Die U 19 des FC Schalke 04 hat in der Saison 2013/2014 gute Chancen, vier Wettbewerbe zu gewinnen: Neben der A-Jugendmeisterschaft, dem DFB-Junioren-Vereinspokal und dem Westfalenpokal startet das Team von Trainer Norbert Elgert am Freitag gegen den FC Barcelona (16.30 Uhr im LIVE-TICKER) ins Halbfinale der UEFA Youth League. Oliver Ruhnert, Direktor Nachwuchs bei den Knappen, spricht im Interview über einstige Struktur-Probleme auf Schalke, die Belastungen für sowie Anforderungen an Nachwuchsspieler und sportpolitischen Druck der UEFA.
SPOX: Herr Ruhnert, Horst Heldt hat kürzlich verraten, dass bei Ihnen jemand vom FC Bayern München angerufen habe, um über die erfolgreiche Schalker Nachwuchsarbeit zu sprechen. Um was ging es dabei?
Oliver Ruhnert: Ein solcher Anruf ist keineswegs ungewöhnlich, wie man vielleicht im ersten Moment annehmen mag. Wir erkundigen uns auch bei anderen Nachwuchsleistungszentren, wie dort bestimmte Dinge gehandhabt werden oder welche Ideen es gibt. So haben die Bayern das auch gemacht. Das war auch nicht deren erster Anruf.
SPOX: Wieso verrät man denn solche Dinge, gibt es auf dieser Ebene kein Konkurrenzdenken?
Ruhnert: Natürlich gibt es das, denn jeder Verein bemüht sich um die besten Talente. Bei solchen Telefonaten geht es aber vielmehr um strukturelle Fragen. Was das angeht, ist man innerhalb der Liga sehr solidarisch und hilft sich gegenseitig.
SPOX: Sie haben Schalke 04 dabei geholfen, eine sehr erfolgreiche Nachwuchsabteilung aufzubauen. Sie sind jetzt seit sechs Jahren da, waren Scout und sportlicher Leiter der sogenannten "Knappenschmiede". Seit Jahresbeginn nennt man Sie Direktor Nachwuchs. Wie sehr unterscheidet sich der Nachwuchsbereich auf Schalke im Jahr 2014 von dem, den Sie 2008 kennen gelernt haben?
Ruhnert: Auf Schalke wird grundsätzlich schon seit vielen Jahren eine gute Nachwuchsarbeit betrieben, also auch vor meiner Zeit. Was sich geändert hat ist, dass wir eine durchgängig noch bessere Struktur innerhalb des Vereins etabliert haben. Die Zusammenarbeit mit der Gesamtschule Berger Feld wurde 2006 und besonders seit 2010 stark intensiviert, die Schlagzahl erhöht. Dazu wurde die Bedeutung der U 23 deutlich aufgewertet und die Mannschaften spielstärker gestaltet. Grundsätzlich wurde der Fokus des Vereins noch stärker auf die Nachwuchsarbeit ausgerichtet.
SPOX: Als Sie anfingen, lag noch vieles brach. Die DFL-Zertifizierung des Leistungszentrums fiel laut Heldt "desaströs" aus. An welchen Stellschrauben musste dann gedreht werden?
Ruhnert: Wir hatten auf Schalke strukturelle Probleme, das muss man zugeben. Nach dem Abgang von Helmut Schulte entstand ein Vakuum, da hat einiges nicht gepasst. Dort haben wir angesetzt und uns personell neu aufgestellt - beispielsweise im Scouting, aber auch durch Menpower in der gesamten Führungsebene. Wir haben einen Pädagogen sowie eine Psychologin eingestellt. Wir können nun einen viel höheren Arbeitsaufwand gehen.
SPOX: Wieso gab es früher nicht dieses ausgeprägte Bewusstsein für einen effizienten Nachwuchsbereich?
Ruhnert: Ich denke, dass das letztlich daran gescheitert ist, dass man der Bedeutung der Nachwuchsabteilung nicht genügend Gehör verschafft hat und nicht verschaffen konnte. Es besteht da immer eine Abhängigkeit vom amtierenden Vorstand. Nun haben wir verbunden mit der Personalie Horst Heldt einen Vorstand, der sehr großen Wert auf den Nachwuchsbereich legt und mit Menschen zusammenarbeitet, die aus dem Nachwuchsbereich kommen und diesen sehr viel Vertrauen schenkt.
SPOX: Mittlerweile ist der Kontakt zwischen Jugendbereich und Profiabteilung sehr eng verzahnt. Zuvor wurschtelte unter anderem die U 23 relativ autark vor sich hin.
Ruhnert: Die Abhängigkeit vom Vorstand, die ich eben skizzierte, lässt sich natürlich auch bis zum Cheftrainer der ersten Mannschaft erweitern. Wenn sich dieser nicht darum schert, was im Nachwuchsbereich passiert, dann wird das vom gesamten Verein so gelebt, als ob es sich um vollkommen verschiedene Abteilungen handeln würde. Nun suchen Jens Keller und Horst Heldt den Kontakt zur Knappenschmiede und zeigen den Spielern damit, dass eine Transparenz und Durchlässigkeit besteht.
SPOX: Die Verpflichtung von Horst Heldt, der sich bereits in Stuttgart sehr für den Jugendbereich stark machte, dürfte der entscheidende Baustein gewesen sein, oder?
Ruhnert: Ja. Horst Heldt ist ein Segen und Glücksgriff für Schalke. Man kann mit jedem Anliegen zu ihm kommen. Er bemüht sich selbst in Phasen des größten Stresses immer darum, ein offenes Ohr zu haben.
SPOX: Das fruchtet seit einiger Zeit. Spieler wie Julian Draxler, Joel Matip oder Max Meyer haben die U 23 auf dem Weg in den Profikader fast vollständig übersprungen. Ist das bald mehr als nur eine Tendenz?
Ruhnert: Es ist letztlich wie in der Schule: Es wird immer Überflieger geben, die Klassen auf dem Weg zum Abitur überspringen. Es wird aber auch immer diejenigen geben, die das Abitur über den zweiten Bildungsweg erreichen und trotzdem richtig gut werden. Das ist ein Thema, das nicht übergeordnet, sondern individuell betrachtet werden muss.
SPOX: Heutzutage muss ein Spieler schon sehr früh sehr weit im Kopf sein. Spielverständnis, taktische Intelligenz, Antizipationsgabe - all das braucht es heute schon deutlich früher.
Ruhnert: Diese Thematik ist aufgrund der Enge des Spielfeldes und der immer weiter gestiegenen taktischen Vorgaben sehr wichtig geworden. Unsere Spieler müssen handlungsschnell und klug im Kopf sein. Unsere Jungs, die es bis nach ganz oben geschafft haben, können eben nicht nur sehr gut Fußball spielen, sondern verstehen auch das Spiel.
SPOX: Können dann also auch Spieler, die am Ball nicht hochbegabt, dafür aber besonders spielintelligent sind, den Sprung nach ganz oben schaffen?
Ruhnert: Das lässt sich nicht sehr genau beantworten, aber solche Spieler hätten heutzutage durchaus Vorteile. Ein Spieler mit ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten hat sehr gute Chancen, den Durchbruch zu schaffen.
SPOX: Lassen sich diese Fähigkeiten auch trainieren oder muss das gottgegeben sein?
Ruhnert: Abläufe lassen sich trainieren. Handlungsschnelligkeit, das Erkennen von Situationen oder peripheres Sehen allerdings nur bedingt. Das gehört zwar zur Trainingsmethodik, beispielsweise mithilfe von Life Kinetik. Aber es ist so wie mit der "normalen" Schnelligkeit: Man kann sie ein bisschen verbessern, aber nicht von Null auf Hundert steigern.
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SPOX: Für diese komplexe Auffassungsgabe schon in jungen Jahren braucht es auf dem Feld auch eine gewisse Stressresistenz. Wie essentiell ist das heutzutage?
Ruhnert: Wir verpflichten durchaus auch Spieler, die in dieser Hinsicht bei uns etwas völlig Neues kennenlernen und deren Wahrnehmung vom Fußballspiel sich bei uns verändert. Sie können gut kicken, kommen aber bei uns in einen Komplex hinein, in dem all diese Dinge von ihnen gefordert werden. Es kann dann passieren, dass ihnen zunächst die eine oder andere Handlungsoption verborgen bleibt. Dann stecken sie vielleicht auch einmal in einer kurzen Phase, in der sie nicht mehr so sehr an sich glauben. Genau deswegen haben wir die einzelnen Individualtrainer eingestellt. Wir möchten dort eine produktive Hilfestellung anbieten können. Die Spieler, die diese Anforderungen nach einer gewissen Anlaufzeit verinnerlichen, machen meist die größten Sprünge.
SPOX: Ein großer Sprung gelang auch der Schalker U 19, die unter Trainer Norbert Elgert am Freitag das Halbfinale in der UEFA Youth League gegen den FC Barcelona zu bestreiten hat. Dieser Wettbewerb hat die von privater Hand gegründete NextGen Series verdrängt. Bis auf Bayern München haben die drei teilnehmenden deutschen Vereine die zusätzliche Belastung für ihre Talente kritisiert, auch der DFB stimmte der Einführung nicht zu. Wie stehen Sie dazu?
Ruhnert: Es ist schon so, dass die Termindichte unglaublich und eigentlich nicht zu realisieren ist. Die vielen Spiele mit den A-Junioren sind grenzwertig. Es bleibt immer etwas auf der Strecke, zumal viele Spieler nebenbei damit beschäftigt sind, ihren Schulabschluss zu machen. Das ist durchaus ein Problem. Deshalb haben wir damals gefordert: Wir sind für die Youth League, hätten sie aber gerne im Bereich der U 20, wo die Spieler bereits aus der Schule sind. Die terminliche Hetze ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Wettbewerb an sich wirklich klasse ist.
SPOX: Letztlich musste sich der DFB der UEFA beugen. Gab es von der UEFA Druck auf sportpolitischer Ebene?
Ruhnert: Den gab es, das kann ich durchaus zugeben.
SPOX: In der NextGen Series konnte man die Spiele legen, wie es den Bedürfnissen der Spieler und Vereine entsprach - also auch in die Schulferien. Dort spielten zudem die besten Jugendteams Europas gegeneinander, in der Youth League sind lediglich ein Viertel der Teams auch Meister ihrer nationalen Altersklassen geworden. Halten Sie das für sinnvoll?
Ruhnert: Zunächst einmal: Wenn man es wie jetzt analog zu der Qualifikation bei den Profis macht, bekommt man im Regelfall auch gute Nachwuchsmannschaften. Aber: Ein Verein wie Hansa Rostock, der im Vorjahr im Endspiel um die A-Jugendmeisterschaft stand, hat im aktuellen Modus auf die Youth League keine Chance. Die Teilnahme sollte in meinen Augen eigentlich eine Belohnung für das sportliche Abschneiden in der Liga sein. Die aktuelle Lösung ist sportpolitisch von der UEFA so gewollt und aus deren Sicht auch absolut nachvollziehbar.
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SPOX: Wieso denn? Der Modus der NextGen Series macht doch auf den ersten Blick viel mehr Sinn.
Ruhnert: Wie wollen Sie Hansa Rostock zumuten, die Kosten für die Youth League zu tragen? Die UEFA übernimmt zwar einen Teil des benötigten Budgets, aber mit diesem Betrag kommt man nicht weit. Das aktuelle Modell ist derzeit nicht kostendeckend und ob es dies künftig wird, müsste man noch prüfen. Der Wettbewerb befindet sich zwei Jahre lang erst einmal in einer Testphase. Ein Vorteil sind bereits jetzt die zu den Profis analogen und damit vorgegebenen Spieltermine. Das vereinfacht die Reisekoordination, wir konnten die Profis immer auf ihren Wegen begleiten.
SPOX: Norbert Elgert hat Vertrag bis 2015, verriet vor Saisonstart aber im SPOX-Interview, dass es sehr gut möglich sei, danach etwas anderes zu machen. Haben Sie schon konkrete Hinweise bekommen?
Ruhnert: Wir gehen davon aus und es ist auch unser Wunsch, dass wir den Vertrag mit ihm zeitnah verlängern. Wir befinden uns in guten Gesprächen und hoffen, dass wir sie bald erfolgreich abschließen können.
SPOX: Hätten Sie Bedenken, wenn sich ein solch langjähriger Jugendtrainer im Profibereich versuchen würde?
Ruhnert: Wenn wir es ausschließlich auf Norbert Elgert beziehen, dann würde ich sagen, dass er vollkommen die Fähigkeiten besitzt, auch Bundesligamannschaften zu trainieren. Man muss aber auch konstatieren: Das wäre eine ganz andere Hausnummer. Als Cheftrainer einer Profimannschaft ist man von jedem einzelnen Ergebnis und teilweise auch von gewissen Spielertypen abhängig. Im Jugendbereich bekommt man spätestens alle zwei Jahre einen anderen Jahrgang, der einen neu fordert. Diese Arbeit kann in meinen Augen für den Menschen noch befriedigender sein als die Tatsache, ganz oben im Fokus zu stehen. Daher glaube ich, dass Norbert Elgert das sehr gut könnte, aber gar nicht wollte.
SPOX: Christian Streich beispielsweise hat nach seiner langen Zeit als Freiburger A-Jugend-Trainer den Sprung gewagt, wirkt aber mit einigen äußeren Gegebenheiten im Profibereich nicht sehr glücklich.
Ruhnert: Genau das meine ich. Würde man mit Christian Streich unter vier oder sechs Augen sprechen, würde er wohl dazu tendieren, zu sagen: Mein Gott, was war das schön im Jugendbereich (lacht). Ich habe ihn erlebt, als er mit dem Sportclub den A-Jugend-Pokal gewonnen hat: Da war er genauso elektrisch wie jetzt in der Bundesliga, konnte es aber etwas anders ausleben.
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