NBA-Kolumne Above the Break: Das größte Problem der Celtics ist nicht Stephen Curry

Ole Frerks
14. Juni 202211:46
Stephen Curry (r.) hatte in Spiel 5 erstmals in den Finals eine Off-Night.getty
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Die Boston Celtics stehen in den Finals mit dem Rücken zur Wand - und das, obwohl ihr Defensivkonzept unterm Strich sogar aufgeht. Die Probleme liegen auf der anderen Seite. Lernen könnten die Celtics von ihrem Gegner ...

Die Celtics haben die Finals noch nicht verloren. Im Lauf dieser Postseason fand Boston bisher immer eine Antwort, selbst nach empfindlichen Nackenschlägen. Auf das bittere Spiel 5 gegen die Bucks folgten 46 Jayson-Tatum-Punkte in Spiel 6 und ein Blowout in Spiel 7, gegen Miami lag man zweimal in Rückstand und verlor auch Spiel 6, am Ende reichte es trotzdem, diesmal wurde Spiel 7 in fremder Halle gewonnen.

Abschreiben sollte man dieses Team also nicht, bis es wirklich besiegt ist. Und doch: Nach den Spielen 4 und 5 fühlt es sich ein bisschen so an, als hätten sie diesmal wirklich ihre Chance vertan. Oder ihre Chancen, von denen man auf dieser Bühne, gegen diesen Gegner eben nicht unendlich viele bekommt.

In Spiel 5 bekamen die Celtics die Off-Night von Stephen Curry, auf die sie gewartet, vermutlich sogar spekuliert haben. Es war trotzdem nicht genug, sie schlugen kein Kapital daraus, wie schon in Spiel 4 nicht, in dem fast alle Warriors AUßER Curry kalt waren. Weil in diesem Fall Andrew Wiggins aufdrehte, klar. Aber bei weitem nicht nur deshalb. Mehr als alles andere stolperte Boston - wieder einmal - über die eigenen Füße.

Verheerende Crunchtime-Offense, die vielen Ballverluste, die vergebenen Freiwürfe, das "playing like assholes", wie Head Coach Ime Udoka es nennt - all das holte die Celtics zum wiederholten Male ein. Vermeidbare Fehler, vereinfacht gesagt, werden mehr und mehr zur Achillesferse dieses Teams.

Die Häufung davon zum jetzigen Zeitpunkt ist allerdings kein Zufall.

NBA Finals: Den Celtics geht die Puste aus

Dieser Wurf ist beispielhaft für das letzte Viertel von Spiel 5: Jayson Tatum ist gegen Andrew Wiggins isoliert, der Rest des Teams schaut im Wesentlichen zu. Auf der einen Seite kann Curry aushelfen, auf der anderen Seite wäre es Gary Payton II, unter dem Korb wartet Kevon Looney, um bei einem möglichen Drive auszuhelfen.

Der Drive ist aber nicht das Mittel der Wahl, stattdessen gibt es den Fadeaway aus der Mitteldistanz, einen der schwierigsten und ineffizientesten Würfe im Basketball. Tatum, der in Spiel 5 sein bestes Scoring-Spiel dieser Serie zeigte, steht bei Zweiern außerhalb der Zone übrigens bei 4/20 in den Finals. Auch, weil viele dieser Würfe genau so aussahen.

Der Lift ist nicht mehr da ...nba.com/stats

Tatum setzt eine erstaunliche Anzahl seiner Sprungwürfe (Dreier ausgenommen) entweder vorne an den Ring oder produziert gar Airballs, und er ist nicht der einzige Spieler seines Teams, bei dem das der Fall ist. Dafür gibt es in der Regel eine ziemlich leichte Erklärung: Die Beine sind "weg", will sagen, die Celtics sind nicht mehr frisch. Am Ende von Spielen erklärt diese simple Tatsache zwar nicht alles, aber doch einen Teil der Probleme Bostons.

Die Celtics wirken platt; so geht es traditionell vielen Teams, die gegen das Movement-System der Warriors bestehen müssen. Es ist zwar noch nicht so weit wie bei Matthew Dellavedova, der 2015 nach einem Finals-Spiel mit Krämpfen ins Krankenhaus musste, nachdem er 39 Minuten Curry um Blöcke gejagt hatte, aber noch ist die Serie ja auch nicht vorbei ...

Bei den Celtics kommen zudem erschwerende Umstände hinzu. Gewissermaßen werden sie von den eigenen Sünden aus der Postseason eingeholt.

Boston Celtics: Zweimal bis zum Limit

Die vergebenen Chancen, sie rächen sich. Gegen Brooklyn machte Boston bei der ersten Gelegenheit alles klar, gegen Milwaukee und Miami gingen sie hingegen über die volle Distanz, auch wenn das objektiv betrachtet vermutlich nicht nötig gewesen wäre. In Spiel 5 gegen die Bucks verzockte Boston einen 14-Punkte-Vorsprung im vierten Viertel, in Spiel 6 gegen die Heat erzielten die Celtics über die letzten dreieinhalb Minuten nur noch 4 Punkte.

Boston gewann diese Serien jeweils, auch weil sie den längeren Atem hatten. Bei den Bucks war Giannis Antetokounmpo in Spiel 7 platt, nachdem er sein Team zuvor offensiv über weite Strecken alleine getragen hatte. Bei den Heat fehlten Jimmy Butler in Spiel 7 nur Zentimeter, als er per Dreier fast den bis dahin schlimmsten Celtics-Kollaps besiegelt hätte.

Es waren zwei Serien, in denen Boston im Prinzip mit dem Konzept erfolgreich war, den gegnerischen Superstar auszupowern, um dann am Ende noch zu stehen. Es hätte sich beinahe gerächt, aber es ging auf, weil man die bessere Defense und etwas mehr Shotmaking auf seiner Seite hatte. Nur knapp, aber immerhin - das Konzept funktionierte.

NBA Finals: Team oder Star? Die Celtics wählen Tür 2

Der Ansatz ist auch gegen die Warriors ähnlich, auch wenn es natürlich komplett anders aussieht als die Defense gegen Giannis. Der Superstar soll sehr viel machen, auf beiden Seiten. Curry wird als Verteidiger attackiert, das macht ohnehin fast jedes Team. Aber auch offensiv muss er eine große Last tragen. Oder darf, je nach Perspektive.

Curry wird von vielen Teams konsequent gedoppelt, weil der Ball seine Hände verlassen soll. Golden State hat in der Folge traditionell konstant unzählige Überzahlsituationen und in Draymond Green einen der besten Spieler, wenn es darum geht, diese Situationen gewinnbringend zu lösen. Es ist eine Frage, welches Gift man auswählt - gerne gibt man den Warriors weder 4-gegen-3 noch "offene" Curry-Würfe.

Die Celtics haben sich mehr oder weniger für Tür 2 entschieden. Deswegen ist ihre Coverage ungewöhnlich, deswegen droppen ihre Bigs, auch wenn es immer noch lustig ist, von einer Drop zu sprechen, wenn ein Big Man beim "Absinken" trotzdem noch vor der Dreierlinie steht.

Drop Coverage ist auch nicht mehr das, was es mal war.nba.com

Sie vertrauen in der Regel darauf, dass sich ihre primären Curry-Verteidiger Derrick White und Marcus Smart rechtzeitig um die Blocks schlängeln können, damit man nicht aushelfen muss. Die Drop wurde zwar immer höher, von Zeit zu Zeit sah man auch durchaus schon Switches oder Double-Teams, aber das ist die Basis, über die gesamte Serie schon.

NBA Finals - Warriors vs. Celtics: Die Serie im Überblick (3-2)

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärtsErgebnis
13. Juni3 UhrGolden State WarriorsBoston Celtics108:120
26. Juni2 UhrGolden State WarriorsBoston Celtics107:88
39. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State Warriors116:100
411. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State Warriors97:107
514. Juni3 UhrGolden State WarriorsBoston Celtics104:94
617. Juni3 UhrBoston CelticsGolden State Warriors-
7*20. Juni2 UhrGolden State WarriorsBoston Celtics-

*falls nötig

Die Celtics vertrauen darauf, dass ein einziger Spieler ihre Defense nicht über eine Serie schlagen kann. Auf Dauer funktioniert es nicht, dass ein Spieler alles machen muss und damit erfolgreich ist - es ist kein Zufall, dass Michael Jordan laut basketball-reference der einzige Spieler ist, der mit einer Usage-Rate von mindestens 36 Prozent über eine Postseason Champion wurde. Curry steht derzeit bei über 34 Prozent in den Finals, mit Abstand Höchstwert in seiner Karriere.

Dafür nimmt man eine Partie wie Spiel 4 in Kauf, in der Curry für 43 Punkte explodierte - es war bereits das sechste 40+-Spiel eines gegnerischen Spielers in diesen Playoffs gegen Boston (dreimal Giannis, zweimal Butler, keinmal Kyrie/KD)! Weil man damit rechnet, dass es dann auch mal ein Spiel wie das fünfte geben wird, in dem Curry nichts trifft.

Eigentlich ist dieses Konzept nachvollziehbar, vermutlich sogar richtig. Dumm ist nur, wenn man diese Chance dann nicht nutzt und weder gegen "nur Curry" noch gegen "den Rest" gewinnt. Das Problem dabei ist aber nicht die Defense.

NBA Finals: Bostons Offense steckt fest

Golden State hatte über die vergangenen drei Spiele laut Cleaning the Glass Offensiv-Ratings von 112 (2x) und 106 - jeweils klar unter ihrem Playoff-Schnitt. Sie wurden nicht kaltgestellt, das wäre übertrieben, aber Boston verteidigte sie insgesamt gut genug, um Spiele zu gewinnen, vor allem im Halbfeld.

"Gut genug" gilt jedoch nicht für die Offense. Bei beiden Siegen war die Offense richtig gut, in den drei Niederlagen haben die Celtics ein jämmerliches Offensiv-Rating von 93,9. Bei allem Fokus auf die bärenstarke Boston-Defense ist es in dieser Serie die Defense der Warriors, die der Gegenseite den Hahn abgedreht hat.

Die Warriors kennen die Tendenzen der Celtics, insbesondere von Tatum und Jaylen Brown. Beiden wird fast nie die rechte Seite angeboten, beide werden unter Druck gesetzt, weil ihr Ballhandling nicht wirklich stark ist. Die Zone wird durch zeitige Hilfe zumeist abgeriegelt. Individuell wird sehr gut verteidigt, insbesondere in Person von Wiggins, aber auch Payton II und bisweilen Klay Thompson, die Hilfe passt auch.

Die Warriors sind sehr gut darin, sich defensiv zusammenzuziehen und dann wieder weiter zu rotieren. Es hilft ihnen dabei, dass Derrick White sein Selbstvertrauen anscheinend wieder verloren hat und dass auch Horford oder Grant Williams gerade kaum Gefahr ausstrahlen - so kann der Druck auf insbesondere Tatum umso größer werden und gegen seine Drives noch besser ausgeholfen werden.

Gutes Spacing sieht anders aus ...nba.com/stats

NBA Finals: Die Celtics leisten sich zu viele Fehler

Bei allem Lob für die Warriors-Defense gibt es jedoch auch in jedem Spiel Momente, in denen die Celtics es ihnen viel zu leicht machen, beziehungsweise in denen sie den Ball einfach herschenken. Arglose Pässe, kopflose Drives, Offensivfouls, alles ist dabei - 15 Turnover sind es pro Spiel in dieser Serie.

Es gibt ambitionierte Pässe, und es gibt dämliche ...nba.com/stats

Die Celtics leisten sich schlichtweg Fehler, die einem auf der Finals-Bühne unerfahrenen, aber auch müden Team unterlaufen können, das seit Monaten mit einer 7er-Rotation spielt, (selbst verschuldet) kaum Pausen hatte und nun gegen ein Team ran muss, das mehr in Bewegung ist und gefährlichere Schützen hat als jedes andere NBA-Team.

Das ist ja ein unterschätztes Dilemma mit diesen Warriors: Selbst wenn über 20 Sekunden jede Rotation sitzt, jeder Cut abgefangen wurde, ein Bruchteil einer Sekunde Unaufmerksamkeit kann einen offenen Relocation-Dreier bedeuten. Umso mehr schmerzt es, wenn man gute Defensiv-Possessions verschwendet, indem man Offensiv-Rebounds erlaubt oder den Ball gleich wieder herschenkt.

NBA Finals: Boston bekommt eine Lektion erteilt

Die Warriors bestrafen diese Fehler. Und sie nutzen generell ihre Vorteile: Sie haben mehr Erfahrung, den besten Einzelspieler, das Selbstvertrauen eines mehrfachen Champions, frischere Beine, weil sie einen schnelleren Run bis zu den Finals hatten und mit Ausnahme eines miesen Auftritts in Memphis fast immer zeitig ihr Geschäft erledigt haben.

Sie spielen überwiegend auch konsequenter. Wenn Robert Williams nicht spielt, wird der Ring attackiert. Wenn Dreier und Ring zu sind, werden Abschlüsse in der Mitteldistanz gesucht. Wenn Curry doch mal gedoppelt wird, weiß man, was zu tun ist.

nba.com/stats

Die Warriors kompensieren es kurz gesagt auf allen erdenklichen Wegen, dass ihre Top 7 unterm Strich nicht so viel Länge, Athletik und vielleicht auch Talent mitbringt wie die der Celtics. Dass Jordan Poole zudem all seine Buzzerbeater trifft, hilft natürlich auch. Noch nie ist ein Team ohne etwas Glück Champion geworden.

Und das soll mitnichten negativ klingen - all das ist Teil eines solchen Runs. Die Celtics sind noch nicht geschlagen, aber wenn es so kommen sollte, dann ist das die Lektion: Sie sind gut genug, um einen Titel zu holen. Das alleine bedeutet aber nicht, dass man den Titel auch holen wird. Man muss die Geschichte selbst zu Ende bringen, die Chancen nutzen, die sich bieten. Wer weiß schon, wie viele es davon geben wird?