Die Philadelphia 76ers haben eine enttäuschende Saison mit einem nahezu chancenlosen Sweep gegen die Boston Celtics "gekrönt". Der Coach wurde bereits gefeuert, nun stehen auch im Front Office potenziell Personalwechsel an - die vielleicht wichtigste Frage jedoch: Was passiert mit Joel Embiid und Ben Simmons?
SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen zum Aus der Sixers.
Was ist passiert und wie ist die Saison der Sixers zu bewerten?
Die Spielzeit kann und darf nur als einziges Debakel eingeordnet werden, darüber sollte auch der verletzungsbedingte Ausfall von Ben Simmons in den Playoffs nicht hinwegtäuschen. Schon vor dem Restart in Orlando erreichten die Sixers nicht annähernd ihr Potenzial.
Nach der Verlängerung von Tobias Harris sowie der Addition von Al Horford (und Josh Richardson) galten die Sixers noch vor der Spielzeit als größter Herausforderer der Milwaukee Bucks im Osten - davon war während der Saison nichts zu sehen.
Auf überzeugende Siege wie am Christmas Day gegen die Bucks (121:109) folgten teils unerklärliche Niederlagen wie zum Beispiel kurz nach der All-Star-Pause in Cleveland (94:108). Als eigentliches Top-Team verloren die Sixers gleich zweimal vier Partien am Stück, dazu kam nun eben der Sweep gegen die Celtics, die in Gordon Hayward nach Spiel 1 ebenfalls einen Schlüsselspieler verloren.
Die Sixers versäumten es gegen Boston, ihren massiven Matchup-Vorteil namens Joel Embiid perfekt in Szene zu setzen. Der Kameruner legte zwar tolle Zahlen auf (im Schnitt 30 Punkte), gerade zum Ende von Spielen hin lief das Spiel aber regelmäßig an ihm vorbei. Die Sixers vermissten schmerzlich einen Spieler, der regelmäßig vernünftige Entry-Pässe spielen konnte. Embiid wiederum verließ sich zu oft auch auf den Jumper, statt die kleineren Celtics einfach zu überpowern.
Defensiv blieb Embiid zudem unter seinen Möglichkeiten und wirkte wieder einmal nicht vollkommen fit - dennoch sollte man die Probleme nicht primär an ihm festmachen, denn gerade offensiv fehlte ihm in Simmons' Abwesenheit fast komplett die Unterstützung.
Harris (38,3 Prozent aus dem Feld) spielte ebenso wie Horford (7 Punkte!) oder Alec Burks (32,7 Prozent) oder Josh Richardson (35,7 Prozent) eine fürchterliche Serie. Generell scheiterten die Sixers als Team, das komplett das Konzept vermissen ließ, an bestens eingestellten und als Team auftretenden Celtics.
Die Sixers-Topscorer gegen Boston
Spieler | Punkte | FG in % | 3FG in % | FT |
Joel Embiid | 30 | 45,9 | 25 | 48/59 |
Josh Richardson | 16,8 | 35,7 | 35,7 | 17/18 |
Tobias Harris | 15,8 | 38,3 | 13,3 | 15/19 |
Shake Milton | 14,5 | 47,7 | 40 | 6/7 |
Alec Burks | 10,5 | 32,7 | 18,8 | 7/9 |
Al Horford | 7 | 48 | 0 | 4/7 |
Muss Coach Brett Brown nun gehen?
Hier gibt es mittlerweile eine klare Antwort. Brown erlebte den kompletten Process mit und überlebte alle Höhen und Tiefen dieser teils chaotischen Franchise, doch nach dieser Saison ist seine Zeit in der Stadt der brüderlichen Liebe abgelaufen. Das machte die Franchise direkt am Montag offiziell.
Schon nach Spiel 3 musste Brown zahlreiche Fragen der Journalisten zu seiner Zukunft beantworten und wirkte dabei wenig optimistisch: "Ich verstehe die Umstände, aber im Moment denke ich nur daran, wie ich das nächste Spiel gewinnen und die Serie am Leben halten kann."
Die komplette Saison über machte es nicht den Eindruck, dass der 59-Jährige seine Kabine noch erreicht. Immer wieder sprachen Spieler von internen Unstimmigkeiten, gelöst sind diese wohl bis heute nicht. Ein Beispiel ist Simmons, von welchem Brown forderte, dass dieser zumindest einen (Ecken-)Dreier pro Spiel nehmen solle. In 57 Saisoneinsätzen versuchte der Australier ganze sieben, jeder kann sich nun selbst einen Reim daraus machen.
Auch der andere Star, Embiid, stichelte hin und wieder in der Öffentlichkeit gegen den Coach, zuletzt nach der peinlichen Niederlage in Spiel 2. Hier hatte Embiid die Verteidigungsstrategie der Sixers gegen Jayson Tatum in Frage gestellt, weil die Sixers angblich forderten, dass er in der Zone verweilen solle. "Ich habe umgesetzt, was von mir verlangt wurde, aber das müssen wir ändern."
Philadelphia 76ers: Brett Brown ist nicht mehr tragbar
Tatsächlich veränderten die Sixers (mit gewissem Erfolg) in der Folge ihre defensive Strategie, die Probleme im Angriff konnten aber nicht ausgemerzt werden. Hier ist Brown nur bedingt ein Vorwurf zu machen, schließlich konnte er nur mit dem Spielermaterial arbeiten, welches ihm zur Verfügung gestellt wurde.
Allerdings: Brown hatte sehr wohl im Sommer ein gewisses Mitspracherecht und soll laut mehreren Medienberichten darauf gedrängt haben, dass der Vertrag mit dem werdenden Free Agent Jimmy Butler nicht verlängert wird. Der jetzige Heat-Star und Brown sollen sich nicht besonders grün gewesen sein.
Das ist erstaunlich, schließlich behielt Brown im vergangenen Jahr wohl nur seinen Job, weil die Sixers so knapp und dramatisch an den Toronto Raptors in der zweiten Playoff-Runde gescheitert waren. Nun beendete der Sweep der Celtics das Brown-Kapitel bei den Sixers.
Wer ist für die Misere der Philadelphia 76ers verantwortlich?
Neben Brown dürfte auch die Personalie Elton Brand in der Offseason diskutiert werden. Der noch recht unerfahrene General Manager zieht seit September 2018 bei den Sixers im Hintergrund die Fäden und sorgte mit den Trades für Butler und Harris für Aufsehen. Der Deal für Butler war zu der Zeit ein Coup und auch der Harris-Trade kam aus dem Nichts, das Vorgehen in der Folge sorgte jedoch für viele Fragezeichen.
Im Sommer entschieden sich Brand und die Sixers für Harris (5 Jahre, 180 Millionen) und gegen Butler, was schon damals fragwürdig war, nun aber als klarer Fehler angesehen werden muss. Gleichzeitig wog der Abgang von J.J. Redick schwer, wie die komplette Saison mit all den fehlenden Schützen zeigte.
Brand investierte im Sommer 2019 das reichlich vorhandene Geld in Simmons, Harris und Al Horford (4 Jahre, 100 Millionen) und ging damit ein enormes Risiko ein. Die Bücher für die kommenden Jahre sind voll, über Jahre könnten die Sixers jede Menge Luxussteuer bezahlen. Die Verlängerung von Simmons war logisch und nachvollziehbar, der Fast-Maximal-Vertrag für Harris sowie der Horford-Deal waren viel zu hoch.
Harris fand seit seiner Ankunft im Februar 2019 nie seine Rolle im Team, während an Horford mit inzwischen 34 Jahren der Zahn der Zeit nagt. Die Idee hinter dem Horford-Deal war, einen weiteren Verteidiger für Giannis Antetokounmpo in einem Matchup mit den Milwaukee Bucks zu haben, jedoch kam es in den Playoffs nie zu diesem Duell.
Bei aller Obsession mit den Bucks vergaß das Front Office, dass man auch selbst Punkte erzielen muss. Es fehlte ein klassischer Spielmacher, ein Ballhandler, der auch mal selbst einen eigenen Abschluss am Perimeter kreieren konnte.
Das ist in der heutigen NBA essentiell und die Sixers waren das einzige Team, welches einen solchen Spieler nicht in den eigenen Reihen hat. Josh Richardson und später Shake Milton oder Alec Burks erfüllten dieses Jobprofil nicht ausreichend.
Allerdings tragen auch die Spieler eine gewisse Verantwortung. Embiid kündigte vor der Saison an, MVP und Verteidiger des Jahres werden zu wollen, dafür waren seine Leistungen viel zu inkonstant. Simmons entwickelte sich zu einem All-Defense-Spieler, offensiv verlief seine Entwicklung jedoch noch zu schleppend und so verstummten auch in diesem Jahr nicht die Fragen, ob die beiden Superstars überhaupt koexistieren können.
Müssen Ben Simmons und /oder Joel Embiid getradet werden?
Zunächst die Parameter: Embiid hat sein zweites Vertragsjahr seines Deals über 148 Millionen Dollar beendet und wird 2023 Free Agent, Simmons' Arbeitspapier läuft sogar noch zwei Jahre länger. Der Australier erhielt im vergangenen Jahr eine vorzeitige Vertragsverlängerung über fünf Jahre. Die genaue Summe ist aufgrund der Corona-Pandemie und der unklaren Salary-Cap-Situation noch unklar, es werden aber etwas weniger als die vorher kalkulierten 170 Millionen Dollar sein.
Über die Jahre hat sich die These entwickelt, dass die Kombination der beiden Stars auf dem Feld nicht funktioniert. Simmons hat seine Stärken mit dem Ball in der Hand, das diktiert allein schon seine Wurfschwäche. Zudem kann Simmons durch seine Athletik vor allem in der Transition effizient sein.
Embiid ist hingegen eine Waffe im Halbfeld, wenn er von genügend Schützen umgeben ist. Wenn er zusammen mit Simmons auf dem Feld steht, besteht immer die Gefahr, dass der Center im Post gedoppelt wird und Philadelphia dies nicht bestrafen kann. Es kommt nicht von ungefähr, dass die beiden All-Stars nur 0,6 mehr Punkte als der Gegner pro 100 Ballbesitze auflegen, wenn sie zusammen auf dem Feld stehen.
Auch wenn die Sixers laut Adrian Wojnarowski (ESPN) mit dem Superstar-Duo in die neue Saison gehen wollen, muss die Frage erlaubt sein, wer in der Zukunft die bessere Option ist. Für Embiid spricht, dass er in Bestform schon jetzt einer der fünf bis zehn besten Spieler ist und noch immer die Identifikationsfigur der Franchise ist, woran sein Spitzname "The Process" stets erinnert. Auf der anderen Seite bestehen beim Center immer wieder Sorgen um seine Gesundheit, seine Motivation und auch die Frage, ob in der heutigen NBA ein Team mit einem dominanten Post-Center Titel gewinnen kann.
Die Idee mit Simmons als Leader könnte ein schneller Spielstil mit vielen Schützen sein, wobei der Australier im Stile von Trae Young in Atlanta oder Luka Doncic in Dallas alle Fäden in der Hand haben würde. Aber auch hinter dem Top-Pick von 2016 bleiben die Fragezeichen, wie sehr ihn der fehlende Wurf über seine Karriere beeinträchtigen wird. An seiner Fitness und seinem Einsatz in jedem Spiel gibt es hingegen weniger Fragezeichen, auch wenn er die Playoffs nun verpasste.
So oder so: Die Entscheidung wird nicht einfach werden, wer auch immer sie bald treffen wird. Womöglich bleibt das Duo auch in der kommenden Saison noch einmal zusammen, selbst wenn es an Angeboten nicht mangeln wird. Bevor Philly aber wirklich die Reset-Taste drückt, werden sie andere Optionen prüfen.
Was können die Sixers ansonsten machen?
Vier Spieler gehen nun in die Free Agency: Raul Neto, Alec Burks, Glenn Robinson III sowie Kyle O'Quinn. Der einzige Akteur, der in der Serie gegen Boston eine größere Rolle spielte, war Burks. Der Guard könnte als Bankspieler auch in der kommenden Spielzeit gehalten werden, eine Priorität sollte er aber nicht sein.
Finanziellen Spielraum haben die Sixers ohnehin nicht. Das Quartett aus Embiid, Simmons, Horford und Harris kassiert in der kommenden Saison rund 120 Millionen Dollar, insgesamt sind für elf Spieler bereits 147,6 Millionen verplant, nur das Team der Golden State Warriors ist Stand jetzt noch eine Ecke teurer (148,2 Mio.). Die Luxussteuer-Grenze wurde vor (!) der Corona-Pandemie auf 139 Millionen geschätzt.
Ergo werden die Sixers maximal Spieler zum Veteranen-Minimum und mit der Taxpayer-Midlevel-Exception in der Free Agency operieren können. Tiefgreifende Veränderungen können also nur via Trade herbeigeführt werden. Die offensichtlichen Kandidaten dafür heißen Harris und Horford, doch durch ihre dicken und vor allem langfristigen Verträge werden sie schwer zu traden sein.
Brand wird in dieser Hinsicht aber fast alles ausprobieren, bevor einer der jungen Stars geht. Es bedarf eigentlich nicht so viel Phantasie, um sich ein funktionierendes Team mit sowohl Embiid als auch Simmons vorzustellen: Man bräuchte einen weiteren Ballhandler und drei gute Shooter, um sie zu ergänzen. Das große Problem ist eben, dass Horford und Harris sich sowohl positionell als auch vom Skillset her teilweise arg mit den beiden überschneiden.
Nun kann es durchaus sein, dass die fetten Verträge bis zu einem solchen Team verbaut haben. Sowohl Harris als auch Horford dürften andere Teams nur dann aufnehmen, wenn Philly ein oder zwei Assets mit draufpackt, das ist üblicherweise aber nicht der Modus Operandi eines Teams, das Titel gewinnen möchte.
Echten Gegenwert dürften nur entweder Embiid oder eben Simmons bringen. Der Center sagte nach dem vierten Spiel bereits vielsagend, dass die Zukunft nicht in seiner Hand liege, da er ja nicht der GM der Sixers sei. In der Vergangenheit lagen solche Aussagen und Trade-Forderungen bestimmter Superstars oft nicht so weit auseinander, für Unzufriedenheit gibt es jeden Grund.
Vielleicht müssen die Sixers wirklich die Reißleine ziehen, um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien. Das kurz geöffnete Titelfenster wäre in dem Fall sofort wieder zugefallen. Und trotz aller Verletzungen und widriger Umstände hätte sich die Franchise dies in erster Linie selbst zuzuschreiben.
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