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Taktikecke


Gründer: Taktiker | Mitglieder: 190 | Beiträge: 21
04.01.2012 um 01:50 Uhr
Geschrieben von vanGaalsNase
Angriffsstile im Vergleich II
Weil die Spieler sich beim Lauf- und Vertikalspiel sofort nach vorne orientieren und ständig in Bewegung sind, nehmen sie kaum eine stabile Körperhaltung mittels offener Stellung ein. Somit sind die technischen Anforderungen, den Ball zu Passen und anzunehmen, wesentlich höher. Denn sich bewegende Ziele zu treffen, ist schließlich schwerer als starre Objekte anzuvisieren. Ferner müssen sich die Passempfänger häufig erst in Richtung des gegnerischen Tores aufdrehen, weil sie keine offene Stellung zum Spiel haben. Das Aufdrehen stellt ebenfalls höhere Anforderungen an die technisch-taktischen Fähigkeiten und ist so wiederum mit mehr Risiko verbunden.

Die Vorteile dieser Spielidee sind der ständige Druck auf den Gegner und das aggressive Auftreten, was sogar den Kontrahenten einschüchtern kann. So kann es dazu kommen, dass der Gegner förmlich überrannt wird. Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp ist ein Beispiel für das konsequente Lauf- und Vertikalspiel. Der BVB erzielte 2010/11 viele seiner Tore in den ersten 15min des Spiels, weil man sofort hohes Tempo ging und den schnellen Abschluss suchte. Der Torerfolg wird auf diese Weise regelrecht erzwungen. Gerne auch mit langen Bällen.
"Nach vorne!" …und zwar aggressiv

Da sich beim Lauf- und Vertikalspiel mehr bewegt und viel mehr variiert wird als beim Positionsspiel, entstehen besonders konditionelle Probleme. Die Anzahl an intensiven Läufen mit und ohne Ball ist ungewöhnlich hoch, was nicht nur schnelle Spieler erfordert, sondern auch ausdauernde. Außerdem stellt sich bei der hohen Anzahl an zurückgelegter Laufdistanz die Frage, ob hier nicht auch unnütz gelaufen wird. Taktisch kluge Spieler zeichnen sich dadurch aus, dass sie erkennen, wann es sinnvoll ist, sich zu bewegen. Wird jedoch ständig gelaufen, wirkt das oft unüberlegt und ungestüm.

Liegt der Fokus auf einem solchen Lauf- und Vertikalspiel, kann es zu Problemen kommen, wenn der Gegner permanent tief in der eigenen Hälfte verteidigt. Beim schnellen Spiel in die Spitze wird regelmäßig versucht, die freien Räume aggressiv auszunutzen. Gibt es allerdings diese Räume nicht, weil der Gegner sehr kompakt steht, läuft man mittels des Lauf- und Vertikalspiel förmlich gegen eine Wand an. Das musste Dortmund gerade im letzten CL-Spiel gegen Arsenal London erfahren, als man stets versuchte, schnell nach vorne zu kommen und dadurch viele Fehlpässe verursachte. Die Gunners waren auf diese Strategie eingestellt und kamen kaum in Bedrängnis, weil der BVB es versäumte, sein Spiel zu variieren.

In der Bundesliga agiert auch Hannover 96 unter Trainer Mirko Slomka mit dieser Spielweise, wobei man den Fokus auf Konter legt. Dabei erreichte man zwar 2010/11 in den Passstatistiken nur die hinteren Plätze, belegte in der Tabelle aber Rang 4. Borussia Dortmund agiert ebenfalls vornehmlich mit schnellen Pässen in die Spitze, weist dabei aber eine höhere Passqualität als Hannover auf und wurde 2010/11 deutscher Meister. Außerdem unterscheiden sich Hannover und die Borussia in der Art des Pressings. Während Hannover eher im Abwehrpressing agiert, nutzt Dortmund das Angriffspressing. Somit ähneln sich die beiden Teams zumindest im Angriffspiel.

Schlussbetrachtung
In der CL-Saison 2010/11 wurden im Durchschnitt 502 Pässe pro Mannschaft je Partie gespielt und ca. 112km gelaufen. Zur Bundesligahalbserie von 2011/12 belegten die Bayern und Dortmund die Plätze 1 und 2. Bayern spielte dabei pro Partie 588 Pässe (davon 87,6% erfolgreich) bei 62,2% Ballbesitz. Die zurückgelegte Laufdistanz betrug durchschnittlich 110,5km. Der BVB spielte 438 Pässe (davon 80,8% erfolgreich) bei 53,4% Ballbesitz. Dabei lief man 119,5km. Die grundsätzliche Spielausrichtung beider Teams lässt sich anhand dieser Werte sehr gut ablesen: Weil die Bayern eine ausgiebige Ballzirkulation im Positionsspiel betreiben, spielen sie mehr Pässe, die aufgrund der geringeren Bewegung sicherer sind und somit in einer hohen Erfolgsquote resultieren. Dortmund hingegen spielt schneller nach vorn, bewegt sich mehr und weist somit höhere Laufwerte, sowie eine geringere Passquote hinsichtlich Qualität und Quantität auf.

Eine ausschließliche Bewertung der reinen Passstatistiken beider Mannschaften könnte den Schluss zulassen, dass Bayern die besseren Passspieler hat. Allerdings muss man aufgrund der unterschiedlichen Angriffsstile dieser Teams eher davon ausgehen, dass München lediglich dasjenige Passspiel umsetzt, welches die Statistiken positiv beeinflusst.

Dass beide an der Spitze der Liga stehen, zeigt, dass ihre Systeme durchaus erfolgversprechend sind. Welches Offensivkonzept aber nun das effektivere und erfolgreichere ist, lässt sich bislang nicht feststellen. Nimmt man den FC Barcelona als Vorbild, der das Positionsspiel in soweit vorantrieb, dass eine enorme Variabilität entstand, woraus das Tiqui-taca hervorging, kommt man kaum umhin, das Positionsspiel als stärkste Strategie anzuerkennen, zumal der eigene Ballbesitz hier bewusst als Verteidigungsmaßnahme angesehen wird. Allerdings ist das Tiqui-taca derart anspruchsvoll, dass es wohl nicht als Beispiel herhalten kann.

Wieder einmal muss die Antwort auf die Frage nach der Effektivität lauten: Es kommt darauf an! Und zwar auf die jeweilige Mannschaft, ihre Spieler und die Fähigkeiten, das eigene Spiel zu variieren, dass man sowohl ein durchdachtes Positionsspiel beherrscht, als auch ein aggressiveres Lauf- und Vertikalspiel. Agiert man ausschließlich im Positions- oder nur im Lauf- und Vertikalspiel, ist man leichter ausrechenbar.

Welche Offensivvariante man wählt, sollte von der situativen Organisation des Gegners abhängen. Steht er tief und kompakt, muss geduldig aufgebaut werden, bis Raum für den Tempowechsel oder den finalen Pass frei wird. Ist der Gegner hingegen unorganisiert, sollte schnell und zielstrebig nach vorne gespielt werden. Es gilt zu erkennen, wann es sinnvoll ist, schnell nach vorne zu spielen oder wann eine geduldige Ballzirkulation einsetzen soll.

Ein reines Lauf- und Vertikalspiel erscheint naiv. Ein reines Positionsspiel wirkt pomadig. Das momentan beste Beispiel für eine optimale Synthese aus beiden Stilen liefert die deutsche Nationalmannschaft. Gerade gegen die Niederlande offenbarte man ein vor allem im Mittelfeldzentrum variables Positionsspiel, welches für eine starke Ballzirkulation sorgte. Man agierte so lange geduldig, bis sich die Möglichkeit zum Tempowechsel ergab, der meistens durch Thomas Müller eingeleitet wurde. Durch wenige schnelle Pässe in Richtung Oranje-Tor kam man zu aussichtsreichen und im Endeffekt auch erfolgreichen Chancen.


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Aufrufe: 9467 | Kommentare: 13 | Bewertungen: 9 | Erstellt:04.01.2012
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KOMMENTARE
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Xavi_6
07.01.2012 | 15:13 Uhr
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Xavi_6 : 
07.01.2012 | 15:13 Uhr
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Xavi_6 : 
das mit dem ruhigen spielaufbau und dem damit implizierten ballbesitz klingt logisch.

du hast diese saison noch kein spiel von real gesehen ?
nicht einmal den clasico ?
ja, sie vereinen diese beiden aspekte eigentlich ziemlich gut.

ich finde es schade, dass dein blog so wenig kommentiert wird. leider sind viele user, die früher sehr gute diskussionen unter den taktikblogs geführt haben, nicht mehr oder kaum noch aktiv.
ich denke da an mrpink27, taktiker, adriano, lapulga, possessionplay, johnnyr(?) und dem spielverlagerungs.de-fuzzi usw. ^^
du hast vllt das pech, dass du ein jahr "zu spät" gekommen bist.....

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vanGaalsNase
06.01.2012 | 08:05 Uhr
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06.01.2012 | 08:05 Uhr
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Ich habe in dieser Saison noch kein Spiel von Real Madrid gesehen. Kann also nicht sagen, ob und in wie fern sie ihr Spiel verändert haben. Aber letzte Saison haben sie zumindest in der CL 525 Pässe pro Partie gespielt. Also auch überdurchschnittlich viele. Dennoch spielten sie dabei ziemlich schnell und aggressiv nach vorne. Das war zumindest mein subjektiver Eindruck. Allerdings sind sie nur 108km gelaufen, weshalb ich hier nicht von einem Laufspiel sprechen würde.

Real ist ja selten in der Situation, dass sie von hinten nach vorne spielen müssen. Oftmals stehen ihre Gegner tief, sodass sie schon früh in der gegnerischen Hälfte sind. Das wirkt sich dann natürlich auf die Laufwerte aus. Dass sie dann aber trotz ihres Vertikalspiels so viele Pässe aufweisen, zeigt, wie schnell Real den Ball laufen lässt.

Gladbach spielt unter Favre ein Positionsspiel, wobei immer mal wieder starke Konter im Vertikalspiel gefahren werden.
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Xavi_6
05.01.2012 | 17:30 Uhr
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Xavi_6 : 
05.01.2012 | 17:30 Uhr
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Xavi_6 : 
mal wieder ein hervorragender blog über ein thema, was wirklich sehr interessant ist.
ich frage mich, welche mannschaften abgesehen vom van gaal bayern noch die strategie des positionsspiels verfolgen (barcelona habe ich bewusst rausgelassen).
mir fällt jetzt wirklich keine weitere mannschaft ein.
welche strategie verfolgt wohl real madrid ?
von den statistiken her spielen sie diese saison deutlich mehr pässe und haben mehr ballbesitz als letzte saison (betreiben auch mehr pressing), allerdings agieren sie immer noch sehr vertikal (haben auch die geeigneten spieler dafür). vermutlich sind sie wohl neben deutschland momentan das beste beispiel für diese synthese aus positionsspiel und vertikalspiel.

wie dem auch sei: 10 punkte.
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