen. Natürlich ist die NBA ein anderes Kaliber, aber auch ihm traue ich den Durchbruch zu. Im europäischen Basketball würde er den Laden aufmischen, so talentiert ist er."

Teil I: Tony Parker - der meist unterschätzte Superstar

Teil II: Das Geheimnis der Spurs-Defense

Teil III: Twin Towers Duncan/Splitter

Teil IV: Der Bench Mob

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