Bayer Leverkusen und der Hamburger SV schenken sich am 10. Spieltag nichts. Schwächen im Spielaufbau werden mit überhartem, teils überzogenem Spiel ausgeblendet. Die Meinungen auf beiden Seiten gehen weit auseinander.
Hakan, Hakan, Hakan. Im Vorfeld auf die Partie zwischen dem Hamburger SV und Bayer Leverkusen gab es kaum eine andere Sorge als die Rückkehr von Hakan Calhanoglu an seine alte Wirkungsstätte. Die Vorberichterstattung, die Plakate im Stadion, die Fangesänge - alles drehte sich um den jungen Türken.
Abgesehen vom Spiel selbst. Calhanoglu fand nicht recht hinein in seine Rolle als einziger kreativer Mann in der Zentrale. Dass auch seine Standards nicht das gewohnte Niveau erreichten, passte am Ende zum "beschissenen Spiel", von dem Stefan Kießling sprach. Denn es dreht sich eben letztlich doch nicht alles um Calhanoglu, nach dem Spiel gegen den HSV muss sich die gesamte Mannschaft an die eigene Nase fassen.
Unkonzentrierte Werkself
Nur phasenweise war das Spiel zu sehen, das Leverkusen bisher die Siege eingebracht hatte. Kurz, flach und schnell mit Ball - kompakt, hoch und aggressiv ohne Ball. Der Gegner ließ es nicht zu, aber die Mannschaft von Roger Schmidt erreichte auch nicht das Level, das es braucht, um in der Bundesliga einen Dreier einzufahren.
Unkonzentriert, nicht voll dabei wirkte die Werkself in vielen Szenen und erreichte zu keiner Zeit die nötige Intensität, um Hamburg in Bedrängnis zu bringen. Bis in die Schlussminuten blieben Chancen rar gesät, wirklich Gefahr strahlte man vielleicht ein, zwei Mal im Laufe der fast 100 Minuten aus. Die einzige verpflichtende Chance hatte Karim Bellarabi, in der vierten Minute der Nachspielzeit.
Teams schaukeln sich hoch
Zuvor hatte sich sein Team zu einem Spiel verleiten lassen, das nicht dem entspricht, was Coach Schmidt sich vorstellt. Der HSV verteidigte an der Mittellinie. Unerbittlich, eisenhart, leidenschaftlich. Keinem Zweikampf wurde aus dem Weg gegangen, keiner Rangelei, Diskussion oder Rudelbildung.
Die Teams stachelten sich gegenseitig immer mehr an. Josef Zinnbauer hatte seine Mannschaft heiß gemacht, das Publikum und der Gegner trugen ihren Rest bei zu einer ersten Halbzeit, in der "alles etwas aus dem Ruder gelaufen ist", wie Ömer Toprak es auf den Punkt brachte. Ein solch verbissenes Spiel hatten die Fans in der Imtech-Arena lange nicht mehr gesehen.
Der Negativhöhepunkt einer ersten Halbzeit mit über 30 Fouls und sieben Gelben Karten setzte schließlich Giulio Donati mit seiner Grätsche gegen Marcell Jansen. Die anschließende Rudelbildung mitsamt sich anschreienden und nur von Mitarbeitern des eigenen Teams zurückgehaltenen Trainern war ein Ausbruch des immensen Drucks, den die Bundesliga und das entsprechende Medieninteresse entfacht.
"Fußballerisch geht es natürlich besser"
Druck, der beim Hamburger SV nun etwas abfallen dürfte. "Wir haben alles gegeben. Vielleicht haben wir nicht gut gespielt, aber dafür gepunktet. Und nur das zählt am Ende", fasste Johan Djourou das erfüllte Zwischenziel zusammen. Gepunktet ist gepunktet. Wie - das zählt im Moment nicht für die Hanseaten, die für jeden einzelnen Zähler echte Schweißarbeit leisteten.
Valon Behrami, Heiko Westermann und Djourou bildeten eine für Leverkusen unüberwindbare Mauer, unterstützt von sich aufopfernden Flügelspielern wie Marcell Jansen oder Diekmeier. Auch wenn der einzige Torschütze des Tages, van der Vaart, feststellte, dass es "fußballerisch natürlich besser" gehe, erreichte der HSV doch endlich das, was in den letzten Monaten nur selten geklappt hatte.
Die Einstellung und der Kampf waren da, von alter Lethargie wenig zu sehen. Der wiedergenesene Diekmeier war sich sicher: "Heute standen Kerle für den HSV auf dem Platz, die sich gerade gemacht haben, jeden Zweikampf angenommen haben." Roger Schmidt sah dagegen eine "Treibjagd", Rudi Völler sprach davon, vom Schiedsrichter nicht ausreichend "geschützt" worden zu sein.
Nahe an einem neuen Gesamtrekord
Dass ihnen selbst mehr als einmal die inzwischen schon fast obligatorische Rote Karte erspart blieb, darüber verlor man kein Wort. Schiedsrichter Florian Mayer verlor ohne Zweifel die Linie bei persönlichen Strafen, brachte das Spiel und besonders die zweiten 45 Minuten aber auch vergleichsweise ruhig zu einem Ende ohne Platzverweis. Taktische Fouls leisteten sich beide Mannschaften zwar immer noch, reduzierten aber auch die Anzahl der Vergehen drastisch.
70 Stück im Spiel zwischen Frankfurt und Duisburg im März 2006 stellen den derzeitigen Bundesliga-Rekord, hätte man den Schnitt aus der ersten Hälfte beibehalten, wäre es definitiv Zeit für einen neuen Eintrag geworden. So sah man nach Wiederanpfiff etwas mehr von dem, was der HSV und Leverkusen eigentlich bieten wollten, wenn auch noch immer nicht sonderlich viel.
"Es war ein sehr umkämpftes und taktisch nicht sonderlich gutes Spiel", stellte Zinnbauer fest und fügte an: "Was ungewöhnlich ist, weil Leverkusen vielleicht die taktisch beste Mannschaft ist. Vor allem im Umschaltspiel sind sie brutal stark, das kann man fast nicht verteidigen." Der HSV hat es aber geschafft und hielt damit sowohl gegen die Bayern, als auch gegen den BVB und Leverkusen die Null.
Erste Schritte sind getan
Einen ersten Haken kann der ambitionierte Coach damit schon mal setzen. Die Defensive funktioniert. Nun gilt es den Spielaufbau zu verbessern, weg zu kommen von den langen Bällen auf Pierre-Michel Lasogga oder diese Angriffe letztlich effektiver zu gestalten. Das System mit van der Vaart und Lewis Holtby zusammen scheint eine Zukunft zu haben. Welche, wird sich bald herausstellen.
Anders dagegen bei Leverkusen. Das Mittelfeld aus Kyriakos Papadopoulos, Lars Bender und Hakan Calhanoglu wird so im Normalfall nicht mehr auf dem Platz stehen. Dann geht die Kreativität ab, die Durchschlagskraft und die Ideen fehlen in der Mitte, was Bellarabi und Son umso wichtiger macht. Werden deren Dribblings gut verteidigt, ist Leverkusen stillgelegt.
Dann eben ein Foul
Speziell wenn man einem Rückstand hinterherläuft und das Spiel somit selbst in die Hand nehmen muss, haben Roger Schmidt und sein Team noch einiges zu verbessern. Dass dabei momentan die wichtigsten Kreativspieler ausfallen, macht es nicht leichter für den Trainer.
Das hohe Angriffspressing entfaltet sich erst voll, wenn das Team in Führung liegt. Dann muss der Gegner den Ball nehmen und Leverkusen kann auf Kreativität im Mittelfeld verzichten. Nicht umsonst lässt Schmidt seine Spieler immer mit Risiko auf einen frühen Treffer spielen und nicht umsonst darf sich Hakan Calhanoglu jeden Ball zum Freistoß bereit legen.
Die hohe Laufbereitschaft, die das Spiel von Schmidt erfordert, setzt auch eine gewisse Aggressivität voraus. Gier auf den Ball, die das Trainerteam ständig vermitteln und fordern muss. Ein kleines Zögern oder eine kleine Unaufmerksamkeit reichen aus, um den Gegner eine Linie überspielen zu lassen. Davor greift man zum Foul - und das mehrfach. So dürfen sich Zinnbauer und Schmidt durchaus ähnliche Fragen stellen, auch wenn das Endergebnis eine andere Tendenz vermittelt.
Hamburg - Leverkusen: Die Statistik zum Spiel
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