Seit vielen Jahren arbeitet David Kadel als Mentalitätstrainer und Life-Coach mit Fußball-Profis und Bundesliga-Vereinen zusammen. Stichwort: Teambuilding und Entwicklung von echten Persönlichkeiten. Im Interview spricht der gebürtige Perser über glühende Kohlen, echte Typen im Fußball und den enormen Druck, der auf den Spielern lastet. Außerdem verrät der Autor und Filmemacher, wie es zu seiner DVD "Und vorne hilft der liebe Gott" mit Jürgen Klopp und David Alaba kam - und was Religion und Glaube mit Sport zu tun haben.
SPOX: Herr Kadel, Sie sind Autor, Redner, Journalist, Kabarettist und Filmemacher, arbeiten aber auch schon eine ganze Weile mit Fußballern zusammen. Wie muss man sich das vorstellen?
David Kadel: Das fing Mitte der 90er Jahre an. Mein bester Freund Dirk Heinen stand damals im Tor von Bayer Leverkusen unter Christoph Daum und hat mir quasi die Türen geöffnet. Damals saßen wir oft abends mit den Führungsspielern Erik Meijer und Paulo Sergio zusammen und haben uns gefragt: Wie kann ein Spieler selbstbewusst werden? Daum war damals einer der ersten, der gesagt hat: "Fußball wird im Kopf entschieden", und dann halt über Scherben und glühende Kohlen laufen und so. Und wir haben darüber diskutiert: Über glühende Kohlen laufen, bringt das wirklich was?
SPOX: Und?
Kadel: Alle haben gesagt: Nee, eigentlich bringt das gar nichts. Wenn du drei Tage später gegen Bayern gespielt hast, hattest du trotzdem die Hosen voll. Aber der Ansatz war richtig: Wie kann ich als Spieler selbstbewusster sein? Ich habe dann angefangen, Programme zu schreiben und Konzepte zu entwickeln und die dann an Spieler weiterzugeben. Es war "Learning by Doing", indem ich Jungs jahrelang begleitet habe, von Gerald Asamoah bis Marco Rose, Sven Schipplock, Antonio Rüdiger oder Lewis Holtby. Mit meinem Coaching-Programm berate ich aber nicht nur Fußballer, sondern auch Firmen wie Nike, Ernst & Young, AOK und viele andere.
SPOX: Also sind Sie ein klassischer Mentaltrainer?
Kadel: "Mentaltrainer" trifft es nicht, weil es nicht darum geht, dass man einen Mentaltrainer holt, wenn auf dem Platz gerade nichts mehr geht. Ich selbst nenne es gern "Mentalitätsschulung". Eine Schulung, die in Richtung Persönlichkeitscoaching geht. Wir - also am besten der Fußballer selbst - arbeiten jetzt schon an seiner Persönlichkeit, damit er nicht untergeht, sondern souverän bleibt, wenn dann irgendwann der Punkt kommt an dem es nicht läuft.
SPOX: Damit die Spieler Sie nicht erst anrufen, wenn sie das Tor nicht treffen?
Kadel: Die Jungs haben ihre Ziele und Träume, aber es ist nicht so einfach. Der Fußball ist vielschichtiger geworden! Manche Spieler kommen mit 18 oder 19 zu mir und ich frage sie: Was sind deine Ziele? Zum Beispiel Nationalspieler für Bosnien. Okay: Wie kommst du da hin? Und die sagen: Ich geb' natürlich Gas. Und dann sage ich: Das tun die alle. Das ist kein Gewinner-Attribut.
SPOX: Sondern?
Kadel: Es ist ein ganzheitliches Coaching, das auch viel in den privaten Raum reingeht. Zum Beispiel das Thema Selbstbewusstsein - dafür steht ja ein Typ wie Jürgen Klopp. Das kommt daher, dass du dir "selbst bewusst" sein musst über bestimmte Dinge. Was zieht dir Energie, was hindert dich daran Leistung, zu bringen? Wenn ich nach Hause komme und meine Freundin steht in der Tür und sagt: "Guck mal Schatzi, ich hab bei deinen Socken ein zweites Handy gefunden. Wer sind eigentlich Jutta, Sabine und Andrea?" (lacht) Da muss ich mir bewusst sein: Die nächsten Tage werde ich wahrscheinlich trainieren wie 'ne Gurke. Otto Rehhagel hat sich damals schon gewünscht, dass seine Spieler alle verheiratet sind - weil die Ablenkungen einfach so extrem sind.
SPOX: Okay, "verheiratet sein" kommt auf die Liste. Was hilft denn sonst noch dabei, gute Leistungen zu bringen?
Kadel: Wenn du eine Karriere haben willst, die außergewöhnlich ist, musst du außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen. Wenn du eine Durchschnittskarriere haben willst, fünf Ligaspiele und das war's, dann mach so weiter wie bisher. Nimm alles mit, bring keine Opfer, leb genauso, wie man sich den typischen Jungprofi vorstellt. Aber wenn die Spieler hohe Ziele haben, müssen wir auch viele Dinge ändern. Dinge, die sie stark machen, sodass man auch zur Ruhe kommt und nicht ständig nur vor der Glotze hängt. Es heißt ja immer: Wir brauchen Persönlichkeiten.
SPOX: Der Klassiker: Der deutsche Fußball hat keine Typen mehr.
Kadel: Wenn ich abends fünf Stunden RTL2 gucke, werde ich eben keine Persönlichkeit. Wenn man sich die Biographien eines Roger Federer oder eines Dirk Nowitzki anschaut: Wie die an sich arbeiten! Siehe Sinan Kurt oder andere Fußballer, die man hoch gefeiert hat, die aber dann tief gefallen sind. Da heißt es dann: "Der hat alles - aber der ist kein Typ!" Das kann man lernen. Es ist in Deutschland auch schon mehr und mehr ein Begriff: Mentalität schlägt Qualität. Aber das wird immer noch viel zu wenig geschult, sondern dem Zufall überlassen. Da habe ich gefühlt ein Alleinstellungsmerkmal, und deshalb nenne ich mich auch bewusst nicht Motivationstrainer, denn motiviert sind die alle.
SPOX: Den Spielern wird auf der einen Seite alles abgenommen und sie werden total verhätschelt. Wird auf der anderen Seite die mentale Schiene total ausgespart?
Kadel: Ja. Ich mache wirklich ein Fass auf, wenn ich gegenüber Vereinen ein von mir entwickeltes Bild vorstelle: Ein Auto hat vier Reifen, aber viele Vereine kommen nur auf drei Reifen daher, weil sie Tag und Nacht nur Physis, Technik und Taktik trainieren. Aber der vierte, die Mentalität des Spielers, sein Teamgeist, all die Dinge, die nicht messbar zu erfassen sind mit Laktattests und dergleichen - jeder Trainer würde sagen, das ist heute wichtiger denn je. Deshalb sorgen ja Freiburg, Darmstadt, Leicester City und Island für Wunder: weil sie für eine bestimmte Mentalität stehen. Wenn es heißt: "Der Spieler hat keine gute Mentalität", dann sage ich den Nachwuchsbossen: "Kein Wunder. Ihr habt es ihm ja nie beigebracht."
SPOX: Aber über Teambuilding bei Bundesliga-Vereinen liest man doch regelmäßig in der Vorbereitung.
Kadel: "Wir waren doch im Sommer Klettern in der Schweiz - wir sind jetzt ein Team!"
SPOX: Eben.
Kadel: Das kann aber auch zum Alibi werden: "Wir haben doch Teambuilding gemacht. Wir waren doch auf 3.000 Meter Höhe ohne Toiletten." Ist ja auch gut! Aber dadurch ist man noch kein Team, das ist nur der Startschuss. Eigentlich müsste man da alle 14 Tage was machen, sonst geht das wieder verloren.
SPOX: Und das findet nicht statt?
Kadel: Nein, viele machen den Haken dran und denken: Das reicht für die Saison. Was meiner Meinung nach völliger Quatsch ist. Einer wie Niko Kovac hat das verstanden. Der kommt nach Frankfurt und sagt: "Passt auf Leute, wir haben 17 verschiedene Nationen oder so. Handys sind ab jetzt tabu. Ihr redet ja nicht mehr miteinander. Wie wollen wir denn da ein Team werden?" Der macht also nicht eine Aktion, sondern er sagt: Von jetzt an weht hier ein anderer Wind. Und sofort sieht man, wie Eintracht Frankfurt eine andere Marke wird, innerhalb von Wochen.
SPOX: Kommt das in den Mannschaften gut an?
Kadel: Bei klassischen Mental- oder Motivationstrainern verdrehen sicher 20-30 Prozent der Spieler die Augen und sagen: "Ach, jetzt kommen die mit so 'nem Scheiß daher." Das ist bei mir nicht so, denn ich mache das bewusst mit den Führungsspielern und die stecken dann die anderen an. Das geht übrigens bis in die dritte oder vierte Liga runter, und ich merke, wie das Bedürfnis der Spieler, tatsächlich ein verschworener Haufen zu werden, immer größer wird. Aber wie gesagt: Zwei Tage Bergwandern reicht da niemals aus.
SPOX: Nicht jeder mag Veränderungen ...
Kadel: Klar, wenn wir etwas anders machen, dann hat erstmal keiner Bock. Im Fußball ist jeder eine Ich-AG, man will nach Hause, Kopfhörer drauf, lasst mich in Ruhe. Einer wie Sandro Wagner, den ich ja als Typ auch mag, sagt ganz offen: Ich verdien' da mein Geld, der Rest ist mir scheißegal.
SPOX: Aber das wäre ja auch eine Persönlichkeit.
Kadel: Er ist eine Persönlichkeit. Aber durch seine Aussage, dass Fußballer zu wenig verdienen, kam er für viele rüber wie ein Egoist, und das weiß er auch selbst. Manche Trainer stehen auf solche Typen. Klopp dagegen setzt mehr auf Teamplayer. Er schickt einen, der 20 Tore schießt, lieber weg, wenn der seine Mannschaft zerstört, als dass er ihn nur der Tore wegen behält.
SPOX: Sie haben vor der EM 2016 in Eigenregie einen Film herausgebracht: "Und vorne hilft der liebe Gott". Darin besuchen Sie unter anderem Jürgen Klopp, David Alaba, Daniel Didavi und weitere Fußballer und plaudern mit ihnen über alles Mögliche, auch über ihren christlichen Glauben. Hängt das mit Ihrer Arbeit als Mentalitätstrainer zusammen?
Kadel: Wenn man 50.000 Euro in die Hand nimmt und einen solchen Film im Alleingang stemmt, muss man schon ein dickes Motiv haben. Ich hatte zwei. Zum einen suche ich für meine Arbeit mit Fußballern immer nach Biographien, Büchern oder guten Motivationsfilmen. Die typischen Ami-Filme wie "An jedem verdammten Sonntag", die man irgendwann mal zeigt.
Kadel: Genau. Aber irgendwann geht einem da der Stoff aus. Deshalb habe ich Kloppo angerufen, um selbst einen solchen Motivationsfilm zu machen, und er fand die Idee geil. Neun Monate später - es kam mir vor wie eine Geburt - gab es einen Film, dem man auch mal einem 14-Jährigen geben kann oder einem Jungprofi, der sagt: "Ich brauche Selbstbewusstsein." Es ist quasi ein Schulungsfilm.
SPOX: Und das zweite Motiv?
Kadel: Der Glaube ist für mich ganz persönlich wichtig und es ist nicht jedem gegeben, ganz frei von der Leber weg darüber zu reden. Und so kann man es eben anders kommunizieren als sonst in Deutschland üblich. Es ist aber nicht so, dass ich in meinem Coaching nur mit Christen zusammenarbeite. Das war einfach Zufall. Antonio Rüdiger zum Beispiel ist Moslem, soweit ich weiß.
SPOX: Muss man nicht aufpassen, dass ein großer Teil vom Thema Religion nicht gleich abgeschreckt ist?
Kadel: Das war tatsächlich kein Problem, weil Klopp oder auch David Alaba absolute Dosenöffner sind. Bei diesen Megastars fragt man sich ja immer: Warum ist der so selbstbewusst? Viele wussten schon immer, dass Klopp die coolste Sau der Welt ist - aber dass er auch noch einen solchen Glauben hat? Das Thema Glaube gehört nicht der Kirche allein - ich bin auch jemand, der Kirche sehr kritisch sieht. Wir machen es bunt, frech, Kloppo macht auch jeden Scheiß mit. Um zu zeigen: Glaube heißt nicht, dass man zum Lachen in den Keller geht oder nur streng irgendwelche Dinge einhalten muss. Glaube ist das, was du selbst ganz intim lebst. Das ist der Kern des Films. Es hat mich selbst geflasht, wie offen und fast schon zerbrechlich Typen wie Didavi oder Ujah darüber erzählen konnten.
SPOX: Haben Sie die Protagonisten vorher alle schon gekannt?
Kadel: Bis auf Elias Kachunga ja. Mit Sven Schipplock habe ich schon als Amateur zusammengearbeitet, Alaba kenne ich, seit er 18 ist. Ich weiß noch, wie ich ihn kennenlernte und dachte: Wie kann einer nur so cool sein? So aussehen und dann noch so reden. (lacht) Deshalb war es keine Überzeugungsarbeit, sondern einer nach dem anderen sagte zu. Es gibt viele Spieler, die ihre Vorbildfunktion anders nutzen wollen als mit einem gespendeten Trikot oder einem unterschriebenen Scheck.
SPOX: Wie sind bisher die Reaktionen ausgefallen?
Kadel: Ein solcher Film aus der Low-Budget-Sparte hat natürlich nicht die Wucht wie "Die Mannschaft" oder "Das Sommermärchen". Aber es spricht sich Stück für Stück rum, es haben sich auch schon Spieler oder Trainer bei mir gemeldet. Ich habe Oliver Bierhoff den Film gegeben und bin bei Nachwuchsleistungszentren von Werder Bremen und RB Salzburg eingeladen, wo ich nicht nur vom Film erzähle, sondern auch von meiner Arbeit. Außerdem wird es vierteljährlich unter dem gleichen Namen eine Web-Serie geben. Das erste Portrait ist von Davie Selke, danach kommen Benjamin Henrichs oder Chicharito von Leverkusen.
SPOX: Geht es auch darum, einmal die Kehrseite vom glamourösen Fußballer zu präsentieren?
Kadel: Schauen Sie sich Mario Götze an. Da bringt einer seine Leistung nicht und wird dann auseinander genommen, das geht ja schon ins persönlich Verletzende. Da sehe ich bei einigen Fußballstars heutzutage auch eine Sehnsucht zu sagen: "Ich will mal persönlich erzählen, wie es wirklich ist. Ihr denkt, es ist so einfach, da unten zu stehen, einen Pass über 20 Meter zu spielen und 60.000 pfeifen. Aber wir sind alle nur Menschen!"
SPOX: Nehmt mal ein bisschen Rücksicht?
Kadel: Rücksicht ist vielleicht das falsche Wort, da heißt es dann: Ihr kriegt ja zehn Millionen. Aber ein bisschen Empathie im Sinne von: Versuch dich mal in meine Lage zu versetzen. Du bist 20, hast alle möglichen Angebote, an jeder Ecke wartet eine Frau auf dich. Du sollst straight sein, musst aber bei jedem Wort aufpassen, damit dich nicht der nächste Shitstorm erwischt. Du sollst Leistung bringen, sollst aber gleichzeitig auch eine Persönlichkeit sein. Es wird also schon eine Menge von den Jungs gefordert.
SPOX: Der Glaube ist nicht das einzige, aber schon das zentrale Thema in ihrem Film. Ganz platt gefragt: Hat Glaube in Ihren Augen etwas mit Sport zu tun?
Kadel: Absolut. Auf der einen Seite trenne ich es. Wenn ich zu Red Bull gehe und einen Vortrag halte, komme ich als Coach und sage: Wie kann jeder Spieler ein Stück weit selbstbewusster und eine stärkere Persönlichkeit werden? Das andere ist, wenn ich mit Spielern im Einzelcoaching arbeite und die sagen: "Mensch, ich sehe am Alaba, dass der Bibelkreise beim FC Bayern mit Rafinha und ein paar anderen Spielern macht. Dann ist ja an der Thematik schon was dran." Da wollen sich einige schon weiterbilden. Mit Marco Rose, U-18-Trainer bei RB Salzburg, der ja unter Klopp gespielt hat, habe ich mich eine Zeit lang jede Woche in einem Cafe getroffen, weil er sagte: "Ich bin in Leipzig groß geworden, ich weiß ja gar nichts über den Glauben. Erklär mir das mal."
SPOX: Und was ist ganz konkret mit der sportlichen Leistung?
Kadel: Da kommt der Punkt, an dem viele sagen: Wenn mein Glaube wächst im Sinne von "Ich weiß, da ist einer und ich bin nicht alleine", dann macht er selbstbewusst und hilft dir, weil du deine Ziele nicht mehr allein erreichen musst. Da ist "Glaube" doppeldeutig. Bei Gegenwind oder einem Karriereknick tun sich viele leichter, wenn sie sagen: "Hey, ich hab gerade so eine Phase, da läuft es nicht so gut. Aber der da oben sieht es, deshalb mache ich mich locker." Man darf nicht vergessen: Das beeindruckt auch den Trainer.
SPOX: Das scheint ein spannender Gegensatz zu sein. Auf der einen Seite ist Religion in Deutschland fast nur noch Privatsache, auf der anderen Seite scheinen es fast mehr Athleten zu werden, die damit sehr offen umgehen, ob nun ein David Alaba oder auch ein Neymar mit der Champions-League-Trophäe. Ist das eine Gegenreaktion?
Kadel: Diese Erkenntnis brach vor ungefähr einem Jahr über mich herein. Wenn das Thema Glaube, Gott und Kirche eine Aktienkurve wäre, dann ginge die in unserer Gesellschaft immer mehr in den Keller. Wenn ich mit meiner Frau in Aachen am Sonntagmorgen in die Kirche gehe, bin ich mit 49 oft der Jüngste. Aber die andere Kurve in der Bundesliga oder im Spitzensport allgemein geht immer mehr nach oben. Im 23-Mann-Kader eines beliebigen Klubs haben sicher 70 Prozent ein Tattoo mit einem Kreuz, betenden Händen oder einem Bibelspruch. Man würde nie denken, dass in diesem geschlossenen System Bundesliga, an sich ja ein relativ oberflächliches Business, eine solche Ernsthaftigkeit vorhanden ist. Bei Alemannia Aachen habe ich zwei Spieler gefragt, wie es bei ihnen so ist. Und die sagten ganz selbstverständlich: "Bei uns sind 80 Prozent gläubig. Das ist völlig normal."
SPOX: Woran liegt das?
Kadel: Ich glaube, dass viele Hochleistungssportler, die richtig viel Druck haben, deshalb auch gezwungen sind, sich mit dem Thema zu beschäftigen: Woher bekomme ich denn Energie? Was macht mich innerlich stark, was gibt mir einen Vorteil? Ein Spieler hat mal zu mir gesagt: "Glaube ist legales Doping." Andere bringen halt ihre 2.000 Euro nach Hause, stöpseln abends aus und fahren einmal im Jahr nach Malle. Da hat man nicht so den Druck, glaube ich. Aber diese Sportler brauchen unbedingt Kraft.
SPOX: Wird das überall gern gesehen? Die FIFA zum Beispiel hat religiöse Botschaften vor ein paar Jahren ja publikumswirksam verboten.
Kadel: Ja, aber andere Beispiele fallen mir auch nicht ein. Fast im Gegenteil: Mir haben Spieler erzählt, dass ihr Trainer auch schon was in der Richtung gesagt hat. Heiko Herrlich hat bei Mannschaftssitzungen in Regensburg aus der Bibel vorgelesen, weil er sagt: Das ist eine super Geschichte, hört euch das mal an. Da ist es fast typisch, dass die FIFA mal wieder ausschert und nicht erkennt: Hier sieht mal nicht jeder wie eine Werbebande überall gleich aus. (lacht)
SPOX: Gleichzeitig ist der Fußball ja auch eine Art Ersatzreligion, oder? Die Kirchen werden leerer, die Stadien dagegen voller.
Kadel: Absolut. Was Glaube eigentlich stiften soll, nämlich Begeisterung die Menschen berührt, das Gemeinschaftsgefühl - all das hat sich verschoben. Vom Fußball-Tempel zum Vorbeter, dem heiligen Rasen, Sündenbock, Trainer-Messias und so weiter. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Im Fußball muss man Leistung bringen, sonst wird man vom Hof gejagt, und in der Kirche ist es ja das genaue Gegenteil.
SPOX: Ich würde Sie zum Abschluss gerne mit ein paar Sätzen konfrontieren, die man hin und wieder hört, wenn es um das Thema Sport und Glaube geht. Erstens: "Interessiert Gott doch nicht, wie so ein Fußballspiel aussieht."
Kadel: Das sehe ich ambivalent. Auf der einen Seite glaube ich fest daran, dass er jeden Einzelnen liebt, also schaut er sich auch am Freitagabend das Spiel an und sieht: Mensch, da hat im Kabinengang gerade ein Spieler um Kraft gebetet. Das hört er ganz sicher. Auf der anderen Seite ist Gott aber auch in Syrien und hat andere Probleme, als zu gucken, dass Freiburg die Bayern schlägt - was aus meiner Sicht natürlich geil wäre. (lacht)
SPOX: Zweitens: "Wenn die Spieler gewinnen, dann geht der Dank nach oben. Und wenn sie verlieren, hört man plötzlich nichts."
Kadel: Nicht ganz. Da hab ich ein super Bild von David Luiz vor Augen, wie er gerade von Deutschland sieben Stück eingeschenkt bekommen hat. Und er kniet auf dem Rasen und betet bestimmt eine Minute lang. Es gibt den schönen Bibelvers: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Egal was passiert, ich gebe Gott die Ehre." Wer das auch in der Niederlage kann, vor dem ziehe ich meinen Hut. Es gibt schon Spieler, die sagen: "Ich mache das unabhängig von den Ergebnissen. Mir ist wichtiger, dass er da ist."
SPOX: Drittens: Im Film gibt es auch Spieler, die sagen, sie haben das Thema Glaube neu entdeckt, als es ihnen schlecht ging. These: "Das sind eben schwache Persönlichkeiten - andere brauchen das nicht."
Kadel: Ja, das ist menschlich. Das sagt auch Klopp: Ich bin weit weg von meinem eigenen Anspruch. Wir sind alle leider schwach. Die Frage ist nur: Sind wir ehrlich damit? Und da sind die genannten Spieler auch selbstkritisch im Sinne von: "Ja, jetzt in der Krise bete ich wieder - eigentlich sollte es aber immer so sein." Didavi gibt im Film offen zu, dass seine Reise nach Benin ihm eine ganz neue Perspektive gegeben hat, was den Glauben angeht. Das finde ich schon toll, wenn ein Sportler so selbstkritisch ist - wer ist heutzutage im Fußball noch selbstkritisch?
David Alaba im Steckbrief
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