Die Nationalmannschaft steht vor dem wichtigsten Spiel der Qualifikationsrunde für die WM 2010 in Südafrika. Am Samstag trifft das DFB-Team in Dortmund auf Russland (20.30 Uhr im SPOX-TICKER). Auch für die Junioren geht es zur Sache. Sowohl die U 19 als auch die U 21 kämpfen um die EM-Teilnahme.
Als Sportdirektor kennt sich Matthias Sammer mit allen DFB-Auswahlteams bestens aus. Im SPOX-Interview spricht der 41-jährige Premiere-Experte über die Taktik gegen Russland, die Siegermentalität im Nationaltrikot und den oft schwierigen Spagat zwischen Innovation und Tradition.
SPOX: Herr Sammer, dem deutschen Fußball stehen einige heiße Tage bevor.
Matthias Sammer: Das stimmt, wir stehen vor zwei richtig spannenden Wochen. Die U 19 bestreitet ihre erste Runde in der EM-Qualifikation, die U 21 kämpft gegen die Franzosen um die Teilnahme an der EM-Endrunde 2009 in Schweden. Und die A-Nationalmannschaft hat gegen Russland und Wales zwei ganz schwere Spiele vor der Brust.
SPOX: Stichwort Russland. Das Team gilt als extrem konterstark, Bundestrainer Joachim Löw propagiert den offensiven, vertikalen Stil. Wie bekommt man den schmalen Grat zwischen Risiko und vernünftigem Defensivverhalten hin?
Sammer: Das eine muss das andere nicht ausschließen. Man kann in der Defensive zu jeder Zeit kompakt stehen, auch wenn man selbst mit dem ersten Gedanken nach vorne spielt. Das ist unsere grundsätzliche Philosophie. Wir haben im deutschen Fußball in den vergangenen Jahren eine sehr, sehr gute Entwicklung genommen und können unser eigenes Spiel durchsetzen. Für diese Philosophie steht unsere Nationalmannschaft, dafür steht auch die sportliche Leitung.
SPOX: Dennoch: Die Russen gelten als härtester Konkurrent in Qualifikations-Gruppe 4. Muss man sich auf das Spiel speziell einstellen und vorbereiten?
Sammer: Auf jedes Spiel muss man sich speziell einstellen. Es gilt, seine eigene Spielweise beizubehalten und sich trotzdem auf den Gegner einzustellen. Wir verfügen über ein gut funktionierendes Scouting-System und werden die Russen entsprechend analysieren. Im Spiel versuchen wir, ihre Stärken zu neutralisieren, um unsere eigenen Stärken zur Geltung zu bringen.
SPOX: Also müssen wir uns vor den beiden kommenden Spielen keine großen Sorgen um die Nationalelf machen.
Sammer: Natürlich werden wir weder die Russen noch die Waliser unterschätzen. Allerdings spielen wir beide Partien zu Hause. Wir wollen gewinnen und darauf liegt unsere ganze Konzentration. Und außerdem: Wir sind Deutschland, wir sind stark.
SPOX: Sie stehen stellvertretend für das neue Förder- und Ausbildungskonzept des DFB. Erklären Sie uns in Kurzform die Philosophie, die dahinter steckt.
Sammer: Es gibt einen eigenen Weg, für den der Deutsche Fußball-Bund seit geraumer Zeit steht, und zwar durchgängig, mit allen Mannschaften nach festgelegten Systemen. Es gilt, eine Mentalität in die Mannschaft zu tragen, die nicht zögernd oder hadernd ist. Im Gegenteil: Sie soll vermitteln, dass jeder Spieler, der das deutsche Nationaltrikot trägt, eine Siegermentalität ausstrahlt.
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SPOX: Und das gilt für alle Altersstufen.
Sammer: Unbedingt. Das geht in den frühesten Ausbildungs-Jahrgängen los und davon profitiert am Ende unsere A-Nationalmannschaft. Es ist Bestandteil unseres Weges, dass sich vor allem die jungen Spieler zum einen konditionell, technisch und taktisch weiterentwickeln und zweitens auch von ihrer Persönlichkeit erkennen lassen, dass sie Siegertypen sind.
SPOX: Marko Marin beispielsweise hat bereits A-Länderspiel-Erfahrung gesammelt. Von wem erwarten Sie als nächstes den Sprung von einem der U-Teams in den A-Kader?
Sammer: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über einzelne Namen zu sprechen. Die ganze Konzentration gilt nun den einzelnen Teams mit ihren jeweiligen Aufgaben. Marin gehört ja bereits zum Kader der A-Nationalmannschaft. Dennoch haben wir als Verband in guter Kommunikation zwischen allen Beteiligten entschieden, dass Marko für die Spiele gegen Frankreich noch mal in der U 21 eingesetzt wird. Diese Entscheidung demonstriert auch die Stärke und Geschlossenheit unseres gemeinsamen Denkens.
SPOX: U-21-Trainer Dieter Eilts kann in den beiden Relegationsspielen auf einen ungewohnt großen Kader zurückgreifen. Denken Sie, dass es qualitativ und auch in der Vielzahl der außergewöhnlichen Spieler die beste U 21 des DFB bisher ist?
Sammer: Das ist ja immer spekulativ. Auf jeden Fall hat unsere U 21 sehr, sehr viele Spieler in ihren Reihen, die teilweise zum absoluten Stammpersonal der ersten oder zweiten Bundesliga gehören. Gerade jetzt, wo es darauf ankommt, gilt es für die Mannschaft, ihr Leistungspotenzial konstanter und auch besser als zuletzt abzurufen. Wenn sie das schafft, dann werden wir uns gegen Frankreich durchsetzen.
SPOX: Wo liegen die Schwächen der deutschen U 21?
Sammer: Was uns vielleicht ein wenig fehlt, ist ein Stück mehr Qualität im vorderen Bereich. Wichtig ist, dass die Jungs regelmäßig Spielpraxis in ihren Vereinen haben.
SPOX: ... was ja bei den aktuellen U-19-Europameistern nicht immer der Fall ist. Viele Spieler kommen nur sporadisch zum Einsatz. Hätten Sie sich ein wenig mehr Vertrauen der Trainer in die jungen Spieler gewünscht?
Sammer: Es ist doch ein vollkommen normaler Prozess, dass die Vereine erst mit der Verbesserung der individuellen Leistungsfähigkeiten und Erfolgen auf die jeweiligen jungen Spieler aufmerksam werden. Schauen Sie sich beispielsweise Richard Sukuta-Pasu und Marcel Risse an. Die beiden haben für Leverkusen schon in der Bundesliga gespielt. Die Bender-Zwillinge und Timo Gebhardt sind bei 1860 München in der ersten Elf, Savio Nsereko spielt in der zweiten italienischen Liga und ist dort Stammspieler.
SPOX: Die Förderung der Nachwuchsspieler durch ihre Vereine läuft also ganz nach Ihren Vorstellungen ab?
Sammer: Die Klubs zeigen zunehmend Bereitschaft, junge Spieler einzubauen. Aber das ist keine Einbahnstraße. Es gilt, sowohl in der Nationalmannschaft als auch in den Vereinen, das Leistungsniveau unserer Nachwuchsspieler weiterhin anzuheben und damit für eine höhere Qualität zu sorgen. Ich finde, in diesem Bereich ist eine sehr viel bessere Tendenz erkennbar als noch vor geraumer Zeit.
SPOX: Michael Ballack sagte kürzlich, wir sollten uns immer wieder vor Augen halten, dass andere Nationen die besseren Fußballer haben. Wann sind wir auf Augenhöhe mit diesen anderen Nationen?
Sammer: Wir sind sicherlich nie europäisches Mittelmaß gewesen, auch wenn wir so manches Turnier, speziell die EM 2000 und 2004, nicht so gespielt haben, wie wir uns das vorgestellt haben. Aber Fußball ist keine Eindimensionalität, sondern ein komplexes Spiel. Wenn wir eine Stärken-Schwäche-Analyse machen, müssen wir auch in der eigenen Identität erkennen, wo wir aus der Vergangenheit Stärken und Schwächen besitzen. Und daran gilt es konsequent zu arbeiten. Aber nicht nur in einem Bereich, sondern in der Komplexität. Und die beinhaltet sowohl konditionelle, technische und taktische Aspekte als auch Aspekte der individuellen Persönlichkeitsentwicklung.
SPOX: Die deutschen Fußballer werden im Ausland immer noch als Kämpfer und Disziplinfanatiker angesehen. Wollen Sie diese Sicht der anderen Nationen ändern?
Sammer: Unbedingt. Natürlich wollen wir uns verbessern, was das technisch-taktische Spiel betrifft. Wenn wir in die absolute Fußball-Weltspitze zurückkehren wollen, dann müssen wir erkennen, wo wir mit anderen Nationen nicht ganz mithalten können, und wie wir diese Defizite ausgleichen können. Dazu haben wir explizite Maßnahmen ergriffen.
SPOX: ... die da wären?
Sammer: Im U-15-Beriech beispielsweise haben wir einen Trainer einer holländischen Schule eingestellt, weil wir wissen, dass es wichtig ist, gerade in diesem Altersbereich einen richtigen Grundstein zu legen. Grundsätzlich müssen wir aus unserer Geschichte sehen, wo unsere Stärken liegen und diese fördern. Dieser Spagat zwischen Veränderungen und traditionellen Stärken muss uns gelingen. Und daran arbeiten wir permanent.