Die Saison verläuft alles andere als optimal. Werder Bremen befindet sich im Abstiegskampf. Doch die Mannschaft von Trainer Thomas Schaaf konnte zuletzt den Negativtrend stoppen und eine Serie von vier Spielen ohne Niederlage starten. Die Rückkehr zur altbewährten Mittelfeldraute gilt hierbei als entscheidend. Mit der Systemfrage eng verknüpft ist die Zukunft von Marko Marin an der Weser.
Seit fast zwölf Jahren ist Thomas Schaaf jetzt Trainer bei Werder Bremen, hat vieles erlebt. Eine Saison wie diese allerdings auch noch nicht.
Mit großen Ambitionen war Werder in die Runde gestartet, als Champions-League-Teilnehmer und für einige wenige sogar als heimlicher Titelkandidat.
Sieben Spieltage vor Schluss ist die Bilanz ernüchternd: Frühes Aus in der Königsklasse, frühes Aus im Pokal und in der Liga steckt die Mannschaft trotz zuletzt vernünftiger Leistungen und entsprechender Punktausbeute weiter voll im Abstiegskampf.
Özil-Abgang nicht kompensiert
Die Verantwortlichen haben die Phase der Umorientierung nach dem Weggang von Mesut Özil unterschätzt, steuern jetzt aber seit einigen Wochen gezielt gegen und kündigen jetzt schon an: Es wird im Sommer einen richtigen Umbruch geben müssen.
Eine Saison ohne die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb sei zu kompensieren, sagt Geschäftsführer Klaus Allofs. Trotzdem bleibt die Kaderstruktur auf Champions League ausgerichtet, vielen Spielern wurden ihre Verträge in den fetten Jahren zu deutlich angehobenen Bezügen verlängert.
Jetzt wird sich daran einiges ändern müssen. Die Erlöse aus einem internationalen Wettbewerb fallen zum erstenmal seit sieben Jahren weg, es ist auch deshalb wahrscheinlich, dass Leistungsträger den Verein verlassen müssen.
Systemfrage entscheidend
Dazu kommt die ungeklärte Frage nach dem Spielsystem: Schaaf studierte nach dem 4-2-3-1 der letzten Özil-Jahre sogar die Variante im 4-3-3 ein, dementsprechend wurden Spieler zugekauft.
In der heiklen Phase im Abstiegskampf besinnt sich Bremen aber plötzlich wieder auf sein ureigenes 4-4-2 mit Raute.
Wohin also mit den Spielern, die einem System mit zwei Sechsern entsprechen? Oder behält Schaaf die Stützen des Teams und bessert nur auf ein paar zentralen Positionen personell nach? Eine Bestandsaufnahme.
Die Torhüter: Tim Wiese ist Leistungsträger und Publikumsliebling in einer Person - allerdings auch ein Topverdiener. Sein Vertrag läuft noch bis 2012. Es gäbe also im Sommer letztmalig die Chance, eine Ablösesumme zu erzielen. Immer mal wieder wird ein Interesse aus England an Wiese kolportiert. Wiese ist derzeit kein Diskussionsgegenstand, bei einem Topangebot für beide Seiten gäbe es sicherlich zumindest Verhandlungsbereitschaft. Zumal Ersatzmann Sebastian Mielitz in dieser Saison gezeigt hat, dass er für höhere Aufgaben bereit ist als die Bank zu wärmen.
Die Innenverteidigung: Auf die Besetzung der Innenverteidigung wird die sportliche Leitung ganz besonders achten müssen, hier gibt es eine Reihe an Fragezeichen. Um Nationalspieler Per Mertesacker ranken sich verstärkt Transfergerüchte. Der FC Arsenal erscheint latent interessiert, wollte den Abwehrchef schon nach der Weltmeisterschaft unter Vertrag nehmen. Auch Mertes Vertrag läuft nur noch bis 2012, er selbst betonte immer wieder, dass die Premier League einen besonderen Reiz hätte. Aller Formkrisen und Dementis zum Trotz wird Mertesacker auch in diesem Sommer wieder ein Kandidat für einen Wechsel sein.
Sein langjähriger Nebenspieler Naldo plagt sich weiterhin mit einer Knieverletzung rum. Glaubt man den Prognosen, ist eine Rückkehr im August realistisch. Aber Prognosen gab es in der Causa Naldo schon viele, die Realität ist: Naldo hat eine komplette Saison einfach so verloren. Und selbst wenn er bald vollständig gesund werden sollte: Spielfit und auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit wird er so schnell nicht sein.
Sebastian Prödl fällt nach einem Muskeleinriss ebenfalls mehrere Monate aus, auch die Saison des Österreichers ist gelaufen. Der talentierte Österreicher lässt zudem weiterhin die Konstanz auf höchstem Niveau vermissen, auch wenn er in dieser Saison mehrere kleine Schritte nach vorne gemacht hat. Prödl braucht weiterhin einen starken Partner an seiner Seite, der ihn führt.
Nicht ausgeschlossen ist, dass Trainer Thomas Schaaf Routinier Mikael Silvestre von der linken Seite nach innen zieht. Der Franzose hat sich nach anfänglich katastrophalen Auftritten auf einem soliden Niveau stabilisiert.
Allzweckwaffe Petri Pasanen wird die Bremer nach sieben Jahren im Sommer verlassen. Ebenso fraglich ist der Verbleib von Nachwuchsspieler Dominik Schmidt, dessen Vertrag ausläuft. Schmidts Gehaltsforderungen sorgten für große Aufregung, die Verhandlungen liegen offenbar weiter auf Eis.
Der im Winter verpflichtete Samuel darf sich bis Ende der Saison für einen Anschlussvertrag empfehlen. Allerdings schaffte es der Brasilianer bisher am Spieltag noch nicht einmal in den Kader, eine Weiterverpflichtung erscheint deshalb unwahrscheinlich.
Es gibt viele Baustellen, Allofs wird handeln und einen, vielleicht zwei neue Innenverteidiger verpflichten müssen. Dabei könnten die schon im Winter gehandelten Zanka (FC Kopenhagen), Felipe Lopes (Nacional Funchal) und Andreas Granqvist (FC Groningen) wieder ein Thema werden.
Die Außenverteidigung: Wie in jedem Jahr gilt es, die Dauerbaustelle auf links in Angriff zu nehmen. Silvestre spielt mittlerweile einen soliden Part, mehr aber auch nicht. Durch den Abgang von Pasanen und die erneut schwere Knieverletzung von Sebastian Boenisch besteht Handlungsbedarf.
Boenisch, dessen Vertrag um ein Jahr verlängert wird, steht frühestens im September wieder zur Verfügung. Bleibt nur noch Eigengewächs Timo Perthel, der nach einem Jahr Leihe von Sturm Graz zurück an die Weser kommt. Der Schwede Oscar Wendt ist weiterhin ein Kandidat. Er kann den FC Kopenhagen am Saisonende ablösefrei verlassen.
Auch auf der rechten Seite fehlt eine Alternative. Clemens Fritz dürfte weiterhin gesetzt sein, Schmidt wäre sein Vertreter. Eine interne Möglichkeit wäre Clemens Schoppenhauer. Der Nachwuchsspieler hat die Position zuletzt in der U 23 bekleidet, ist aber gelernter Innenverteidiger. Boenisch könnte im Notfall und nach überstandener Verletzung Fritz ebenso entlasten.
Seite 2: Das Werder-Mittelfeld: Raute oder Doppel-Sechs?
Das defensive Mittelfeld: Die Planungen hängen besonders für das Mittelfeld stark davon ab, mit welchem System Schaaf in der kommenden Saison bevorzugt spielen will. Der Kader wurde vor der Saison auf ein 4-2-3-1 ausgerichtet. Nach den teilweise katastrophalen Ergebnissen und dem Absturz in die Abstiegsregion ist der Trainer zuletzt aber zur altbewährten Raute zurückgekehrt.
Torsten Frings wird seine Karriere wohl beenden. Etliche Jahre war der 34-Jährige Werders Stabilisator und Schaafs verlängerter Arm auf dem Platz. Zudem Ansprechpartner, Kapitän, Identifikationsfigur. Ein Sechser mit strategischen Fähigkeiten wird gesucht.
Wesley und Philipp Bargfrede sind talentiert, werden die große Lücke aber nicht so schnell füllen können. Beide sind für die Aufgabe als alleiniger Sechser in einer Raute ebenso noch nicht so weit wie als Taktgeber auf der Doppel-Sechs.
Für sie bleibt die Halbposition in der Raute beziehungsweise der defensivere Part der Doppel-Sechs. Der dauerverletzte Daniel Jensen bekommt keinen neuen Vertrag. Ebenso der längst aussortierte Jurica Vranjes.
Felix Kroos hat sicher die Voraussetzungen, irgendwann eine tragende Rolle im zentralen Mittelfeld zu spielen. Aktuell fehlt ihm aber noch deutlich die Präsenz auf dem Platz.
Ein Kandidat für die vakante Position könnte Ilkay Gündogan sein. Der U-21-Nationalspieler wird allerdings von vielen Vereinen umworben und dürfte nur für eine stattliche Ablösesumme zu haben sein.
Allerdings spart Werder durch Frings' Karriereende einen der größten Gehaltsposten ein. Zudem muss der Abgang von Jensen kompensiert werden. Rasmus Elm (AZ Alkmaar) wird dabei immer wieder mit Werder in Verbindung gebracht.
Das offensive Mittelfeld: Marko Marin könnte hier das Bauernopfer bei einer Rückkehr zur Raute werden. Für ihn ist in diesem System kaum Platz. Auf der Halbposition ist er defensiv schlicht zu schwach, als zentraler Spielmacher fehlen ihm die strategischen Fähigkeiten.
Sollte es wirklich zu der dauerhaften Systemumstellung kommen, wäre Marin einer der ersten Verkaufskandidaten. Der Tempodribbler besitzt nicht nur zum Beispiel in England einen ausgezeichneten Ruf und könnte die Erlöse bringen, die dann für den Kauf eines echten Spielmachers gebraucht werden.
Talent Florian Trinks kann eines Tages so einer werden. Aktuell fehlt dem 19-Jährigen aber noch die Präsenz in den Zweikämpfen. Zudem muss er sich erst an das höhere Tempo in der Bundesliga gewöhnen. Die ersten Ansätze waren vielversprechend, für eine komplette Saison in der Hauptverantwortung auf der Zehn ist es aber noch deutlich zu früh.
Der fast schon vergessene Tim Borowski könnte zum großen Gewinner werden, die Rückkehr zur Raute wäre für ihn ein Segen. Auf der Halbposition im Mittelfeld blüht Borowski aktuell förmlich auf. Boro hat nicht die eine Spezialfähigkeit, ist aber in seinem Portfolio ziemlich komplett.
Auch die Fähigkeiten von Aaron Hunt kommen neben einem dominanten Spielgestalter am besten zum Tragen. Das Eigengewächs hat allerdings nach schwachen Leistungen in dieser Saison einen schweren Stand beim Bremer Publikum. Gut möglich, dass der Lieblingsschüler von Thomas Schaaf von sich aus eine Luftveränderung zum Saisonende anstrebt. Ein weiterer Verkaufskandidat ist Said Huseijnovic, der in den Planungen keine Rolle spielt.
Die Rolle des Spielmachers sollte schon im Winter Tottenhams Niko Kranjcar übernehmen. Der Wechsel scheiterte am Veto von Spurs-Coach Harry Redknapp. Der Kroate ist in London aber nicht erste Wahl, ein neuer Versuch im Sommer erscheint wahrscheinlich. Gleiches gilt für Ozan Ipek. Der linke Mittelfeldspieler von Bursaspor bestätigte ein Interesse von Werder im Winter.
Seite 3: Der Werder-Angriff: Pizarro-Partner gesucht
Der Angriff: Im Sturm steht und fällt alles mit Claudio Pizarro. Egal in welchem System: Der Peruaner ist Werders Lebensversicherung und gesetzt - völlig egal, wie viele Kontrahenten von welcher Qualität auch immer kommen sollten.
Daneben hat sich zuletzt das ehemalige Sorgenkind Sandro Wagner in den Vordergrund gespielt. Die vier Tore, darunter zwei Elfmeter, sollten aber nicht über die immer noch vorhandenen Defizite Wagners hinwegtäuschen. Immerhin ist der Youngster auf dem richtigen Weg.
Für Denni Avdic endet die halbjährige Schonfrist im Sommer. Der Schwede kam nicht austrainiert in Bremen an und hat immer noch Probleme mit dem Spieltempo in der Bundesliga. Avdic war bisher überhaupt keine Verstärkung, im Prinzip kennt niemand dessen wahren Leistungsstand im Spielbetrieb.
Marko Arnautovic muss seine überragenden fußballerischen Fähigkeiten endlich dauerhaft umsetzen, um eine Zukunft an der Weser zu haben. Nach einigen Skandälchen ist es zuletzt ruhiger geworden um den österreichischen Nationalspieler.
Trotzdem wartet er seit dem dritten Spieltag auf sein drittes Bundesligator. Für einen Spieler mit dem Potenzial ist das viel zu wenig. Arnautovic muss explizit an seiner Körpersprache arbeiten, resigniert immer noch zu schnell. Die Anlagen sind überragend, Arnautovic ist zudem offensiv sehr variabel einsetzbar.
Eine Rückkehr der Leihspieler Marko Futacs (FC Ingolstadt) und John Jairo Mosquera (Union Berlin) ist ausgeschlossen. Das selbe gilt für Markus Rosenberg, der bei Racing Santander in Spanien sein Glück in kleinen Dosen gefunden hat.
Sollte Wagner seine Form konservieren, ist der Sturm ausreichend besetzt. Im Hintergrund warten die Talente Lennart Thy und Pascal Testroet, sowie Rekonvaleszent Kevin Schindler.
Die Frage ist aber nicht nur im Angriff, ob sich Werder mit dem Attribut "ausreichend" begnügen will.
Der Werder-Kader im Überblick
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren


